Monique Dée

Stoffwechsel


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lachten alle schallend. Anschließend zog Carolin aber schaudernd die Schultern zusammen.

      „Meine Güte. Du erzählst das jetzt alles so leichthin. Aber ist dir nicht auch völlig mulmig im Gedanken daran, nach so langer Zeit deinem leiblichen Vater wieder zu begegnen? Was wäre denn, wenn er wirklich so ein Ekeltyp ist wie seine Mutter?“

      Inga antwortete nicht sofort. Carolin ging einen Moment in sich und dachte nach.

      „Sorry, das war vielleicht zu direkt gefragt. Sag´ einfach gar nichts. Natürlich willst du deinen Vater nochmal sehen, bevor…“

      Carolin brach ab, unzufrieden mit sich selbst.

      „Tut mir leid, ich hab´s heute irgendwie nicht mit Takt und Einfühlsamkeit. Ich streiche meine Fragen. Wirklich sorry.“

      „Ist schon in Ordnung“, sagte Inga. „Das sind ja Fragen, die wir uns auch stellen, Astrid und ich. Und bei meinem Vater wäre es nicht ganz so einfach wie bei meiner gruseligen Oma, sich eine Flasche Sekt zu bestellen und darüber zu lachen, glaube ich. Keine Ahnung. Das ist einfach ein Risiko, das wir auf uns nehmen müssen. Ganz umsonst kriegt man die Erkenntnis eben auch nicht. Wir werden es schon überleben. Wenn er blöd ist, dann wissen wir es danach wenigstens. Und brauchen uns keinen Vorwurf zu machen, wie hätten aus lauter Feigheit etwas versäumt.“

      „Kinder werden doch oft das Gegenstück ihrer Eltern. Von daher ist die Wahrscheinlichkeit gar nicht so gering, dass er nett ist. Du sagst doch auch, dass du ihn so in Erinnerung hast.“

      Bernadette sah das Ganze optimistisch.

      „‘Es ist nicht unmöglich‘, sagte Mattis immer als Kind. Das mache ich mir zum Motto.“

      Inga sah in die Runde der Gesichter ihrer Freundinnen, Carolin zweifelnd, Bernadette lächelnd und Florence neugierig.

      „Wie wäre es denn mal mit einem zweiten Gang ins Warme?“

      Am nächsten Tag lachte wieder die Sonne.

      „Wie wär´s mit einem kleinen Ausflug?“ schlug Florence vor. „Aarhus soll schön sein und Ebeltoft.“

      „Man soll nichts aufschieben, was man gleich erledigen kann“, sagte Inga. „Morgen Abend sind wir bei deinem Peter, das begrenzt uns nach hinten, und wie es übermorgen wettermäßig aussieht, wissen wir nicht. Also, ich bin dabei.“

      Carolin und Bernadette nickten mit vollem Mund. Sie beendeten in Ruhe ihr opulentes Urlaubsfrühstück und brachen dann auf. Aarhus erwies sich in der Tat als hübsche Stadt zum Bummeln, mit großer Altstadt, Hafen, Kunstmuseum und einladenden Geschäften. Auf das prähistorische Museum verzichteten sie, und das Freilichtmuseum setzten sie auf die „Liste für Sommerwetter“, wie Carolin sich ausdrückte. Aber für die Läden war ein Novembernachmittag im nördlichen Dänemark ideal, es dämmerte früh, und umso anziehender wirkten die erleuchteten Schaufenster. In einer Boutique geriet Bernadette völlig aus dem Häuschen.

      „Sowas hab´ ich ja seit Jahren nicht mehr probiert“, jubelte sie, als sie ihr neues Outfit im Spiegel bewunderte.

      „Nimm´ alles mit“, riet ihr Carolin. „Wann findet man schon mal schöne Klamotten?“

      „Ja, aber wovon bezahle ich das alles?“

      Bernadette drehte die Preisschilder hin und her und brauchte noch Unterstützung zum Ausräumen ihrer Skrupel.

      „Vom Weihnachtsgeld“, schlug Florence vor. „Das ist das einzige, worum ich euch fest Angestellten wirklich beneide.“

      „Weihnachtsgeld ist auch nicht mehr das, was es einmal war“, sagte Inga nüchtern. „Aber du hast Recht, missen möchte ich es auch nicht.“

      Man sah Bernadette förmlich an, wie sie in ihrem Gehirn die Zahlenkolonnen hin und her bewegte. Inga probierte gerade eine Strickjacke aus einem so hauchzarten Gespinst, dass es sie umschwebte wie morgendlicher Nebel. Dann schaute sie aufs Preisschild und erschauerte ebenfalls. Aber nur kurz. Sie hakte Bernadette unter und zog sie in Richtung Umkleidekabine.

      „Weißt du was, wir beide überwinden jetzt mal unseren Geiz und gönnen uns was. Carolin hat vollkommen Recht, zu Hause würden wir uns totärgern, wenn wir das jetzt hängen ließen.“

      „Hört sich an wie eine bewährte Entscheidungsmethode“, gab Bernadette, schon halb überzeugt, zu.

      „Hast du irgendeine Festivität vor der Nase?“ erkundigte sich Carolin. „Damit kann man doch so eine Investition immer begründen.“

      „Ach Quatsch, wir selber sind die Festivität.“

      Inga wollte sich nicht von Konventionen bestimmen lassen.

      „Ich könnte ja jetzt sagen, Jaime wird es umwerfend finden“, sagte sie ein bisschen boshaft und streckte Bernadette die Zungenspitze heraus. „Aber ich finde, wir sollten uns auch von Männern nicht bestimmen lassen.“

      „Aber er wird es umwerfend finden.“

      Bernadette strahlte. Sie hatte ihre Rechtfertigung gefunden, und da waren ihr feministische Begründungszusammenhänge ausnahmsweise mal egal.

      „Schade, ich hab´ noch nix Passendes gefunden“, offenbarte Florence mit einem Seufzer in ihrer tiefen Stimme. Das stachelte den Ehrgeiz der anderen an, die daraufhin die Regale nochmal gründlich durchforsteten. Schließlich stieß Florence auf ein Kleid, das sie ohne weiteres auf dem roten Teppich tragen könnte. Und eine dieser zarten Strickjacken kaufte sie gleich auch noch.

      „Carolin, und du?“

      Bernadette fragte in einer Mischung aus Gutherzigkeit und dem Bedürfnis, dass auch ihre Freundin sich solidarisch ruinieren möge.

      „Bin zu dick für diesen Laden.“

      Drei empörte und verständnislose Blicke trafen sie.

      „Du hast ja wohl ´n Kläppchen. Was an dir ist denn bitte zu dick???“

      Man hörte deutlich drei Fragezeichen in Ingas Stimme.

      „Mein Bauch“, konstatierte Carolin.

      „Jede schöne Frau hat einen Bauch“, sagte Florence.

      Carolin stellte sich so neben sie, dass sie die gertenschlanke Florence im Bauchprofil sehen konnte. Und siehe da – sie hatte einen. Selbst Florences schlanke Taille ohne jegliches Grämmchen Fett kontrastierte mit einem deutlich sichtbaren Ansatz von Bauch. Wie wunderbar, jubelte Carolin innerlich. Nicht mal Florence entrinnt diesen Anzeichen des körperlichen Verfalls. Es gibt doch Gerechtigkeit im Leben! Jetzt konnte sie sich der Kleiderfrage nochmal völlig befreit stellen und eine neue Bluse segelte ihr quasi von selbst in die Tasche. Die Inhaberin kassierte mit einem herzlichen Lächeln, was Bernadette zu einer Bemerkung über dänische Gastfreundlichkeit veranlasste, als sie auf dem Bürgersteig standen.

      „Ich wäre auch gastfreundlich, wenn ich in fünf Minuten tausenddreihundert Euro eingenommen hätte“, kommentierte Inga nüchtern. „Dann würde ich sogar unbedingt wollen, dass alle meine Gäste ganz schnell wiederkommen!“

      Die vier sahen sich und ihre umfangreiche Beute an. Carolin prustete los und steckte die anderen sofort an. Eingehüllt in eine Wolke von Gelächter steuerten sie einträchtig das nächste Café an. Verschwendungslaune machte offensichtlich kaffeedurstig.

      Die Tage gingen dahin mit Spaziergängen, Saunagenüssen und leckeren Tafeleien. Von jedem Spaziergang brachte Bernadette einen riesigen Blumenstrauß mit. Sie kombinierte alles, was ihr unter die Finger kam, sammelte Gräser, bizarre Zweige mit roten Beeren, letzte Blüten, und es sah von Mal zu Mal prächtiger aus. Sie liebte es zu gärtnern und hatte eine ausgeprägte floristische Ader. Ihre phantasievollen Sträuße schmückten das ganze Haus. Was Letzteres anging, trug der Abend bei Peters Familie zur Erweiterung ihres Horizonts bei. Es war das Haus seiner Eltern, nachdem sie aus der Familienvilla ausgezogen waren.

      „Es hat fast denselben Grundriss, nur in kleiner“, erklärte Peter. „Sie wollten möglichst wenige Veränderungen, damit sie sich im Alter nicht