Hannelore Kleinschmid

Wie ein Engel auf Erden


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zweiten Lust keine dritte und auch kein gemütlicher Nachmittag. Mein Besucher wurde immer unruhiger. Er zwängte sich - erst nackt, dann bekleidet - durch mein Möbellager. Trinkbaren "Stoff" suchte er. Aber dank seiner war meine Hausbar genauso leer, wie sich dank seiner keine müde Mark in meinem Besitz befand.

      "Ich sehe mal, was ich machen kann." quetschte er hervor. "Später komme ich wieder."

      Ich empfand das als Kompliment.

      Mein Schlüsselbrett neben der Korridortür erklärte mir, wie der Mann in mein Bett gefunden hatte. Er hatte sich den Schlüssel angeeignet. Zum ersten Mal im Leben besaß ein Mann meinen Schlüssel. Dennoch dürfte es gescheit sein, nicht auf ihn zu warten.

      Eine halbe Stunde verbrachte ich sinnend auf dem Bett. Aber Warten nannte ich das nicht, obwohl ich immer unruhiger wurde. Danach wanderte ich brav nach Pfaffenroda zurück. Dort waren sie mit mir zufrieden, was Karin nicht von sich sagen konnte. Wo ich gewesen sei, blaffte sie mich an. Ich zuckte die Achseln. Sie habe gewartet. Ich zeigte einen Ausdruck des Bedauerns.

      "Das darfst du nicht wieder tun! Ich mache mir Sorgen!" fuhr sie vorwurfsvoll fort. Das ging mir zu weit. Unwillig kramte ich nach einem Zettel. Schnell gab sie mir einen Stift.

      ICH BIN ERWACHSEN!!! schrieb ich.

      BIN SPAZIERENGEGANGEN OHNE UHR!

      Diese Notlüge schien mir erlaubt zu sein, um mein Gefühlsleben abzuschirmen. Was ich tat und fühlte, ging keinen etwas an. Davon war auch die beste Freundin ausgeschlossen. Karin zog die Stirn in Falten, als wisse sie nicht, ob sie mir glauben dürfe. Das war mir egal. So lächelte ich sie freundlich an.

      "Weißt du, dass du richtig wohl aussiehst? Gesund, wie seit Jahren nicht mehr." sagte sie plötzlich.

      Wenn du wüsstest - dachte ich - und meine Wundermedizin kenntest!

      Auf einmal empfand ich so etwas wie Dankbarkeit. Richtig rührselig wurde ich. Meine beste Freundin hatte um mein Leben gerungen. Sie hatte mich halbtot gefunden und sofort das Nötige unternommen. Sie bestand darauf, meine Wohnung für die Rückkehr bereitzuhalten. Und sie war es auch, die mehrmals in der Woche zu mir kam, meine Hand hielt und liebevoll auf den scheintoten Haufen Elend einredete. Sie schien als einzige die Hoffnung nie aufzugeben.

      Erst jetzt erkannte ich, was für ein Geschenk sie mir gemacht hatte. Ich erlebte, welche wunderbaren Gefühle das Leben zu bieten hat. Spontan zog ich Karin, die sich nach der Moralpredigt auf die Bettkante gesetzt hatte, zu mir heran und umarmte sie. Als sie sich aufrichtete, sah sie gerührt aus.

      Nach einer Schweigeminute begann sie vom Geld zu reden und von meiner Zukunft. Geradezu liebevoll erklärte sie, dass ich mir keinerlei Sorgen zu machen brauche. Ihres Wissens würde ich eine Rente erhalten, die zusammen mit den diversen Versicherungen meines Vaters auch unter Westverhältnissen ausreichte. "Übrigens steht dein Trabbi noch in der Garage. Allerdings solltest du vielleicht ein paar Fahrstunden nehmen. Beatchen, du kannst dir ein schickes kleines Auto kaufen, wenn du willst. Soviel Geld ist da.“

      Selig wie ein satter Säugling lächelte ich die Mütterliche an. Auf ein Zettelchen schrieb ich, so groß es ging: DANKE!!

      Während ich Karin auch weiterhin eine interessierte Miene zeigte, ließ ich die Gedanken durch Traumwelten zu dem Mann mit meinem Schlüssel gleiten. Womöglich schlief er in meinem Bett, während ich allein im weißen Zimmer herumlag. Der Gedanke beunruhigte mich.

      18.

      Nachdem mir die bunten Pillen für die Nacht gebracht worden waren, gab ich meiner Sucht nach.

      Ich zog den schwarzen Abenteuerdress über. Wie ich es früher in Krimis im Westfernsehen gesehen hatte, schlich ich durch die Korridore und suchte nach einer nicht verschlossenen Pforte ohne Pförtner. Da ich erfolglos blieb, verharrte ich in einem Flur im Erdgeschoß, von dem aus ich die Pförtnerloge beobachten konnte. Endlich stand der alte Herr auf und ging - vermutlich zur Toilette. Schnell huschte ich hinaus wie zu meiner sportlichsten Zeit. Zügig eilte ich heim. Kräfte schienen mir zuzuwachsen, die ich den Hormonen zuschrieb.

      Die Wohnung stank. Der Mann hing auf der Couch. Meine vergeblichen Versuche, ihm eine Reaktion zu entlocken, machten mir klar, dass er nicht nur betrunken, sondern abgefüllt war. Die Frage nach dem Warum seiner Bettelei begann sich für mich zu erübrigen. Da war ein Alkoholiker vom Kapitalisten gefeuert worden, sagte ich mir.

      Verdrossen zog ich mich aus. Mit Trauermiene wollte ich auch ihn entkleiden. Doch er wehrte sich. Immer wilder schlug er mit den Armen um sich, trat unkontrolliert mit den Füßen auf die Couch und den direkt davorstehenden Tisch. Auch mich traf er, als ich mich über ihn beugte, um seine Hose zu öffnen.

      Eine Welle von Wut erfasste mich. Ich spürte, wie sie in mir aufstieg und ich plötzlich Rot sah. Er trat, schlug und schrie. Womöglich verfolgten ihn im Delirium die berühmten weißen Mäuse.

      Ich weiß nicht, wie es geschah und wieso ich in meiner roten Rage den Gehstock in den Händen hielt. Ich holte aus, die Lampe, die von der im genormten Plattenbau niedrigen Decke hing, klirrte, stürzte aber nicht ab. Ich schlug zu. Einmal, zweimal. Das erste Mal traf ich den erhobenen Kopf, das zweite Mal das Gesicht.

      Ein Blitz durchzuckte mich. Was in der Vergangenheit lag, war nicht zu fassen. Die Nase des Mannes begann zu bluten, aber er schwieg. Endlich.

      So und nicht anders muss es gewesen sein.

      Er rührte sich nicht, und ich dachte: O Gott!

      Dabei bin ich kein gläubiger Mensch. Das Gebot, das das Töten verbietet, hat für mich jedoch eine grundsätzliche Bedeutung. In meinem sozialistischen Leben war ich froh gewesen, weiblichen Geschlechts zu sein und keinen Ehrendienst in der Nationalen Volksarmee leisten zu müssen. Wahrscheinlich wäre ich nicht mutig genug gewesen, den Dienst mit der Waffe abzulehnen. Aber im Grunde meiner Seele liebe ich Frieden über alles. Töten hasse ich. Ich begreife mich als Pazifistin. Jedenfalls hatte ich bis zu dieser Sekunde angenommen, ich sei es.

      Mit hängenden Schultern stand ich wie erstarrt da. In meiner Erinnerung verging auf diese Weise eine Ewigkeit. Der Mann rührte sich nicht. Kein Glied bewegte er. Im Krimi sind die Leute mausetot, wenn sie einen derartigen Schlag abbekommen. Sofern ich überhaupt etwas dachte, war ich überzeugt, eine Mörderin zu sein. Als sich die Starre endlich löste, überlegte ich hektisch, was zu tun sei. Gestern war ich daran gescheitert, den Mann auf mein Bett zu ziehen. Den Leblosen würde ich keinen Meter weit bewegen können.

      Also was sollte ich tun?

      Schweiß lief mir von der Stirn, während ich mit den Zähnen klapperte.

      Immerhin merkte ich schnell, dass mir Nachdenken nichts brachte, weil es nicht funktionierte. Wortfetzen rasten durch mein Hirn. Versuche, sie sinnvoll zusammenzusetzen, scheiterten.

      WARTE NUR, BALDE RUHEST DU AUCH! WARTE NUR, BALDE RUHEST DU AUCH! DU AUCH! DUAUCHDUAUCHDUAUCH....

      Mit derartigen intellektuellen Leistungen war kein Polizist zu überlisten. Nachdem ich das begriffen hatte, sann ich nur noch auf Flucht.

      Den Stock würde ich gründlich reinigen.... Fingerabdrücke dürfen in meiner Wohnung sein ... gestern war ich hier ... heute bin ich spazieren gegangen und stellte in der Nähe der Wohnung fest, dass ich keinen Schlüssel in der Jackentasche habe.... Vielleicht habe ich ihn verloren, als mir gestern im Kaufhaus und auf der Straße schwindlig wurde...... wie der Mann meine Wohnung gefunden hat, weiß ich nicht.... irgendwie ist er eingedrungen mit dem Schlüssel....

      Ich nahm den Wohnungsschlüssel aus der schwarzen Jacke, um ihn ans Schlüsselbrett neben der Tür zu hängen.

      Was tue ich, wenn die Haustür abgeschlossen ist?

      Das geschah früher einmal in hundert Tagen. Aber die Welt hat sich verändert. Gehe ich hinunter, um die Tür aufzuschließen, und bringe danach den Schlüssel wieder hoch, muss ich zweimal durch das Treppenhaus schleichen und verdoppele die Gefahr, gesehen zu werden. Ungefährlicher dürfte es sein, den Leblosen nach dem Schlüssel abzusuchen, den Ring aufzubiegen und Haustür-