Katharina Conti

Maresia


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meinen Arm, „ich bin Viktoria Tavares, eine ganz gewöhnliche Frau und Mutter, und Sie, Sie sind ein Prinz und ein Gentleman, hoffe ich, weil wir müssen gehen, sonst verpass ich meinen Flug und komme in die Hölle morgen. Das ist so, bitte, glauben Sie mir, und da! Sehen Sie? Die Wolke? Wir werden nass!“ Er lacht, überreicht mir das Blatt, wir gehen schneller.

      Habe ich alles eingepackt? Das Kissen, ja, das Nuschi, ja, habe Durst, grossen Durst, muss noch in ein Flugzeug steigen, weiss nicht, ob ich das schaffen werde, „Mami?“ „Hm.“ „Kann Michael einmal zu uns kommen?“ „Ja, ja.“ „Wann? In den Frühlingsferien?“ „Was?“ „In den Frühlingsferien? Mami?“ „Was? Nein.“ „Aber du hast doch eben gesagt“, „Sami, ich will nicht sprechen, bitte, auch nicht mit dir.“ „Vicky?“ Lasst mich in Ruhe! Ich muss in einen Flieger! „Viktoria?“ „Was?“ „Kannst du Ski fahren?“ „Ski fahren?“ Warum soll ich nicht Ski fahren können? Aber zuerst muss ich in ein Flugzeug und er grinst immer noch, dieser lustige Junge, hält mich fest und ich lasse mich halten von diesen Kindern, sollte gehen, möchte bleiben. Hier, bei dir. Für immer. Immer so. Nein. Nicht so. Nicht in der Halle; und ich ziehe seinen Geruch ein. Er riecht so gut.

      Präsenz markiert mein Magen, das Ding steigt immer noch, das blöde Zeichen ist noch an, rauchen darf man auch nicht, und Max schreit voller Schmerz; es tut so weh. „Halt die Nase zu, Max. Ganz fest. So.“ Ich blase in meine Ohren, der Druck lässt nach, denke, dass ich schon lange nicht mehr rauche, dass es in keinem Flugzeug mehr erlaubt ist zu rauchen; und das Zeichen erlischt, ich hole Wasser, Max leert es aus und Sami will zu den Piloten. „Frag die Frau, Mami.“ „Frag du die Frau. Ich will nicht zu den Piloten.“ Nie tue ich etwas für ihn, nie, gemein, wie ich bin; und er fragt und Max will auch zu den Piloten.

      „Du rührst nichts an. Hast du verstanden? Du wirst mir deine Hände geben und ich werde sie festhalten und du wirst nur schauen. Sonst gehen wir nicht.“ Ernst und ruhig spreche ich Portugiesisch, damit sich niemand aufregt, fange wieder von vorne an, wir treten ins Cockpit, „Mami! Es blinkt!“ „Ja, ich sehe es.“ „É Brasileira?“ Er hat den schweren Akzent der Schweizer, lacht, freut sich. „Nein, nein, ich bin aus Zürich.“ „O meu pai é Brasileiro.“ Ganz leicht nur ist sein Akzent und wir lachen, haben etwas gemeinsam mit dem Piloten. Eine Freude, eine Erinnerung vielleicht an ein Lied, ein Tag am Meer, eine Nacht in São Paulo, Baile Gay in Rio. Wer weiss?

      “Was ist das?“ „Das ist der Höhenmesser.“ „So hoch sind wir?“ Sie sprechen Schweizerdeutsch, verstehen sich, ich schaue auf den Höhenmesser!! Das sind keine Meter, Viktoria, Kuh, kannst ausatmen; „sehen Sie die Alpen?“, und wie die abgebrochenen Zähne eines uralten Gebisses ragen die Gipfel aus den Wolken, wie Kliffe, Riffe in einem aufgewühlten Meer aus flockigen Wellen. Beunruhigend.

      „Kann ich noch gamen?“ „Fünf Minuten.“ „Mami! Es ist erst halb neun.“ „Fünf Minuten.“ Was heisst hier erst halb neun, schon halb neun ist es, und ich gehe hoch in mein Zimmer, gehe wieder hinunter. „Los, kommt. Zähne putzen.“ „Spinnst du?! Du hast gesagt fünf Minuten! Du bist eben erst hochgegangen!“ „Sprich nicht so mit mir!“ Er wirft das Gerät hin, steht auf, weint vor Wut. „Das ist ungerecht! Du hast gesagt fünf Minuten!“ Das ist es, ja, ungerecht. Unrecht. Nicht richtig. Falsch; „Sami, ja, also gut, fünf Minuten.“ „Ab jetzt.“ Ach, vergiss es, und ich packe Max, hebe ihn hoch, kommt halt dieser hier zuerst, und er brüllt, tritt, schlägt, versucht zu beissen; ich hebe ihn noch etwas an, blase auf seinen Bauch und er schreit auf, ich blase noch einmal, er gurgelt, lacht, wird fügsam, will die Geschichte vom Krokodil, der Katze und der Feuerwehr; und Sami kommt herein, findet sie doof, echt doof, weil es gar keine Krokodile gibt an unserem Bach. „Du bist doof, Mongo!“ „Halt doch du dein Maul, du Furz!“, und Max packt etwas, es fliegt, Sami schreit, weil es ihn fast getroffen hätte, das Auto, fast!

      „Raus!!“ „Es hat mich fast am Kopf getroffen, hirnamputierter Idiot!“ „Mongobilly, Mongobilly!“ „RAUS!!“, und ich denke, dass ich durchdrehe, jetzt gleich, sie totschlage, alle beide, lasse Max, wo er ist, zerre Sami aus dem Zimmer, hinein in sein eigenes; „du wolltest deine fünf Minuten, und die sind noch nicht vorbei! Treib mich nicht zu weit, Samuel! Nicht heute!! Ich werde so wütend, so wütend, wie du mich noch nie gesehen hast! Verstanden?!“ Und irgendwie schaffen wir es, bringen es irgendwie fertig; sie respektieren meine Grenzen, ich bin mir ihrer bewusst wie nie. „Dürfen wir in deinem Bett schlafen?“ „Aber nur heute“, und ich gehe mit, will nur noch träumen.

      Fünf Minuten noch; und schon wieder tutet es, meine Hand sucht tastend nach dem Knopf, drückt ihn. Noch einmal, bis zehn nach; und ich erwache, sehe das Licht. „Sami! Steh auf. Jetzt gleich! Ich hab’ verschlafen“, rase aus dem Bett, hinunter in sein Zimmer, hinauf, werfe ihm seine Kleider hin, „zieh dich an, schnell“, rase in die Küche; heisse Milch, Ovi, Apfel waschen, heute ist Montag, Schwimmtag! „Hast du dein Schwimmzeugs bereit? Sami?!“, rase wieder hoch und er schläft immer noch, sitzend. „Komm, Sami, komm“, stöhnend öffnet er die Augen, ich helfe ihm beim Anziehen, „beweg dich, bitte, ich bin nicht dein Ankleider. Wo ist dein Schwimmzeugs?“

      Er brummt, Max schläft, ich knurre, schiebe ihn hinaus, die Treppe hinunter, mürrisch setzt er sich hin, trinkt lustlos seine Ovi. Autoschlüssel? Schwimmzeugs? „Los, komm, die Jacke. Wo ist deine Mütze schon wieder? Mann, wann endlich legst du deine Sachen ordentlich hin, damit man sie am nächsten Tag wieder findet?“, und er motzt, ich suche die Mütze, lasse ihn motzen. Es ist nicht seine Schuld. „Wo sind meine Stiefel?“ „Weiss ich das?“ Noch nicht ausgepackt, Schlampe, ich schlüpfe in ein Paar Turnschuhe, wir rennen zum Auto, fahren den Berg hoch, dann knallt die Tür und frierend sitze ich da, sehe ihm nach, wie er über den menschenleeren Pausenplatz trottet; Max! Ich muss zurück, rase los, stelle mir vor, wie er aufwacht, ruft, keine Antwort bekommt. Immer wieder ruft er, immer ängstlicher; „ich bin hier, Max“, renne die Treppen hoch und eingewickelt in die Decke, vergraben bis zum Haarschopf schläft er selig. Los, weiter, ins Bad, duschen, Haare waschen, Flugzeuge verdrecken einem die Haare, schnell muss es gehen, und ich drehe das Wasser auf, heiss, so heiss wie möglich, lasse es dampfen, heiss und feucht.

      Wer bist du? Und du? Wo warst du? Ich vermisse dich. So lange schon. Du; „Viktoria, ich bin hier!“ Die Schulbehörden! Die Präsentation! Ich komme zu spät! Er bringt mich um! Nein, ich bin krank, sehr krank, renne zum Telefon, tropfe einen See auf den Teppich; „Thommy? Ich komme zu spät.“ „Verflucht, Vicky! Das kannst du nicht machen!“ „Hab ich schon!! Sag den Leuten, Max hat Bauchgrippe. Sag ihnen, ich bin allein erziehend, die verstehen das, es sind Lehrer, die leben von Leuten wie mir. Sag ihnen, ich war die ganze Nacht auf. Sag ihnen, das Kindermädchen hat den Bus verpasst. Verdammt! Klick was an! Ich bin unterwegs!“

      „Es tut mir so leid, das geschieht einfach, höhere Gewalt sozusagen“, und ich setze mich hin, möchte eine Zigarette, breite meine Sachen aus. „Sie sind allein erziehend, Frau Tavares?“ „Ja.“ Ich gehöre auch zu denen, wage ein zerquältes Lächeln, bin bereit, lege die CD ein; „also, ich habe aus dem Lehrmittel eine Art Videospiel gemacht, in dem die Kinder auf dem Weg zu den Lösungen Punkte sammeln können, Leben verlieren und so weiter, wie in einem Game“, klicke und klicke, spiele es durch, gewinne, habe ja schon Englisch gelernt in der Schule. „Könnte das nicht vermehrtes Konkurrenzdenken auslösen?“ Oh Mann, lasst es doch gleich bleiben, und gerade noch rechtzeitig fällt mir ein, dass ich nicht dafür bezahlt bin, Grundsatzfragen zu diskutieren, lasse sie schwatzen; du, bleib bei mir. Fass mich an. Halt mich fest. Lass mich nicht gehen, „Frau Tavares?“, und ich schaue mich um, setze mich auf, bin das kleine Mädchen, das keine Ahnung hat, was der Lehrer eben wissen wollte.

      „Ich glaube, ich hatte eine Absenz, tut mir leid.“ Wenn ich nur wüsste, was Thommy denen erzählt hat, sende ihm ein Lächeln, „wie geht es Max?“, sende ihm noch eines, „es geht schon. Danke. Also, machen wir weiter? Wo waren wir?“ „Die Musik gefällt mir nicht, der Verlierertitel. Das ist verletzend für die Kinder.“ Sie schwatzen schon wieder, haben natürlich Recht, ich werde die Musik ändern, sehe Olli rumlungern, schicke ihn nach Gipfel für alle, nach Kaffee mit heisser Milch. Er ist ein moderner, junger Mann, er kann das; ‚eigentlich müsstest du mich Sir nennen.’ Oh nein, nein! Reiss dich zusammen! „Da fällt