Bereiche seines Körpers mehr erholsame Pausen anfordern, als sein Verstand registriert? Der HNO-Arzt würde ihm, falls er sich dort vorstellte, sicher einen Tinnitus bescheinigen. Aber das will sich Hermann nicht antun wollen. Er kann sich einen Tinnitus selber bescheinigen, dann ist der Tinnitus zu ertragen. Außerdem will er sich nicht noch eine Malaise vom Arzt anhängen lassen. Die eigene Diagnose verleiht seinem Tinnitus etwas Vages, umgibt alles mit einer Wahrscheinlichkeit, aber setzt keine Gewissheit. Eine Gewissheit ist ohne Hoffnung auf Besserung. Die Wahrscheinlichkeit ist ergebnisoffen. Damit kann Hermann sehr gut auskommen. Vielleicht sollte Hermann nicht kompliziert denken und schreiben, sondern einfacher formulieren. Das könnte seinen Zustand schon verbessern und die hohen schleifenden Schwingungen im Kopf könnten abnehmen. Vielleicht lädt sich Hermann zuviel auf seine Schultern. Vielleicht gibt Hermann zuviel von sich preis und ist darüber immer wieder unsicher, ob das richtig ist, was er da macht. Wenn ein menschliches Wesen immer wieder unsicher wird, zersetzt sich sein Gefüge und es bekommt psychische Defekte, rote Flecken am Hals oder eine geschwollene Leber. Hermann ist frei davon, aber er hat eben den einen singenden Ton im Ohr. Ausgesucht hat er sich den Ton nicht. Der Ton kam von selbst wie ein zugelaufener Hund. „Er kann bleiben“, sagt Hermann am Morgen und schreibt weiter nach dem Morgenkaffee und wird am Abend dann agen: „Ich habe etwas geschafft, ich bin vorwärts gekommen mit dem Schreiben an meinem Text.“ Hermann schreibt jeden Tag an seinen Geschichten, wenn er ungestört bleiben kann. Und er ist jeden Tag verheiratet mit Lisa, ziemlich lange schon. Der Umstand der Ehe wird hier noch einmal ausdrücklich erwähnt, obwohl er bereits durch mehrere Andeutungen auf die Person der Lisa und die Vergleiche zwischen den Ansichten beider Eheleute im vorangegangenen Text festgestellt werden konnte. Das Wort ‚verheiratet’ fand bisher keine sinnvolle Verwendung. Nun an dieser Stelle ist das Wort in seiner Bedeutungsganzheit nicht mehr zu umgehen, da der Begriff Störung gefallen ist. Es gibt eine amüsierende Verbindung zwischen Lisa und dem Vorgang der Störung in Hermanns schreibendem Dasein. Dazu wird aber bei Gelegenheit mehr ausgeführt, auf einigen Seiten zuvor wurde bereits etwas darüber gesagt, allerdings einseitig, zugegeben, nämlich nur aus der Sicht des Hermann. Wer will, kann sich dennoch ein Bild von den beiden machen und entweder noch einmal vertiefend zurück blättern oder weiter lesen. Das alles musste hier mit etwas gewollter Ausführlichkeit und, wie man gewiss bemerkt, mit einem verschmitzten Lächeln noch angefügt werden, bevor Hermanns Gedankenwelt wieder den Duktus der Zeilen bestimmen wird, wie den in seinen ersten beiden Sätzen am Anfang der Geschichte auf der Seite eins.
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