Monique Dée

Stoffwechsel


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in ihren Familien bleiben können, und dann wollen sie es selbst nicht…“

      „Soweit ich weiß, werden die allermeisten alten Leute von Angehörigen zu Hause gepflegt“, sagte Bernadette. „Aber im Fall meiner Mutter war es genauso. Das ist mir viel zu unruhig bei euch, hat sie gesagt. Deine vielen Kinder von morgens bis abends, das ist mir einfach zu laut. Ich habe dann gesagt, so klein seien sie ja auch nicht mehr und außerdem fast den ganzen Tag in der Schule. Und anschließend unterwegs, bei Freunden, mit ihren Hobbys beschäftigt – ich meine, ich sehe meine Kinder ja selbst manchmal kaum noch. Soweit sie überhaupt noch zu Hause sind.“

      „Meine schwedische Großtante war auch im Altenheim, da war sie schon uralt, sie ist ja über hundert geworden. Sie hat immer gesagt, ich werde hier so gut bedient.“ Inga lachte in der Erinnerung. „Sie war so ein Typ, zu der die Altenpflegerinnen gekommen sind, wenn sie mit den Nerven am Ende waren, und sie hat sie dann wieder aufgebaut.“

      „Vielleicht sind die schwedischen Altenheime besser, als die bei uns“, murmelte Carolin. „Ich meine, für mich wäre es der Horror, nur noch so ein kleines Zimmerchen zu haben und dann die ganzen Verwirrten um mich herum… grauenvoll!“

      „Jeder Jeck ist anders“, sagte Bernadette. „Ich mache mir auch die ganze Zeit Sorgen, ob es ihr wirklich gut geht da, aber sie ist erwachsen. Ich meine, es war nicht ganz leicht für mich, ihre Entscheidung zu akzeptieren, aber das hat ja auch was mit Respekt zu tun. Jaime ist es noch viel schwerer gefallen als mir, der hat ihr richtig zugesetzt. Und dann hat sie irgendwann gesagt, jetzt reicht´s mir, tut nicht so, als wäre ich ein unmündiges altes Weib!“

      „Ja, vielleicht neigen wir dazu, wenn es um unsere alten Eltern geht. Wir wollen die Dinge geregelt haben, wir sehen voraus, dass dieses oder jenes bald nicht mehr klappen wird, Auto fahren oder einkaufen, putzen, den Garten machen… Wir wissen dann genau, was man machen müsste, rechtzeitig, was das Beste wäre und welche Entscheidungen man endlich treffen müsste. Dann wäre unser eigenes Leben auch wieder schön geregelt…“

      Florence seufzte ebenfalls.

      „Es ist ja auch nicht einfach, dieser Gedanke, dass meine Eltern immer älter werden und so weit weg sind. Ich meine, im Alltag kann ich überhaupt nichts für sie tun. Das ist bei dir einfacher, Bernadette, aber ich kann nicht von Berlin nach Bordeaux fahren für einen Nachmittag.“

      „Ich dachte immer, deine Eltern leben in Freiburg“, fragte Inga.

      „Das taten sie auch, aber vor fünf Jahren sind sie zu meiner Schwester in die Nähe von Bordeaux gezogen. Meine Mutter kommt ja aus Südwestfrankreich und mein Schwager auch. Sie leben einfach lieber in Südfrankreich. Mein Vater war ja immer schon völlig Frankreich-verrückt.“

      „Und dann hat er passenderweise deine Mutter geheiratet“, seufzte Carolin. „Warum gelingt es eigentlich jedem, das passende Gegenstück für sich zu finden, bloß mir nicht?“

      „Na, wir können uns doch zumindest zusammen tun“, sagte Inga sarkastisch. „Das passende Gegenstück ist mir ja auch noch nicht über den Weg gelaufen, obwohl ich gegen jemanden aus Südfrankreich nichts einzuwenden hätte.“

      „Vielleicht sollte ich meine Suche international ausdehnen“, überlegte Carolin. „Es ist doch eigentlich Blödsinn, sich nur auf das eigene Umfeld zu beschränken… Obwohl, ich lebe ja gerne im Rheinland…“

      „Und dein Vater wäre todtraurig, wenn du wegziehen würdest.“

      „Das wäre er. Und ich auch. Was sollte ich denn machen ohne meinen alten Papa? Wer würde mich denn wieder aufbauen, wenn mir schon wieder ein Typ abhaut?“

      „Wir bestimmt nicht“, sagte Inga ironisch und fügte neidvoll hinzu: „Ihr versteht euch aber auch selten gut.“

      „Ja, wenn ich mich so umgucke, scheint das der Fall zu sein.“ Carolin nickte bestätigend. „Wir können wirklich über alles reden. Einfach alles.“

      Sie grinste in der Erinnerung.

      „Außerdem ist es wirklich praktisch, wenn man so an die Notwendigkeiten der Versorgung im Alter denkt. Bei dir ist es doch auch so, Bernadette.“

      „Ja, da bin ich auch heilfroh“, sagte Bernadette weniger einfühlsam als ichbezogen, zumindest, was Florence betraf. „Wie geht´s denn deinen Eltern, Florence? Wie alt sind sie inzwischen?“

      „Dreiundachtzig. Es geht mehr schlecht als recht, aber verglichen mit anderen in demselben Alter immer noch ganz gut. Nur was das Autofahren angeht, mache ich immer drei Kreuze und bete um ein paar Schutzengel. Meine Mutter würde keinen Weg alleine finden, aber mit meinem Vater neben sich geht es so gerade. Er sagt alles an, jeden Radfahrer, jede Kreuzung… früher wäre sie in die Luft gegangen, aber inzwischen sieht sie wohl ein, dass sie ohne ihn überhaupt nicht klarkäme.“

      „Wie wollen wir das eigentlich mal haben, wenn wir alt sind?“ fragte Carolin. „Ich meine, ihr beide habt ja eure Partner, aber Inga und ich? Ich bin dafür, wir machen dann eine Alten-WG auf.“

      „Aber bitte in Hamburg“, sagte Inga trocken.

      „In Düsseldorf ist es aber wärmer“, protestierte Carolin. „Und außerdem, wenn Bernadette und Jaime auch mit einziehen, sind wir schon vier.“

      „Apropos wärmer“, sagte Inga. „Vielleicht sollten wir uns lieber gleich was im sonnigen Süden suchen. In Thailand oder Indien. Das kommt doch gerade in Mode, es ist billiger und das Wetter ist schön. Oder vielleicht lieber nicht ganz so weit weg, sagen wir mal, auf den Kanaren.“

      „Immer auf einer Insel wohnen? Da kriege ich einen Koller“, lachte Florence. „Ich fahre demnächst nach Portugal, ich kann mich ja da mal umsehen.“

      „Was machst du in Portugal?“ fragten die drei anderen wie aus einem Mund und lachten.

      „Ich mache eine Dokumentation über Auswanderer in den Achtzigern. Da gab es doch diese Aussteigerwelle. Die Leute waren genervt von der Entfremdung und der Gier nach immer mehr materiellem Zeugs, haben ihre gut bezahlten Jobs hingeschmissen und sich im Süden eine neue Existenz aufgebaut. Die meisten fanden es ganz toll, Biolandwirtschaft zu betreiben oder sowas. Und viele sind auch gegangen, ohne vorher gut bezahlte Jobs zu haben und schlagen sich seitdem mehr schlecht als recht durch. Mich interessieren aber eher die anderen, die Pläne hatten. Was ist daraus geworden? Konnten sie ihre Träume verwirklichen? Was haben sie erreicht? Oder sind sie gescheitert? Wie sehen sie das Ganze nach zwanzig oder dreißig Jahren? Lauter solche Fragen.“

      „Und wie gehst du da dran?“ fragte Carolin. „Ich meine, wie findest du die Leute? Du kannst doch nicht einfach hinfahren und drauflos suchen.“

      „Nee, natürlich nicht. Ich habe eine Freundin in Nordportugal, die auch ausgewandert ist vor dreißig Jahren. Sie vermittelt mir ein paar Kontakte. Und wenn man erst mal einige hat, kennen die wiederum andere. Manchmal habe ich den Eindruck, die Auswanderer kennen sich alle untereinander.“

      Florence lachte.

      „Und wieso gerade Portugal? Es sind doch auch ganz viele in die Toskana gezogen oder nach Griechenland. Oder eben auf die Kanaren, da gibt es doch auch eine große deutsche Community. Und auf dem spanischen Festland. In den Orten, wo es mittlerweile auch Würstchen und Sauerkraut gibt.“

      Inga sah ihre Freundin etwas spöttisch und gleichzeitig fragend an.

      „Ja, das ist ein weites Feld“, nickte Florence. „Irgendwo muss man ja anfangen. Da lag es bei mir nahe mit Portugal wegen meiner Freundin Elke. Aber wenn ihr Leute kennt, die woanders hingegangen sind, dann immer her damit. Ich wollte mich auf jeden Fall aufs europäische Ausland konzentrieren. Es gab zwar damals auch ein paar, die den Kontinent gewechselt haben, aber das war vor den Zeiten des Internets doch eher die Ausnahme als die Regel.“

      „Von wegen Ausnahme“, sagte Inga. „Mein Vater hat den Kontinent gewechselt. Und das gleich mehrmals.“

      Florence nickte, ihr hatte Inga die Geschichte ja schon erzählt. Carolin und Bernadette schauten sie fragend an und so erzählte Inga sie