Katharina Conti

Maresia


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wirst?“ „Eigentlich habe ich sagen wollen, dass ich nicht reiten kann und es auch nicht versuchen möchte.“ „Und warum hast du das nicht getan?“ „Weil ich die Worte so nicht finden konnte.“ „Du bist erschrocken. Hast du befürchtet, deine Schreckensvision von der Höhe eines Pferdes zu fallen könnte grausame Wirklichkeit werden?“ „Ja, ich hab alle meine Knochen brechen hören.“

      Er lacht, freut sich, ist meinen komischen Worten auf den Grund gekommen, und Robin kommt herein, fragt nach Michael und Sami, bespricht sich mit Richard. Immer ist er der Letzte, der zum Frühstück kommt, in Brasilien war das schon so, will wohl seine Ruhe; und gut sieht er aus, gut gelaunt, verkündet, dass wir in den Park gehen. Gehen, nicht reiten. Die Stiefel, eine Windel für den Notfall, Wasser, Äpfel vielleicht; und der Mann bringt alles, was ich mir wünsche in einem Rucksack. Wirklich praktisch so ein Ding, nicht mal der Name muss übersetzt werden; „bist du bereit, Robert? Können wir jetzt endlich gehen?“, und er lacht, scheint so überaus zufrieden, freut sich, dass wir uns verstehen, freut sich auf die Brötchen, und ich schaue ihn an, bin nicht sicher.

      „Kommst du mit zu den Ställen, Vicky? Die Stute ist trächtig, sie wird bald fohlen.“ „Ausgeschlossen. Nach dem Lunch bringt Viktoria Gladys bei, wie man diese Brötchen macht.“ „Brötchen, Rob? Du bringst Viktoria hierher und schickst sie in die Küche?“ „Richtig, ich bin die böse Stiefmutter und Viktoria wird Brötchen für uns machen, für uns alle, mein Junge.“ „Aber wir hatten schon keine Zeit, um zu den Steinen zu gehen und jetzt…“, „Richard, ich brauche fünfzehn Minuten für den Teig, sage Gladys, wie sie sie formen und backen muss. Kann sie das, Robert? Also? Gehen wir in die Küche?“; und wie mit der Stoppuhr in der Hand steht der Junge da, beobachtet jede Bewegung, würde kaum eine unnötige tolerieren, jedes meiner Worte verschlucken, wenn er könnte. Eigenartig, und was heisst, er hat mich hergebracht?

      „Du hast länger gebraucht, ganze fünfundzwanzig Minuten.“ „Ist das so schlimm?“ „Ja, das war eine 70 %-ige Erhöhung der von dir angegeben Zeit, und ich warte nicht gern.“ „Wenn du das sagst, wird es wohl stimmen, und du bekommst ein Extrabrötchen, als Entschädigung.“ Sieh einer an, er wartet nicht gern, der junge Herr; „Max! Was ist hinter der Tür da?! Max!!“ Wir spurten los, Richard ist der Schnellste, hält ihn auf, „du kannst hier nicht alleine rein, Max. Komm, komm mit mir. Siehst du? Wenn sie erschrecken, treten sie dich. Siehst du diese da, sie hat ein Pferdchen im Bauch.“ Warm ist es im Stall, aber Max ist zu laut, seine Stimme zu hoch, nervös verdreht sie die Augen, schielt nach uns; ich denke, dass man Trächtige besser in Ruhe lässt, nehme ihn fest an die Hand und wir gehen hinaus in den dunkel gewordenen Tag.

      Der Himmel wird gleich platzen, eilig setzt Richard Max auf seine Schultern, stürmt hinter Sami und Michael her, ich schaue hinauf in die schweren Wolken, die ich berühren könnte, wenn ich mich nur etwas streckte; und leise erst, dann immer lauter rauscht Wasser nieder, kalt fallen dicke Tropfen auf mein Gesicht, ein Ruf hallt durch den Regen, Wasser rinnt mir in den Nacken, perlt von der Krempe des Hutes, verwischt die Gestalt des Mannes und ich renne ihm entgegen, will ihn von Nahe sehen.

      Wer bist du? Und du? Wer bist du? Wo kommst du her? Wo warst du? Du; und ich sehe, wer er ist, renne, renne die Treppen hoch, ziehe mich um, andere Hose, anderer Pulli, Schuhe. Schuhe!? Was soll das? Das ist doch gar nicht wahr, kämm mein Haar, starre in den Spiegel, sehe nichts. Fünf Minuten, hat Robin nicht fünf Minuten gesagt? Und ich laufe die Treppen hinunter, durch die Halle, falle fast durch die Tür, die der Mann so plötzlich öffnet. Walter ist sein Name, behalt das einfach, und sag nichts, schau ihn nicht an, auf gar keinen Fall; und dann laufe ich neben Heather ins Kinderteezimmer, werde gleich zerspringen.

      „Armer Max, mein armer, armer Max.“ „Es tut so weh, Mami.“ Ja, das tut es und ich wiege ihn, blase auf die Beule; „er ist mit dem Stuhl umgefallen, Vicky. Richard hat noch versucht, ihn aufzuhalten, aber es ist so schnell gegangen.“ „Du musst aufpassen, mit den grossen Stühlen, Max, sie kippen.“ „Dumme Stühle“, und ich wiege ihn, singe das Liedchen, dann tut es nicht mehr weh. „Warum sprichst du Portugiesisch mit ihm?“ „Damit er es nicht vergisst; und das war nicht nett von euch.“ „Sei nicht böse, Vicky, bitte, du warst unser Versuchskaninchen, wir wollten wissen, ob du uns erkennen würdest.“ „Wie standen die Wetten?“ Grinsend hebt er die Schultern, Spitzbube, und ich bin nicht böse, nein, das wäre das falsche Wort, ich bin so, so anders.

      „Ratten, Michael, heute benützt man Ratten, und ich bin nicht gerne eine Versuchsratte.“ „Viktoria, du bist böse.“ Verlegen sieht er aus, der junge Herr, betreten. Prinz, Viktoria! Nicht Herr; und ich spüre Max’ Wärme auf meinem Schoss, lege meinen Kopf auf sein Köpfchen, halte ihn fester, halte mich fest auf dem Boden. „Vicky?“ „Nein, ich bin nicht böse. Ich frage mich nur, ob bei euch die Stelle des Hofnarren noch frei ist.“ Sami will wissen, warum sie lachen und ich will es nicht sagen, erfinde etwas, es ist nicht wichtig.

      „Spielen wir das Schatzsuchespiel? Mami? Du hast es doch mitgebracht?“ Mit Händen und Füssen macht er Michael klar, um was es geht, „Mami, was heisst Spiel?“ Ich übersetze, wir gehen nach oben, spielen das Schatzsuchespiel und ich gewinne sie alle. Glück im Spiel, Pech in der Liebe, ja, so sagt man, ziehe eine Karte, werde endlich verlieren, todsichere Sache. Wetten schliessen sie ab und ich spüre Augen im Nacken, seine Augen, die Luft wird schwül, schwer zu atmen; und was will er von mir? Ich habe keinen Einsatz, habe nichts zu verlieren, spüre Max’ Zähne wie kleine Messer in meinen Arm schlagen und ihre Stiche vermischen sich mit dem Schmerz in meiner Brust, dem Schreck in meinen Gliedern, ich stehe auf, gehe meinen Mutterpflichten nach, habe nichts zu verspielen.

      „Geht ihr weg?“ „Nein, wir sind unten.“ „Das ist ein grosses Haus.“ „Wir sind unten, Sami, du musst nur die Treppe runtergehen, dann findest du mich schon.“ „Er ist nett.“ „Wer?“ „Michael, und Richard auch.“ „Ja, und jetzt mach vorwärts, ich muss noch duschen.“ Schnell spült er sich den Mund aus, macht sich auf den Weg, „dürfen wir wieder in deinem Bett schlafen?“ „Ja.“ „Bleibst du noch ein bisschen?“ „Ein bisschen.“ „Michaels Vater ist sehr streng.“ „Mhm.“ „Er sieht dich immer an.“ „Wer?“ „Michaels Vater.“ „Hm.“ „Was machen wir morgen?“ „Richard hat gesagt, dass es im Wald eine Menge grosser Steine gibt. Da wollen wir hingehen.“ „Kommt er auch mit?“ „Wer?“ „Michaels Vater.“ „Kaum.“ Wir liegen auf dem Bett, Max sitzt auf meinem Rücken, will das Joggelispiel. Joggeli kannst du reiten? Ja, ja, ja. Ich bin das Pferd, er ist der Joggeli und ich werfe ihn ab, immer wieder, ein letztes Mal; Sami braucht sein Kassettengerät, es steht im Kaminzimmer, Wasser brauchen sie auch noch, ich brauche mein Kleid, die Schuhe, Unterwäsche, ziehe die Tür zu, lasse einen Spalt offen, ein Schimmer Licht für die beiden.

      Wer bist du? Und du? Wer bist du? Ein Gesicht haben die Augen bekommen und ich werde Kopfschmerzen bekommen, fürchterliche Kopfschmerzen, mich hinlegen, hungrig; mache mich bereit, gehe hinunter, weiss, dass ich es nicht hätte tun sollen, als ich ihre Augen schaue, meine Vernichtung erblicke; und Robin hilft nicht! Warum auch? Er ist ein Jäger, das hier die Gelegenheit für leichte Beute, und ich möchte ihn prügeln, ohrfeigen! Das würde auch nicht helfen, sie sind alle gegen mich, alle, ausser Lucie. Nicht alle. Doch! Alle zusammen! Also gut, er sitzt auf der Mauer, ist neutral; und heiss kocht es auf, das Schweizer Urblut meiner luzernischen Grossmutter. Zwerge sind wir, und das wissen auch schon alle, Zwerge hinter den Sieben Bergen. Wo sonst sollen sie leben, wenn nicht in Stollen unter dem Fels, ihre Schätze hütend, um sich freizukaufen von der Schuld nicht zu bluten, wenn Riesen sich die Köpfe einschlagen, oder so ähnlich; vielleicht auch ganz anders, im Moment bin ich die Schweiz, genau, Mutter Helvetia umzingelt von Feinden. Ah Rob, du hast vergessen deinem Diener zu sagen, er soll die Fettnäpfchen wegstellen. Wie ungeschickt.

      „Kommen Sie, Mrs. Tavares, ich helfe Ihnen.“ Er nimmt Sami auf die Arme, trägt ihn die Treppe hoch, ich trage das Kissen, das eine Wäsche dringend nötig hätte, nur riecht es dann nicht mehr und es dauert, bis er sich beruhigt, bis es wieder riecht nach ihm; laufe voraus, öffne die Tür, die zum Schlafzimmer, und geübt lässt er Sami ins Bett gleiten, ich decke ihn zu, mein Bübchen, lege das Kissen an seine Wange, sage ihm, dass ich hier bin. „Brauchen Sie noch etwas, Mrs. Tavares?“ „Nein, nein, vielen Dank, gute Nacht“, schliesse die Tür hinter