Manuel Wagner

Ich bin normal, nur ...


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eine Axt im Rücken, denn Tradition und Gewohnheit sind den Soziomanen irrsinnig heilig. Und denke einmal an die Großunternehmen, die an verarbeiteten Fleischwaren verdienen.«

      »Was soll das denn jetzt mit der Axt im Rücken?«

      »Das ist für die Leser unterhaltsamer, als bloßes umbringen oder erschießen.«

      »Wirklich?«

      »Denk mal genauer darüber nach.«

      Hündchen denkt nach. Hündchen lacht. Wurstreste werden zwischen seinen Zähnen sichtbar. »Haha, du hast recht.« Mit dem Mund wieder voll mit Wurst nuschelt Hündchen: »Naja, aber es ist doch alles halb so wild.«

      Hündchens Anblick macht mich wütend. Schlimm genug, dass Hündchen vor mir eine Wurst isst, aber wieso sieht Hündchen dabei so glücklich aus? Der Geschmack in meinem Mund zwingt mich, das Essen schnell runterzuschlucken und meine Tirade fortzusetzen. »Du lernst einfach nicht dazu. Würde es Gewohnheit oder Tradition sein, Asbest zu schnupfen und es eine Asbestschnupf-Industrie geben, würden die von der WHO ähnlich reagieren. Niemand von den Soziomanen würde sich das Asbestschnupfen schlecht reden lassen. Studie um Studie würde gefälscht werden, bis keiner mehr weiß, was richtig und was falsch ist. Selbst wenn die begeisterten Asbestschnupfer eines Tages die krebsfördernde Wirkung zugeben müssten, würde ihnen noch etwas einfallen, um den tödlichen Konsum zu rechtfertigen. Ein Krebsforscher hat letztens wirklich behauptet, Krebs wäre ein gnädiges Todesurteil, weil er den Patienten beim Dahinsiechen genug Zeit lässt, sich von der Welt zu verabschieden. So etwas würden sie geschickt nutzen, um Werbung für Krebs und für ihr Produkt zu machen. Und wenn das alles nichts nützt, würde die Axt eines entlassenen Asbestschnupf-Mitarbeiters früher oder später den Weg in den Rücken eines WHO-Angehörigen finden. In einer soziophoben Welt hingegen könnten weder Tradition noch Geld noch Macht siegen, sondern Wissenschaft dürfte noch Wissenschaft sein. Iss ruhig deine Wurst! Schnupfe nur dein Asbest! Wir stellen die Krebsforschung ein und sterben alle einen frühen Tod, denn in einer Welt voller Idioten, will sowieso keiner leben. Krebsforschung ist doof, die macht uns nur alles madig. Also schaffen wir sie ab!« Ich untermale meine Aussage mit wahnsinnigem Gelächter. »Auf sowas können nur Soziomanen kommen.«

      Hündchen meint trocken: »Ich liebe Wurst trotzdem.« Als es das letzte Stück aufgegessen hat und ich gelernt habe, mir die Nase zuzuhalten, während ich diesen undefinierbaren, modrigen und zerkochten Brei herunterschlucke, hebt sich meine Stimmung. »Das kannst du auch, aber leider kommt irgendwie keiner der Sozialsüchtigen darauf, Wurst zu produzieren, die keinen Krebs auslöst, genau so wenig wie Asbestschnupfer auf die Idee kommen würden, Asbest so zu ändern, dass es keinen Krebs auslöst. Sie haben viel zu viel Angst, dass Wurst plötzlich nicht mehr der Tradition entspricht. Also stirbt man lieber an Krebs und schlägt Äxte in die Rücken der WHO-Forscher.«

      Hündchen lacht.

      Ich kann nun beinahe schmerzfrei lachen. Wir lieben gemeinsam meinen Wahnsinn, aber es ist kein Wahnsinn. Ich stelle doch nur sarkastisch die Wahrheit über die Realität dar.

      Genesungsgeschenk

      Mit großen treuen Augen sieht mich Hündchen an. Was hat es sich denn dieses Mal ausgedacht? Oh nein! Es hat etwas mitgebracht. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich bin völlig verunsichert, weil ich mit vermeintlichen Freundschaftsgesten gerade nichts anfangen kann. An die Besuche habe ich mich gewöhnt. Sie erfolgen regelmäßig zur abgesprochenen Zeit. In der Woche nachmittags um fünf und am Wochenende um elf Uhr. Hündchen schläft halt gerne aus.

      Aber was soll das heute? Warum hat es so etwas mitgebracht? Es soll wohl ein Geschenk sein. Zumindest sieht das Objekt so aus, wie man sich gemeinhin ein Geschenk vorstellt. Es ist rechteckig, in pastellbuntes Geschenkpapier verpackt. Eine silberne Schleife ziert den verpackten Gegenstand. Was für eine unnötige Verschmutzung.

      »Muss dieser Müll sein?« Ich deute auf Schleife und Verpackung.

      »Es handelt sich um Recyclingpapier aus dem Bioladen.«

      Ich versuche trotzdem wütend zu wirken, aber ich glaube, ich freue mich eigentlich. »Naja, die Schleife ist sicherlich nicht ökologisch!«

      Hündchens Blick wirkt irgendwie verschlagen, wissend, seltsam spannungsgeladen… Ich versuche vergeblich, den Blick zu lesen. Er wirkt überheblich und freundlich zugleich. Irgendetwas Unerwartetes wird wohl gleich passieren, wenn ich das Geschenk aufmache. Als ich das Päckchen in der Hand halte, fühle ich bereits, was es ist: »Ah, wie unspektakulär! Ein Buch für meine Sammlung.«

      Hündchen verändert seinen Gesichtsausdruck nicht.

      »Was für eine Sammlung?« Hündchen spielt mein Spiel mit.

      »Bücher von Autoren, die schlechter sind als ich.«

      Hündchen grinst. »Wieso bist du dir so sicher?«

      »Es ist ganz bestimmt ein Buch. Und egal was für ein Buch das ist, meine Aussage trifft auf jeden Fall zu, selbst wenn es dein eigenes Buch sein sollte. So ein Psychoschmarrn, kann es mit meinem Talent nicht aufnehmen.«

      Ich strecke Hündchen die Zunge raus. Hündchen lacht. Hündchen lässt sich von mir nicht ärgern.

      »Soll ich es auspacken?«

      »Ja, sicher.«

      »Jetzt?«

      »Mach schon! Ich möchte dein Gesicht sehen.

      »Häh? Denkst du, ich habe gerade eine Maske auf und wenn ich das Geschenk aufmache, fällt die Maske runter?«

      Ich habe wirklich nicht verstanden, warum es glaubt, mein Gesicht erst gleich sehen zu können. Hündchen verdreht die Augen. Egal. Ich reiße das Papier auf. Ungeschickt. Die Geschenkverpackung kann man nicht wieder verwenden. Das Buch befindet sich nun direkt vor meinen Augen. Ich verstehe erst nicht, was ich da sehe.

      »Und überrascht?«

      »Hau ab!«

      Keine Kontrolle. Keine Verantwortung.

      Scheiße! Verdammte scheiße! Es ist total peinlich. Nicht genug, dass ich bei allem was ich tue auf andere Menschen angewiesen bin. Krankenpfleger, Ärztinnen behandeln mich wie ein Baby, ein scheiß vollgeschissenes Baby. Jetzt flenne ich auch noch wie ein Baby. Da ich mich zum Lesen aufgesetzt habe, laufen mir meine Tränen über das Gesicht, über den Oberkörper und schließlich über meine verbundene, noch immer schmerzende Stichwunde. Der Verband saugt die Tränen auf. Nur atmen müssen sie nicht für mich! Das darf ich noch alleine, aber auch das würden sie mir, ohne mich zu fragen, nehmen! Bis gerade eben, dachte ich, ich bin auf dem Weg der Besserung. Doch als ich kraftlos einschlief, Hündchen dann weg war und ich irgendwann aufwachte, lag es da:

      Mein Buch in einem wunderschön gestalteten und völlig passenden Einband, so als hätte ich das Design selbst ausgewählt. Ich habe es mir vielleicht nicht exakt so vorgestellt. Ich bin sowieso kein visueller Mensch, aber ich weiß, dass ich genau diesen grünen mit Schafen gespickten Einband unter tausend Vorschlägen ausgesucht hätte. Es ist so genial, dass die weißen Schafe einen Wolf bilden und mich das schwarze Schaf fressen wollen. Ich blättere um und stutze. Es kostet mich Kraft die Seiten von rechts bis ganz nach links zu schwenken. Dabei fühle ich mich auch noch so entblößt und schwach, wie nie zuvor, und das liegt nicht an meinem Zustand. Warum ist das Buch fertig? Den letzten Text habe ich nicht geschrieben, aber ansonsten ist alles weitgehend unverändert. Ich blättere und blättere und ja... natürlich auch die peinlichsten Texte sind drin. Hündchen hat sie alle gelesen. Ja sicher hätte Hündchen sie irgendwann gelesen, aber ich wollte entscheiden wann. Viele Texte habe ich mit ihm zusammen überarbeitet, aber nicht die peinlichsten, nicht die, die mich bezüglich Hündchen verwirrt haben und es häufig noch bis heute tun.

      Immer diese Grenzüberschreitungen! Wieso hat Hündchen mein Leben gerettet?

      Habe ich gesagt: »Rette mein Leben!« Nein!

      Habe ich gesagt: »Veröffentliche mein Buch!«