Monique Dée

Stoffwechsel


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Jahre her…unglaublich“, musste sie dann doch mit den anderen teilen.

      „Ja, früher wollte man immer zwanzig werden, jetzt ist das ein Zeitraum, der quasi die jüngsten Erinnerungen umfasst“, sagte Inga mit gespielt brüchiger Stimme. Sie pulte am Korken herum und zog die Folie vom Flaschenhals.

      „Florence, kannste mal die Gläser…“

      Florence kniete schon vor dem antiken Küchenschrank und suchte darin herum. Mit missbilligendem Blick stellte sie das Sammelsurium, das sie schließlich gefunden hatte, auf den runden Tisch.

      „Inga Herzchen, wenn ich von diesem Notstand gewusst hätte, dann hätte ich dir eine Kiste Sektgläser als Gastgeschenk mitgebracht.“

      Inga durchbohrte ihre anspruchsvolle Freundin mit einem verächtlichen Blick.

      „An jedem Glas hängt eine spezielle Erinnerung. Ich habe keine stilvolle Küche, sondern eine lebensvolle.“

      „Soso“, sagte Florence nüchtern. Sie kannte die spezielle Ästhetik ihrer Freundin ja schon lange genug, um sie mit Humor zu nehmen. Inga als Berufsschullehrerin fehlte es nicht an den Mitteln, feines Geschirr zu kaufen, aber schlicht am Sinn dafür. Sie besaß zusammen gesammelte Kaffeebecher, Suppenschüsseln, Wassergläser, von Weingläsern ganz zu schweigen. Auch ihre Kücheneinrichtung war zusammengestückelt, der alte Schrank an der Wand wurde ergänzt von einem ebenso alten Modell gegenüber, beides schöne Weichholzstücke aus dem vorvorigen Jahrhundert. Selbst die Stühle rund um ihren runden Küchentisch waren alle verschieden und vermutlich vom Sperrmüll und einheitliches Besteck besaß sie schon mal gar nicht. Ingas Wohnung war ausgestattet mit Kissen, Stoffen, Wandbehängen und Artefakten, die sie von ihren vielen Reisen rund um den Globus mitgebracht hatte, als begeisterte Geografin, bevor die Kinder kamen und nachdem sie erwachsen geworden waren. Oder zumindest alt genug, um auszuziehen. Sie hatte dann die Kinder in ihren Projekten besucht, denn beide hatten einen Freiwilligendienst gemacht, Mattis war in Nicaragua gewesen und Anna in Brasilien.

      „Hätte nicht ein Kind nach Asien oder Afrika gehen können? Das wäre doch wohl nicht zu viel verlangt gewesen?“ polterte Inga mit ihrem typischen Sarkasmus. „Man bringt ihnen aufopferungsvoll andere Weltgegenden nahe und dann suchen sie sich Länder aus, die ich alle schon aus meiner eigenen Jugend kannte.“

      Inga lachte mit ihrer rauen Stimme ein erinnerungsträchtiges Lachen. Sie hatte ein enges Verhältnis zu ihren Kindern, von denen eins in Hamburg lebte und eins in New York.

      „Stellt euch mal vor, Anna wird Modedesignerin. Wie habe ich das bloß hingekriegt?“ hatte sie ihre Freundinnen per Rundmail gefragt, als Anna vor Jahren diesen Plan fasste. Jetzt machte sie ein Praktikum bei einer US-amerikanischen Designerin und verbrachte zwei Monate im big apple. Inga hätte sie gerne auch dort besucht, aber „…im November nach New York??? Wenn da die Schneestürme toben und der Strom ausfällt? Keine zehn Pferde. Da fahre ich lieber mit euch nach Dänemark in ein Häuschen mit Sauna. So kriegt man wenigstens ein bisschen Wärme. Wir sollten unser Herbsturlaubskonzept doch nochmal überdenken. Madeira oder die Kanaren fände ich auch nicht schlecht.“

      Inga war sonnenhungrig und mochte den norddeutschen Winter nicht.

      „Wenn ich demnächst in Rente bin“, das versprach sie ihren Freundinnen in letzter Zeit bei jeder Gelegenheit, „dann verbringe ich die Zeit von November bis März in Mexico. Oder auf den Philippinen. Jedenfalls im Warmen.“ Dabei stieg ihre Stimme an und wurde eindringlich laut. Fehlte nur noch, dass sie bekräftigend „Da könnt ihr einen drauf….trinken!“ gesagt hätte und triumphierend gegrinst.

      „Kinners…“

      Inga hob ihr Glas: „Auf uns, das Leben und…“

      „Die Männer!“

      Bernadette sprang in die Lücke.

      „Die Männer?“

      Inga hob erstaunt eine Braue. „Wieso denn die Männer?“

      „Na ja, wenn Jaime nicht so ein toller Mann wäre und eine Woche lang den Haushalt schmeißen würde, dann könnte ich jetzt nicht mit euch zusammen nach Dänemark“, verteidigte sich Bernadette.

      „Bei zwei Kindern von fünfzehn und siebzehn, die wohl langsam auf sich selbst aufpassen können“, spottete Inga. Als sie Bernadettes Blick auffing mit einer Mischung aus Protest, Frage und Sehnsucht in einem halben Lächeln, besann sie sich und meinte gnädig:

      „Na gut, auf die Männer. Du und Florence, ihr habt ja auch zwei außergewöhnlich nette Vertreter der Gattung abgekriegt. Da liegen wir statistisch über dem Durchschnitt. Ihr beide habt abgesahnt und Carolin und ich gucken in die Röhre.“

      „Auf die Röhre“, sagte Carolin trocken.

      Die vier Freundinnen ließen ihre unterschiedlichen Gläser aneinander klingen und genossen den ersten Schluck des leckeren Tröpfchens.

      „Ich habe allerdings vor, das in nächster Zeit zu ändern“, sagte Carolin unvermittelt.

      „Was? Was zu ändern?“ fragte Florence.

      „Ich will wieder einen Mann an meiner Seite. Ich back mir einen, dachte ich.“

      Carolin grinste.

      „Ja, wo soll man sie sonst hernehmen“, nickte Inga. „Zumindest, wenn sie den eigenen Ansprüchen gerecht werden sollen.“

      „Wahrlich, wahrlich“, nickt Carolin. „Du hast doch einen Lover nach dem anderen. Wieso ist da nie einer dabei, mit dem es was Dauerhafteres werden könnte?“

      Inga seufzte.

      „Der letzte ist schon wieder sechs Wochen her. Oder sieben? Spricht auch nicht gerade für ihn, wenn ich mich gar nicht daran erinnern kann…“

      Inga kicherte aus der Erinnerung heraus, aber es klang eher resigniert und nicht wirklich fröhlich. Sie schnaubte durch die Nase und wandte sich an Bernadette und Florence.

      „Na, ihr zwei mit den Traummännern. Wie habt ihr das eigentlich hingekriegt? Wie läuft´s denn so? Es kann doch nicht immer nur schön sein.“

      „Also, bevor wir da tiefer einsteigen, muss ich uns nachschenken.“

      Florence schritt zum Kühlschrank und schwenkte elegant die Flasche über die Kelche. Worin besteht eigentlich Eleganz, überlegte Carolin, während sie ihr dabei zusah. Wenn man Florence anschaut, braucht man überhaupt keine Erklärung mehr, sie ist ja sozusagen die Offenbarung des Begriffs, aber was definiert ihn? Geschmeidigkeit, dieses Fließende in ihren Bewegungen, dieses tänzerisch Leichte… Carolin driftete gedanklich weg, bis Inga sie anstieß.

      „Hey, worüber sinnierst du? Da kommen wir gleich auch noch drauf, aber erstmal sind die zwei dran.“

      Inga wies mit auffordernder Geste auf die Genannten.

      „Wir können uns auch langsam setzen. Dieses Thema wird uns vermutlich etwas länger beschäftigen. Ich sorge mal eben für eine kleine Stärkung.“

      Sie ging zum Schrank, holte Schüsselchen heraus, verteilte Chips, Erdnüsse und Salzstangen und kam damit zum Tisch zurück. Florence zündete ein paar Kerzen an, die in diversen Leuchtern herumstanden. Bernadette griff diese Anregung auf und entzündete die Windlichter auf der Fensterbank. Eins davon war eine französische Rosenduftkerze, die den Raum sofort aromatisch erfüllte. Jede Freundin platzierte sich auf einen der unterschiedlichen Stühle und Inga und Carolin sahen erwartungsvoll zu den beiden anderen hinüber.

      „Was guckt ihr so?“ fragte Florence. „Vielleicht sind wir einfach nicht so wählerisch.“

      „Das glaube ich bei dir keine Sekunde“, gab Inga zurück. „Was war es? Was ist es? Was hält dich und Jo zusammen?“

      „Die Gewohnheit“, lachte Florence. „Ich lege mir immer Sachen zu, die ein Leben lang halten. Dazu muss die Qualität natürlich erstklassig sein.“

      „Aha. Da haben wir´s. Qualität statt Quantität, so wie bei mir.“

      Inga