Juli van Bohm

Sterne, die begehrt man nicht


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Dennoch bemühte sie sich, die unfreiwillige Störung als positiven Wink des Schicksals zu betrachten. Vielleicht war es von Vorteil, der ungeliebten Modekollektion eine kleine Zwangspause zu verordnen. Womöglich half ihr diese Unterbrechung sogar, ihre Schreibblockade aufzulösen.

      Sie schnappte sich einen Schokoriegel aus ihrer Schreibtischschublade und ließ ihn genüsslich im Mund zergehen. Was mochte es wohl für eine dringende Angelegenheit sein, die Corinne mit ihr besprechen wollte? Im Grunde war alles besser als das nervige Fashion-Thema, mit dem sie sich seit heute Morgen herumschlagen musste. Als sie erneut einen Blick auf die Laufsteg-Fotos warf, fühlte sie sich seltsam befreit. Zumindest für einen kurzen Moment hatte sie einen triftigen Grund, sich mit etwas anderem als Darth-Vader-Mutanten zu befassen. Schwungvoll schob sie ihren Stuhl zurück und rieb sich den verspannten Nacken.

      „Hey, Jenny. Ich muss mal eben zu Corinne!“

      Ihre Kollegin, mit der sie sich das Büro teilte, nickte nur abwesend, während ihre Finger flink über die Tastatur ihres Computers perlten. Anders als Emily schien Jenny genau zu wissen, was sie schreiben wollte. Nachdenklich schüttelte Emily den Kopf. Was war das nur für ein verrückter Job, bei dem man Frauen mit schönen Worten in Traumwelten entführte, neben denen die Realität trist und unspektakulär erscheinen musste? Eine Welt, in der Glamour und Fashion regierten und das Leben von Stars und Sternchen auf Hochglanzpapier vermarktet wurde. Erbarmungslos, ganz gleich, ob es sich um Erfolge oder Skandale handelte. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie überhaupt hierher passte – in die Redaktion der Francine, einem der hipsten Lifestyle- und Frauenmagazine, die es derzeit am Markt gab.

      Nur langsam löste sie sich von ihren Gedanken. Verdammt, sie hatte viel zu lange getrödelt, wenn Corinne ‚sofort‘ sagte, meinte sie auch ‚sofort‘. Rasch eilte sie zum Ende des langen Flures, der zu beiden Seiten von Türen gesäumt war, hinter denen die Köpfe gewaltig qualmten. Nur kurz verharrte sie vor Corinnes Büro, bevor sie klopfte und eintrat, ohne erst eine Antwort abzuwarten.

      Die blonde Frau hinter dem Schreibtisch blickte auf und lächelte sie an.

      „Da bist du ja endlich.“ Sie wies auf einen der Stühle vor ihrem überdimensional großen Arbeitsplatz. Wie immer war ihr Schreibtisch akkurat aufgeräumt und vermittelte jene Perfektion, die Corinne ausmachte. Nichts außer einem Glas Wasser und ihrem Smartphone störte die auf Hochglanz polierte, gläserne Oberfläche. Es war Emily ein Rätsel, wie Corinne das machte. Vor allem wenn sie an ihren eigenen Schreibtisch dachte, auf dem zumeist ein kreatives Chaos aus Zetteln, Stiften und anderem Krimskrams herrschte.

      Ein triumphierender Zug umspielte Corinnes perfekt geschminkten Brombeerlippen und signalisierte Emily, dass ihre Chefin offenbar bester Laune war. Und das, obwohl bei allen anderen Mitarbeitern kurz vor Redaktionsschluss der neuen Francine-Ausgabe die Nervosität auf ein Level stieg, das an Hysterie grenzte. Sehr eigenartig. Ein mulmiges Gefühl beschlich Emily, während sie überlegte, ob die schwarze Wolkenfront, aus der nun erste grelle Blitze zuckten, womöglich als böses Vorzeichen zu deuten war. Falls ja, schien zumindest Corinne nichts von der drohenden Gefahr zu bemerken. Grazil schlug sie ihre elegant bestrumpften Beine übereinander, die in High Heels endeten, für die man eigentlich einen Waffenschein benötigt hätte. Sie räusperte sich vernehmlich, bevor sie sich zu einer Erklärung herabließ.

      „Emily, mein Schatz, heute ist dein absoluter Glückstag! Du wirst es nicht glauben, aber ich habe einen überwältigenden Auftrag für dich an Land gezogen.“ Sie nippte an ihrem Wasserglas, in dem ein Rosmarinzweig und eine Zitronenspalte sich wie ein turtelndes Liebespaar umkreisten. Ein Anblick, von dem sich Emily nur mühsam losreißen konnte.

      „Emily?!“

      „Entschuldige, was hast du gesagt?“, schuldbewusst zuckte sie zusammen und nahm den tadelnden Blick wahr, mit dem Corinne sie bedachte.

      „Ich sagte, ich habe einen überwältigenden Auftrag für dich an Land gezogen.“

      Ihr Lächeln strahlte nun heller als die Mittagssonne im Western-Klassiker „High Noon“, was Emily sofort in Alarmbereitschaft versetzte. Denn Corinne war bekannt dafür, dass sie vor allem solche Aufträge in Euphorie versetzten, die allen anderen den Angstschweiß auf die Stirn trieben. Argwöhnisch musterte Emily ihre Chefin, deren Erscheinungsbild wie immer extrem beeindruckend war. Wasserstoffblond, mit streichholzkurz geschnittenem Haar und für eine Frau ungewöhnlich groß gewachsen, war sie sich ihrer Wirkung absolut bewusst. Seit Gründung der Francine leitete sie die Redaktion souverän und wurde bei den Mitarbeitern deshalb heimlich „Königin“ genannt. Denn auch wenn ihre Umgebung hektisch rotierte, strahlte Corinne Vallée zumeist royale Gelassenheit aus. Eine Eigenschaft, um die Emily sie heftig beneidete. Umso erstaunlicher war es, dass selbst „Ihre Majestät“ heute ihre Hochstimmung nicht verbergen konnte. Es musste wirklich etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein.

      „Du siehst aus wie die Maus, die an die Schlange verfüttert werden soll“, Corinne gluckste vergnügt, als sie Emilys zweifelnden Blick bemerkte. „Dabei habe ich wirklich ein zuckersüßes Bonbon für dich, das ich mir am liebsten selbst gönnen würde.“ Sie rollte wirkungsvoll mit ihren stahlgrauen Augen, bevor sie in bedauerndem Ton hinzufügte, „leider habe ich einen wichtigen Termin, sodass ich das Naschen dir überlassen muss.“

      „So …?“, Emily konnte ihre Skepsis nicht verbergen und war sich sicher, dass die süße Überraschung noch einen sauren Nachgeschmack haben würde. Corinne spielte Katz‘ und Maus mit ihr, das war klar.

      „Na schön“, fuhr Corinne fort, während sie ihre perfekt manikürten Fingernägel prüfend betrachtete. „Dann will ich dich nicht länger auf die Folter spannen. Ich merke ja, dass du förmlich vor Neugierde platzt.“ Betont lässig lehnte sie sich zurück und wischte ein imaginäres Staubkorn von ihrem Bein. „Ich habe beschlossen, dass du dein erstes Interview für die Francine führen wirst. Ein ganz besonderes Interview, das dich mit Sicherheit vom Hocker hauen wird.” Sie machte eine bedeutungsschwangere Pause, die Emilys Puls weiter in die Höhe trieb.

      Corinne grinste selbstzufrieden, bevor sie endlich die Bombe platzen ließ.

      „Wir haben die Zusage für ein Exklusivinterview mit Connor Leary bekommen! Und du bist die Glückliche, die ihn treffen darf.“ Erwartungsvoll starrte Corinne sie an. „Was sagst du dazu?“

      Connor Leary – das war in der Tat eine überwältigende Neuigkeit! Emily schluckte nervös. Sie spürte, wie das Blut in ihren Ohren unangenehm zu rauschen begann. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Konnte das wirklich wahr sein oder wollte Corinne sie auf den Arm nehmen? Sie linste vorsichtig zu ihrer Chefin hinüber, die offensichtlich keinen Scherz gemacht hatte, sondern auf eine begeisterte Reaktion ihrer Mitarbeiterin wartete.

      „Wirklich? Ein Interview mit Leary?“, stammelte sie unbeholfen. „Ich dachte, er gibt keine Interviews mehr. Oder irre ich mich?“

      Ihre Gedanken überschlugen sich. Soweit Emily wusste, lebte Connor Leary, einer der derzeit gefragtesten Filmstars Hollywoods, sehr zurückgezogen im Umland von Los Angeles und verweigerte konsequent jedes Gespräch mit Pressevertretern. Und jetzt sollte ausgerechnet sie, Emily Simon, mit diesem Mann ein Interview führen? Ihre Kehle war trocken wie Wüstensand und das Gefühl des Unbehagens verstärkte sich zunehmend. Wie immer, wenn ihr etwas Aufregendes bevorstand, lasteten ihre Selbstzweifel schwer auf ihr. Plötzlich schien der nervige Fashion-Bericht mehr als reizvoll zu sein. Reizvoller jedenfalls als diese delikate Aufgabe, die Corinne Vallée ihr präsentierte, als sei sie ein Sechser im Lotto – mit Zusatzzahl.

      Auf der anderen Seite, Emily atmete tief durch, könnte dies ihre große Chance sein, endlich zu beweisen, dass sie zu mehr fähig war, als Modeberichte, Kurzreportagen und Reisetipps zu schreiben. Ein Interview mit einem Weltstar – das war eine echte Herausforderung!

      „Hey, komm zu dir“, riss Corinne sie aus ihren Gedanken. „Es stimmt, Leary hat lange keine Interviews mehr gegeben, genau genommen seit der publicityträchtigen Scheidung von seiner Frau damals. Aber“, sie spielte auf ihrem Smartphone herum, „ich bin schon seit geraumer Zeit an ihm dran und jetzt kommt er endlich zu PR-Zwecken nach Düsseldorf. Also habe ich die Gelegenheit beim Schopf ergriffen.