Art akzeptieren musste, wenn ihre Beziehung funktionieren sollte. Denn sie wusste genau, dass sie Rayan in dieser Beziehung nicht ändern konnte. Und wenn sie an die eine oder andere Situation dachte, die sie in der vergangenen Zeit mit ihm erlebt hatte, wollte sie auch eigentlich nicht zu viele Details wissen.
Carina tröstete sich damit, dass sie noch zwei Wochen mit Rayan hatte und auch noch die gemeinsamen Tage der Rückreise, also etwa drei Wochen.
Danach würde die Zeit zeigen, was aus ihrer Beziehung werden würde.
Doch schon der nächste Tag sollte ihre Planungen ändern.
2014 - Tal von Zarifa - Erpressung
Am nächsten Tag saß Rayan wie üblich gegen Abend in seinem Büro, um seine Telefonate und E-Mails zu erledigen.
Einer seiner ersten Anrufe hatte Jassim gegolten, der inzwischen Tahsin abgeliefert hatte und auf dem Rückweg sein sollte. Tahsin hatte sich spät abends noch aus dem Internat gemeldet und seine Ankunft bestätigt, von Jassim selbst hatte er nichts gehört.
Als der Leibwächter nicht abnahm, vermutete er, dass dieser eventuell gerade im Flugzeug saß und nahm sich vor, es später noch einmal zu versuchen.
Dann stutzte er, als er plötzlich ein E-Mail von einem Absender erhielt, den er nicht kannte. Seine Adresse war lediglich einigen Eingeweihten und engen Kunden bekannt und die hatten wohl kaum Interesse irgendwem von ihrem Kontakt zu erzählen.
Zunächst ließ er die Mail über einige Programme laufen, bevor er sie öffnete, doch sie schien zumindest keinen unmittelbar gefährlichen Inhalt, wie einen Virus, zu enthalten. Auch der Anhang war offenbar unbedenklich, ein harmloses jpeg.
Als er die Mail dann öffnete, runzelte er die Brauen – sie war unverschlüsselt geschrieben. Das tat niemand in ihrem Geschäft!
Erst dann las er ungläubig den Inhalt, öffnete den Anhang und hatte das Gefühl, eine eiskalte Hand lege sich um sein Herz. Zorn packte ihn und er hieb mehrmals mit der Faust so fest auf den Schreibtisch, dass seine Hand sich danach verstaucht anfühlte.
Das brachte ihn zur Besinnung. Was er nun brauchte, war nicht blinde Wut, sondern kalte Berechnung.
Über seine gesicherte Leitung rief er zunächst Cho an. Als dieser sich meldete, sagte er ohne weitere Umschweife: „Wir haben ein Problem.“ Dann schilderte er mit knappen Worten die Situation und bat Cho, zu versuchen, die E-Mail zurückzuverfolgen. Er machte sich nicht viel Hoffnung, aber Cho versprach ihm, alle Hebel in Bewegung zu setzen.
Danach rief er Hummer an, um auch ihn zu warnen. Statt einer Antwort hörte er ein lautes Knallen im Hintergrund, offenbar hatte Hummer irgendetwas zu Kleinholz verarbeitet. Sie vereinbarten für den nächsten Tag eine Telefonkonferenz, dann legte er auf.
Gegen besseres Wissen rief er nochmals bei Jassim an, doch wieder nahm dieser nicht ab.
Er informierte noch seinen Vertrauten in Dubai, seinen Anwalt und Freund Taib Riad, den Carina zu Beginn ihrer Reise kennengelernt hatte. Dann zwang er sich, die E-Mail noch einmal ruhig und analytisch zu lesen:
„Wir haben Jassim und wenn du nicht genau das tust, was wir dir sagen, dann schicken wir ihn dir in Einzelteilen zurück.
Außerdem haben wir eine Person unseres Vertrauens in Eston Castle. Wenn du nur einen Schritt von dem Weg abweichst, den wir dir vorgeben, dann stirbt dein Sohn auf die gleiche Weise wie seine Mutter.
Als Zeichen deines guten Willens mit uns zusammenzuarbeiten, schickst du auf der Stelle deine kleine ungläubige Freundin nach Hause. Keine Angst, an ihr sind wir nicht interessiert, also werde sie los – morgen noch. Sonst interessieren wir uns in Zukunft vielleicht doch noch für sie.
Wenn du tust, was wir sagen, wird keinem anderen etwas passieren - wir wollen DICH und nachdem du in Dubai mehr Glück als Verstand gehabt hast, haben wir uns jetzt etwas anderes einfallen lassen.
Der arme Khalid Raisuli, letzten Endes war er nur unser Werkzeug.
Jetzt tue genau, was wir sagen und halte ansonsten die Füße still. Bleib, wo du bist.
Wir melden uns wieder.“
Es gab keine Unterschrift.
Die Worte der E-Mail an sich erschütterten Rayan nicht so sehr wie das Foto, das beigefügt war: Es war eine Aufnahme von Amina, wie sie auf dem Tisch lag, an dem Julie sie gefunden hatte. Er hatte das Foto in der Polizeiakte gesehen und würde es nie vergessen. Dieses Bild war fast identisch, musste aber aufgenommen worden sein, kurz nachdem sie die Tabletten eingenommen hatte, denn im Hintergrund war deutlich im Fenster noch Tageslicht zu sehen. Das der Polizei dagegen, war nach Einbruch der Dunkelheit aufgenommen worden. Auch schien Aminas Haut noch nicht so wachsartig wie auf dem Polizeifoto. Eigentlich sah dieses Bild aus, als schliefe sie friedlich. Vielleicht war sie da sogar noch am Leben gewesen!
Lange saß er einfach bloß da. Er zitterte und schüttelte immer wieder den Kopf, wie um eine Benommenheit loszuwerden.
Dann griff er erneut zum Telefon und rief Julie an, die im Garten mit Carina spazieren ging. Schon an seiner Stimme erkannte sie, dass etwas nicht stimmte und darum machte sie sich sofort zu ihm auf den Weg.
Sie war diejenige, die Amina gefunden hatte, er musste ihr einfach das Foto zeigen.
2014 - Tal von Zarifa - Fragen über Fragen
Julie war zwar erschrocken über das Foto und wütend über die Drohung, die jemand ihrer Familie gegenüber aussprach, doch bewahrte sie einen kühlen Kopf. Sie war lange genug die Frau eines Generals der amerikanischen Armee gewesen und auch der Job ihres Mannes nach Beendigung seiner Dienstzeit war nicht ungefährlich gewesen.
Es war ihre Idee, Cho zu bitten, herauszufinden, wo genau sich Jassims Satellitentelefon befand. Es hatte, wie bei ihnen allen, ebenfalls einen eingebauten GPS Sender.
Und dann stellte sie eine andere entscheidende Frage: Woher sollten die Erpresser eigentlich wissen, ob er wirklich Carina nach Hause gesendet hatte? Woher wussten sie überhaupt von Carina? Und wie wollten sie wissen, ob er wirklich wie angeordnet hier blieb und sich nicht auf den Weg nach England machte?
Beide überlegten und kamen zu dem gleichen Schluss, aber keiner wollte es aussprechen. Dann räusperte sich Rayan: „Also gut – so unglaublich es klingt, aber sie müssen einen Spion hier haben. Woher sollten sie sonst diese Informationen haben?“
Außerdem war nun klar, dass der Fürst, der zwar der Auftraggeber des Attentäters Ashraf gewesen war, nicht auf eigene Rechnung gehandelt hatte. Es hatte Rayan ohnehin gewundert, wieso der Khalid Raisuli auf einmal so feindselig war. Sie waren nie Freunde gewesen, aber einen Anschlag zu planen, hätte er ihm nie zugetraut. Dazu war er eigentlich viel zu feige. Außerdem musste ihm klar gewesen sein, dass dies Krieg bedeutete und Rayans Männer die überlegenen Waffen hatten.
Nachdem der Fürst ihn und seine Leute bei ihrem Herannahen sofort angegriffen hatte, war keine Zeit mehr geblieben, ihn zu fragen. Als er Raisuli in der Menge der Kämpfenden schließlich entdeckte, war er bereits tot. Vermutlich war er auch nicht durch einen von Rayans Männern gestorben, wie er geglaubt hatte, sondern ebenfalls durch diese Hintermänner. So hatte er nicht mehr reden können, wie praktisch.
Und Amina! Bei Allah, war das der Grund gewesen, warum sie sich so verändert hatte? Hatte man sie womöglich auch erpresst? Aber warum hatte sie nichts gesagt? War sie wirklich ermordet worden?
Das brachte ihn gedanklich zu Tahsin – stimmte es, dass jemand in seiner Nähe war, der ihn bedrohte? Oder blufften die Unbekannten?
Und wo war Jassim? Er war ein guter Kämpfer, wer konnte ihn so leicht überwinden?
Außer Julie konnte und wollte er hier im Tal nur Hanif vertrauen und daher rief er ihn zu sich und weihte ihn ein.
Die drei diskutierten eine Weile alle Fakten und vereinbarten die weitere Vorgehensweise.
Wenn