zu Besuch nach Zarifa kamen. Diese Besuche wurden dann zum intensiven Training mit den beiden genutzt.
Der Scheich liebte es, genau diese Meinung außerhalb von Zarifa zu schüren, denn grundsätzlich war es seiner Meinung nach ein Vorteil, wenn ihn die Außenwelt unterschätzte. Umso größer war dann der Überraschungseffekt, wenn er doch einmal selbst kämpfte. In vielen Kämpfen war es gerade dieser Überraschungsmoment, der den Ausschlag brachte.
Darum war es auch eines der größten Geheimnisse von Zarifa und bei Todesstrafe verboten, Informationen über Waffen, Ausbildung, Fitness oder gar Anzahl der Krieger an Dritte weiterzugeben.
Bis auf wenige Ausnahmen funktionierte diese Taktik hervorragend und war einer der Gründe, warum es über die Männer von Scheich Suekran al Medina y Nayran immer wieder die wildesten Gerüchte und Geschichten gab und man ihnen in der Regel mit großem Respekt begegnete.
Ruhi vermutete, dass Rayan sogar einige der haarsträubendsten Geschichten bewusst streute. Das bewog viele Feinde, sich eventuelle Angriffe gut zu überlegen und viele zogen einen Kampf gar nicht erst in Erwägung.
Der große Kampf vor mittlerweile dreizehn Jahren, dessen Ausgang nach Meinung der ganzen Region von vorneherein festgestanden hatte und den Rayan ganz alleine herumgerissen und verändert hatte, sorgte dafür, dass Rayans Name berüchtigt und seine Männer gefürchtet waren. Man munkelte, dass der Ausgang des Kampfes zugunsten von Zarifa nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Wie könnte man sonst gegen so eine Übermacht gewinnen, ohne selbst große Verluste zu erleiden? Da musste der Anführer der Tarmanen schon mit irgendwelchen übersinnlichen Kräften im Bunde sein.
Hatte es nicht geheißen, dass der Sohn des Sedat vor Jahren gestorben war? Und plötzlich war er zur rechten Zeit wieder aufgetaucht. Es gab genügend Abergläubische, die man mit der einen oder anderen Geschichte leicht davon überzeugen konnte, dass hier überirdische Kräfte am Werk gewesen waren.
Zudem wussten wenige, dass er auch selbst einige der wichtigsten Kämpfe ausgefochten hatte, unter seinem amerikanischen Namen Yasin Tanner.
Außerhalb Zarifa wusste fast niemand, dass Yasin Tanner und Scheich Rayan Suekran die gleiche Person waren. Ein weiteres Geheimnis, welches erfolgreich gehütet wurde. Wobei das Verbergen dieser Tatsache auch nicht weiter schwer war, denn sobald der alte Scheich Sedat Suekran, Rayans Vater, die Menschen von Zarifa aufgeklärt hatte, war für sie der Name Yasin Tanner unwichtig geworden.
In Amerika hingegen, wo Rayan unter dem Namen Yasin Tanner auch heute noch erfolgreich agierte, interessierte sich niemand für die Kriege in einem kleinen Scheichtum mitten in der tiefen Wüste Rub‘ al Khali.
Und das sollte auch so bleiben – mochte die Autorin Carina Hartmann auch noch so hartnäckig sein, genau diese Tatsachen ans Licht zu bringen.
2014 - Tal von Zarifa - Rückkehr und Abschied
Als am nächsten Tag Julie, Daoud und Tahsin zurückkamen, standen Rayan und Carina gemeinsam auf der Terrasse und er legte seinen Arm demonstrativ um ihre Schultern. Carina bekam leicht rote Backen, die Szene war ihr etwas unangenehm, sie war nicht sicher, wie die anderen reagieren würden.
Doch Julie lächelte wissend und Tahsin grinste breit. Er hatte es doch gleich gewusst, wieso hätte Rayan sie sonst mit hierher gebracht? Und er freute sich für seinen Vater, nachdem dieser so lange alleine gewesen war.
Daoud schaute anfangs etwas langsam von einem zu anderen, dann schien er zwischen Freude und Enttäuschung zu schwanken, dass seine Freundin nun vergeben war. Doch letztlich entschied er, gutmütig, wie er nun einmal war, sich für seinen Bruder zu freuen.
Drei Tage später war es Zeit für Tahsin, aufzubrechen. In wenigen Tagen würde die Schule wieder anfangen und der Weg war noch weit.
Sie diskutierten eine Zeit lang, ob Rayan ihn begleiten sollte, doch Tahsin bestand darauf, dass er kein kleines Kind mehr war und ein Beschützer schon Strafe genug sei. Außerdem hatte Rayan in vier Wochen ohnehin wieder einen Termin in Europa und wollte Tahsin dann besuchen kommen. Tahsin bestand darauf, dass sein Vater noch einige Tage länger bei Julie und Daoud bleiben solle.
Rayan bat Jassim, mit Tahsin mitzugehen. Er war der beste Kämpfer, den er hatte und er wollte seinen Sohn in guten Händen wissen.
Jassim war nicht begeistert, er hatte geschworen, Rayans Leben zu beschützen. Er wollte kein „Babysitter“ sein und die Idee, dass sein Scheich dann in ein paar Wochen „alleine“ reisen musste, gefiel ihm nicht. Doch er hatte viel zu viel Respekt, diese Gedanken laut zu äußern.
Und wie üblich siegte Rayans „Überzeugungskraft“, indem er Jassim letzten Endes den Einsatz einfach befahl. Jassim tröstete sich damit, dass er, wenn er schnell war, bis zum Aufbruch seines Herrn zurück sein konnte.
Drei weitere Männer sollten die beiden bis Alessia begleiten und natürlich hatten sie für den Notfall auch ihre Satellitentelefone dabei. Tahsin versprach, jeden zweiten Tag anzurufen.
Jassim würde sogar bis England mitreisen und Tahsin im Internat abliefern. Erst dann würde er den Rückweg antreten.
Rayan setzte sich heimlich das Ziel, einen Weg zu finden, wie man schneller von und nach Zarifa kommen konnte. Irgendwie musste es möglich sein, eine Flugverbindung einzurichten. Nachdem das Auto aufgrund der Bedingungen von Alessia hierher keine Option und die Entfernung zum nächsten Flughafen für einen normalen Helikopter zu weit war, musste er eine Möglichkeit schaffen, wie man mit einem Flugzeug irgendwo hier in den Bergen landen konnte.
Bisher hatte er dieses Thema bewusst nie angegangen, weil er keine Notwendigkeit sah. Es war möglich Lieferungen via Abwurf per Fallschirm zu erhalten, so hatte er damals 2001 auch die Waffen herbeigeschafft und in der Zwischenzeit auch viele andere angenehme Dinge. Vor allem Technik, die das Leben erleichterte. Ansonsten keine andere Anbindung zu haben, hieß vor Feinden sicherer zu sein, denn auch diese müssten erst einmal die Strecke durch die Wüste überwinden.
Aber jetzt Tahsin den weiten Weg von und nach Zarifa zweimal im Jahr zuzumuten, schien ihm auf Dauer unmöglich.
Der Trupp aus fünf Personen ritt drei Tage später im Morgengrauen los.
Wie besprochen, meldeten sich entweder Jassim oder Tahsin regelmäßig. Aber erst als sie nach sieben Tagen den Anruf von Jassim erhielten, dass sie sicher und ohne Zwischenfälle in Alessia angekommen waren und die anderen drei Männer auf den Rückweg seien, fühlte sich Rayan beruhigt. Am folgenden Morgen würden Jassim und Tahsin nach Dubai fliegen und von dort aus dann weiter.
Es war nicht das erste Mal, dass Tahsin nach England flog, er war bereits das dritte Jahr an dieser Schule in der Nähe von Oxford. Eigenartigerweise war Rayan diesmal unruhig, ohne dass er hätte sagen können, warum.
Er vermutete, dass dies an dem Anschlag lag, dem Ibrahim zum Opfer gefallen war. Der Angriff war völlig aus dem Nichts gekommen und hatte zu einem ungeplanten Kampf geführt, bei dem Rayan nur dank Hanifs Eingreifen so glimpflich davon gekommen war. Das bewies, dass man sich nie sicher fühlen sollte und war bestimmt der Grund seiner Nervosität. Er dachte kurz an Sachra und dass er sie in den letzten Tagen seit ihrem Gespräch nicht einmal draußen gesehen hatte. Schon komisch, aber vermutlich wollte sie alleine sein.
Der Abschied von Tahsin hatte auch für Carina die Frage aufgeworfen, ob und wann sie wieder zurück nach München wollte.
Die vorangegangenen Tage hatten beide diese Thematik verdrängt, doch mit Tahsins Abreise mussten sie sich ihr nun stellen.
Carina hatte Zarifa inzwischen sehr liebgewonnen, aber der Gedanke nie mehr nach München zurückzukehren, ängstigte sie. Noch dazu, da sie wusste, dass Rayan ohnehin in ein paar Wochen zu seinem Job in Europa aufbrechen würde. Alleine hier auf ihn zu warten, erschien ihr unerträglich.
Und so beschlossen sie einige Tage nach Tahsins Abreise, dass sie in zwei Wochen gemeinsam nach Alessia aufbrechen würden, wo sie dann noch den Flug von dort zusammen machen konnten, um sich in Dubai zu trennen.
Rayan sagte ihr nicht, wo er hinreisen