Katharina Conti

Maresia


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Steine in ihr Fach, den Deckel auf die Schachtel, die Schachtel in die Tasche.

      Haben sie nicht aufgeräumt weil sie Prinzen sind, oder wie ist das jetzt? Ach, vergiss es, und ich gehe zu Sami und Max, lege mich hin, höre ihnen beim Atmen zu; „lass mich, Dummkopf!“ Armer Max, sogar im Traum muss er sich wehren und ich habe vergessen die Zähne zu putzen, mich abzuschminken, stehe auf, gehe ins Bad, stehe vor dem Spiegel.

      Wer bist du? Und du? Ich kenne dich, suche dich, so lange schon. Du; und ich öffne den Hahn, lasse das Wasser laufen, bis es warm ist, wasche mir die Schminke vom Gesicht, sehe mich an. Schminke ist wie Kokain, man braucht immer mehr davon, jeden Tag, immer mehr, dann geht die Haut kaputt, die Seele, und man braucht noch mehr Schminke. Lass den Blödsinn, Viktoria, und auf halbem Weg zurück ins Bett fällt mir ein, dass ich die Zähne noch immer nicht geputzt habe, kehre um, hole es nach, lege mich hin.

      Unten ist eine Bibliothek. Ich kann kein Buch lesen in einer Nacht. Dann denk an etwas Schönes, und ich denke an Paraguay, an den kleinen, dicken General, der sicher nur ein Sargento gewesen war, einfach nur gebrüllt hatte wie ein General, denke an die Angst, spüre sie in meinem Bauch. Angst vor seiner Waffe, Angst, dass er mir etwas tut, Henrique hätte mir nicht helfen können, Angst vor seiner Angst. Denk an etwas Schönes, die Fälle, ja, er kennt sie, und sie sind schön, unglaublich schön. So viel Wasser. Nach Urwald hat es gerochen, hat zu regnen begonnen, weicher Regen, warm auf der Haut, und wir sind gerannt, sind auf den Fotografen gestossen. Kleine Fotos macht er, klebt sie auf Aschenbecher, Schlüsselanhänger, hat uns fotografiert, uns den Film gegeben. Ich habe es noch, das Bild, die Fälle sind nicht zu erkennen, sind eins geworden mit den Wassern des Himmels; und leise stehe ich auf, trete hinaus auf die Galerie, fühle mich beobachtet von den vielen Menschen auf den vielen Bildern, schleiche über die Treppe hinunter in die Bibliothek. Warm ist sie nach der Kühle der Halle und ich drehe das Licht auf, gehe etwas ran an die vielen dicken Bücher, möchte ein kleines, dünnes Büchlein, eins für eine Nacht.

      „Suchen Sie etwas Bestimmtes, Mrs. Tavares?“ Ja, das tue ich, und der Boden wird kalt unter meinen Füssen. „Sie mögen keine Schuhe?“ Sieh ihn bloss nicht an! „Ja.“ „Ja, was?“ „Ja, ich suche etwas Bestimmtes, und ja, ich mag keine Schuhe, und Sie haben mich erschreckt. Hoheit.“ „Ich bin auch erschrocken, als plötzlich das Licht anging. Wollen Sie mir sagen, was Sie suchen, Mrs. Tavares?“ Nein, will ich nicht! „Nun?“ „Etwas kleines, leicht zu lesen.“ „In einer Nacht?“ „Kurzgeschichten. Vielleicht hat Robin so was.“ „Warum nennen Sie ihn Robin?“ Warum soll ich ihn verdammt nicht Robin nennen? Ach, hol’s der Teufel! „Es ist etwas kürzer. Hoheit.“

      „Nehmen Sie dieses hier.“ Er hält es mir hin, ich muss es nehmen, aber dann muss ich ihn auch ansehen; „erlauben Sie, dass ich Ihnen noch eine Frage stelle, Mrs. Tavares?“ Nein! „Warum wollte der Mann Sie blossstellen?“ Welcher Mann denn? Und warum fragt er? Weiss er es nicht? „Ich weiss es nicht“, schaue ihn an und die Frau kommt herein, ich nehme das Buch aus seiner Hand, „Kurzgeschichten. Rob hat so was“, sage danke, schaue auf die Frau, „gute Nacht“, suche ihre Augen, denke, dass die eines Hais auch so aussehen könnten, gehe frierend durch die hohe Halle, die endlos lange Treppe hoch. Zerfleischen will sie mich, zerfetzen, und ich presse das Büchlein an meine Brust, als könne es mich beschützen.

      Wie kommt sie zu dem Hass? Zu so viel davon? Ist er angewachsen durch die Zeiten, weitergegeben von Mutter zu Tochter, geschürt durch die Angst den Platz zu verlieren, den einzigen, der dem Frauenleben Sinn geben konnte? Was waren wir denn ohne Mann? Nichtsnutzige Weiber, vertane Materie, überflüssig, seelenlos. Das durfte es nicht geben, die unbemannte Frau, lächerliche Figur, die niemand will; alte Jungfer, Hure, Hexe, die ihn verzaubert, ihn verdirbt. Soll sie brennen! Ah, so viel Hass; und leise schliesse ich die Tür hinter mir, lege das Büchlein auf den Tisch, schenke mir ein Glas Wasser ein, trinke es aus, fülle es erneut, nehme es mit zum Feuer. Einmal ja, da war das anders, vor langer Zeit. Da wurden wir geehrt und geachtet, unsere Körper verehrt als Spender des Lebens, waren noch nicht gebrandmarkt als Ursprung allen Übels, auf dass man sie verschachern konnte, missbrauchen, schänden und verbrennen; und ich schaue in die Glut, denke, dass ich manchmal meine, mich zu erinnern. Und warum hat der Mann mich blossstellen wollen?

      ‚Sie werden nicht schlafen können, Viktoria. Das ist schon Ihr zweiter Kaffee und erst noch schwarz.’ ,Mach dir um Vic keine Sorgen, Ryan, wenn sie nicht schlafen kann, dreht sie sich einen Joint. Komm, du hast mir erzählt, wie du Gras nach Brasilien geschmuggelt hast.’ ‚Sie haben Pot geschmuggelt, Viktoria? Das ist ja nicht zu fassen! Wie haben Sie das gemacht?’ Eine Binde hatte ich aufgeschnitten, eine Ferienration hineingestopft, zugeklebt, benutzt. Wer würde schon eine Mutter mit zwei Kindern aufhalten und einer Leibesvisitation unterziehen, und mit der Brille sehe ich eh seriös aus. ‚Ich hatte es in meine Hosentasche gesteckt.’ ‚Sie haben Pot hierher gebracht?’ ‚Nein, natürlich nicht. Ich bleibe nicht drei Wochen hier.’ ‚Und wie wollen Sie einschlafen heute?’ ‚Ich trinke noch einen Kaffee.’

      Etwas blosser noch hätte er mich stellen können, vielleicht ist er ja doch ein Freund, hat nie etwas anderes sein wollen, war meine Einbildung pure Eitelkeit. Verdächtig hingegen das Interesse seines Neffen an meinen Schmugglermethoden, sehr verdächtig; und ich leere das Glas, etwas hoch für ein Näpfchen, etwas zu schmal, drehe es in meiner Hand, denke an das Mädchen, das ich einmal war, mein Schulweg sein Schiff, der Ozean, die Strasse des Magellan, er mein Held, mein allergrösster Held; und wir umsegelten die Welt, kaperten portugiesische Karavellen, brandschatzten die Spanier. Für die Königin. Er war ja doch ein edler Pirat gewesen; und ich lege mich zu den Kindern, schlafe ein, träume von dem Mann, von dem ich immer schon geträumt habe und als ich aufwache, kann ich mich zum ersten Mal an sein Gesicht erinnern.

      „Sie hat gefohlt heute Nacht.“ Sami nickt aufgeregt. „Hast du das verstanden?“ „Das Pferdchen ist auf die Welt gekommen.“ Kaum Zeit zum Essen hat er und zu gerne würde ich wissen, ob der Grund für diese Eile das Pferdchen ist oder der Mann, der mit uns frühstückt, die ganze Luft für sich alleine braucht. „Kann ich vom Tisch, Mami?“ „Warte, bis die anderen fertig sind.“ Rührend kümmert er sich um Max, hilft ihm mit dem Ei; nur weg hier! „Viktoria, können wir vom Tisch?“ „Bitte, Vicky, wir waren noch nicht im Stall.“ „Von mir aus“, und als hätte er die ganze gestohlene Luft auf einmal ausgestossen, lachen wir plötzlich. Richard nimmt Max an die Hand, zusammen machen sie sich aus dem Staub, erneut wird sie dünn und zäh verteidige ich das bisschen, das ich zum atmen brauche, vergeude es mit keinem Wort, dann geht die Tür. „Kommst du, Vicky?“

      „Was hat er zu dir gesagt?“ „Wer?“ „Paul.“ „Nichts.“ „Gut, er ist ein schrecklicher Langweiler und er wird meinen Vater anmachen, weil wir uns duzen.“ Weil wir uns duzen, klar, ist ja auch furchtbar; aber er geht mich nichts an, dieser Junge, seine Nöte, sein Vater, beschleunige meine Schritte, „wo ist Max?“ „Heather ist bei ihm.“ Ausgerechnet, die ist sich kleine Jungs nicht mehr gewöhnt, nicht so kleine, und ich will nicht, dass er vom Pferd getreten wird, gehe noch schneller; aber dann hält er sich an Sami und Sami hält ihn fest an seiner Hand. In respektvoller Entfernung vor dem grossen Tier und seinem Jungen stehen sie da, schauen zu, wie es säugt.

      „Ich glaube, wir sollten zurück. Sandra ist abgereist und Lady Schwester wird ihr sicher folgen.“ „Ah, Schwestern sind das!?“, ärgere mich, weil sie mich doch nichts angehen, diese Leute, und Heather kommt uns entgegen, zerzaust irgendwie; die Jungen müssen ins Haus, „ja, Schwestern, und vielleicht kommt Dad jetzt mit zu den Steinen, er“, „warte! Machen wir ein Rennen. Zieht die Stiefel aus, los, wer zuerst am Ende der Halle ist. Komm Max, ich helfe dir“, sage alles noch einmal, bin sehr beschäftigt, habe keine Zeit, mich über Steine zu unterhalten, über Väter; „seid ihr bereit? Auf die Plätze, fertig, los!“ Glatt wie ein Eisfeld ist der Boden, ich sehe Türen gehen, Menschen, seine Augen, kann nicht bremsen, würde fallen, fliege durch die Halle seiner Berührung entgegen; eine Umarmung! Eine einzige nur, und Rob gönnt sie mir nicht! Elender Spielverderber; doch sie gehen, alle gehen sie weg, nur er bleibt hier, kommt mit in den Wald; Bauchschmerzen! Ich sollte fürchterliche Bauchschmerzen bekommen!

      „Wie war das Dinner gestern?“ „Sehr gut. Ich würde Gladys gerne etwas in die Töpfe kucken“, laufe davon