Ben Leo

Schattenhunger


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möchten mein Ohr verlassen!“, teilte Bajo mit und wunderte sich selbst, nicht nur über seine gewählten Worte, sondern auch über den dienerhaften Tonfall. Das trieb Malvor nun endgültig in die Hysterie und zu allem Überfluss fielen jetzt auch die Schnatterwürmer in das Gelächter ein und piepsten und glucksten, bis am Ende auch Bajo mitlachen musste.

      Als die kleinen Tierchen wieder sicher in ihrer Behausung waren, nahm Malvor die Schote an sich und hängte sie wieder um. Immer noch schmunzelnd seufzte er: „Ich werde diese wunderbaren Einlagen vermissen.“ Bajo wurde hellhörig: „Wieso sagst du das, willst du mich etwa verlassen?“ „Bald werde ich dir das Wichtigste beigebracht haben und dann wirst du auf eigenen Füßen stehen müssen“, fuhr Malvor fort, worauf Bajo einwandte: „Aber wenn ich alles kann, dann könnte ich dich doch auf deinen Reisen begleiten.“ Seufzend erklärte Malvor: „Wenn du früher gekommen wärst, hätten wir vielleicht ein paar größere Unternehmungen gemacht. Aber du warst anscheinend noch nicht bereit und Leva hat dich erst spät zu mir geführt.“ Das traf Bajo tief in seinem Herzen. Er wusste nur allzu gut, wie viel Zeit er die letzten Jahre für unsinnige Dinge und quälende Gedanken verschwendet hatte. Könnte er nur die Zeit zurückdrehen, dann hätte er bestimmt die schönsten Abenteuer mit Malvor erlebt. „Aber warum kann ich denn nicht bei dir bleiben?“, entgegnete Bajo mit trauriger Stimme. „Meine Zeit in diesem Wald ist um. Und du wirst neue Aufgaben bekommen und deinen eigenen Weg gehen“, antwortete der Zauberer. Bajo konnte sich nicht mehr beherrschen und fing hemmungslos an zu weinen. „Ich will nicht, dass du gehst!“, schluchzte Bajo. „Nun beruhige dich wieder, noch ist es ja nicht soweit. Wenn ich dich so in die Welt hinauslasse, blamierst du dich womöglich bis auf die Knochen und das wollen wir doch beide nicht!“, Malvor blickte Bajo aufmunternd an. „Nein, ich glaube, ich muss noch ganz, ganz viel lernen!“ stimmte Bajo zu, ein leichtes Lachen mischte sich in sein Weinen und der Zauberer lächelte ihn mit so friedvollen Augen an, dass Bajo ganz warm ums Herz wurde.

      An diesem Tag aßen sie früh zu Abend und Malvor holte danach ein Spielbrett hervor, das er auf seinen Reisen bei einem Trödelhändler in Kontoria entdeckt hatte. Bei dem Spiel musste man mit Hilfe von Würfeln und Karten imaginäre Güter entdecken, handeln und verwalten. Das machte Bajo unheimlich Spaß, vor allem, weil Malvor dabei immer wieder Anekdoten von seinen Abenteuern zum Besten gab.

      Inzwischen hatte Bajo sich wieder gefangen und verfolgte seine Aufgaben. Dazu zählte mittlerweile auch, das Valdeyak zu versorgen. Malvor brachte ihm sogar bei, es zu reiten. Als er gut mit dem Tier umgehen konnte, ging Bajo daran, seine Wukoübungen auch auf dem Valdeyak zu vollziehen. Der Zauberer baute ihm im Wald einen neuen Parcours. Hier übte Bajo, sich von einem hohen Ross aus zu verteidigen. „Ich bin sehr zufrieden mit deinen Übungen“, lobte Malvor eines Tages. „Wenn auch die Zeit für deinen Erinnerungen nicht so ganz gereicht hat, mit deinen körperlichen Fähigkeiten sind wir im Soll. Jetzt werde ich dir noch ein paar taktische Geschicke und Verhaltensweisen aufzeigen, über die du nachdenken solltest, und wir wollen gleich damit anfangen.“ Sie gingen zurück zur Hütte, versorgten das Tier, wuschen sich und setzten sich am Nachmittag bei einem Glas Blubberwasser auf ihre Plätze an der Außenwand.

      „Was meinst du, Bajo, wenn ich ein Mörder wäre, wem könnte ich in Kontoria wohl leichter auflauern, einem Stadtstreicher oder dem Buchhalter eines Kontors?“ Bajo fand die Frage etwas sonderlich und überlegte lange, bis er schließlich zugab: „Ich weiß es nicht.“ „Versuche, dir die Lebensumstände vor Augen zu halten“, half ihm der Zauberer. Etwas zögerlich antwortet Bajo: „Na ja, der Buchhalter wird ein kleines Haus haben, eine Familie vielleicht und immer fleißig zur Arbeit gehen. Und der Stadtstreicher…ja, der… der wird überall versuchen, etwas zu essen zu bekommen und zusehen, wo er schlafen kann.“ „Sehr gut! Und nun versetze dich in den Gauner hinein. Du willst dem einen und dem anderen auflauern, wie gehst du vor?“, spornte Malvor Bajo an. „Na, beim Buchhalter warte ich, bis er nach Hause kommt und passe ihn an einer guten Stelle ab. Beim Stadtstreicher gucke ich, wo er gerade ist oder schläft und dann schaue ich äh… AHH, jetzt weiß ich, was du meinst! Es ist beim Buchhalter einfacher, weil er immer dasselbe tut und ich weiß, wo ich ihn gut erwischen kann!“ Der Zauberer lobte Bajo: „Ganz genau! Gut gemacht! Er ist berechenbar! Aber du bist ja kein Mörder. Was ich dir damit sagen will, ist, dass du selbst nicht berechenbar sein darfst! Du wirst in deiner Zukunft viele Rollen annehmen müssen, viele Arbeiten ausüben. Und es ist gut, erst einmal Routine zu bekommen, sich eine gewisse Ordnung zu erarbeiten. Aber wenn du es draufhast, musst du dich hüten, immer und immer wieder das gleiche Handeln abzuspulen. Sei variabel, gehe verschiedene Wege, schlafe, wenn es geht, an unterschiedlichen Plätzen, zu unterschiedlichen Zeiten. Dann wird es denen, die dich kriegen wollen, schwerfallen, dich zu erwischen.“ Bajo nickte: „Ja, das verstehe ich. Aber sag mir, Malvor, wer wird mich denn schon kriegen wollen?“ „Das weiß man nie, mein lieber Bajo, das weiß man nie…“, murmelte Malvor geheimnisvoll in sich hinein. Dann fügte er hinzu: „Und so, wie du es als Einzelner machst, was noch am einfachsten ist, musst du es auch in der Gruppe tun - oder mit einer ganzen Armee. Ein guter General lässt seine Männer nicht immer die vorhersehbaren Dinge tun, er denkt sich was Unerwartetes aus und überrascht seinen Gegner damit.“

      Nach einer kurzen Pause, in der Bajo das Gesagte in sich aufnehmen sollte, folgte die nächste Aufgabenstellung: „Wenn du auf deinem Weg auf eine Gruppe von zehn Söldnern triffst, die sich gerade einen Bauern und seine Magd schnappen, sie schlagen und berauben, was tust du dann?“ „Na, das ist höchst ungerecht, ich sollte mutig dazwischengehen, nicht wahr?“, empörte Bajo sich. Der Zauberer schüttelte den Kopf: „Alleine gegen zehn schwerbewaffnete Soldaten zu rennen, ist nicht mutig, sondern töricht, denn du läufst in den sicheren Tod und damit ist niemandem geholfen. Hole lieber Hilfe, wenn die Möglichkeit besteht. Versorge die armen Leute, wenn die Söldner weg sind. Folge den Soldaten und stehle die Sachen nachts zurück. Das sind die Optionen! Spiele niemals den Helden, sondern handle stets besonnen und überlege genau, wo du dich einmischst. Schließlich kannst du ja auch nicht ausschließen, dass der Bauer und seine Magd sich vorher selbst unerlaubt bereichert haben, oder?“ Das musste Bajo einsehen und bekam wieder einen Moment, es sacken zu lassen.

      „Und was tust du in folgender Situation?“, ging es weiter: „Du bist in deiner Stadt ein beliebter Kaufmann und spazierst am freien Tag der Woche durch einen Park. Da rempelt dich der Sohn des Heermeisters an, ein stadtbekannter Rüpel. Er beleidigt dich vor den Augen der anderen Spaziergänger auf Übelste, was tust du da?“ Schnell stellte Bajo klar: „Na, so was lasse ich mir nicht gefallen, schon gar nicht vor den anderen. Dem hau ich links und rechts eine, das gebietet mir die Ehre, so viel Stolz habe ich noch!“ Wieder schüttelte Malvor den Kopf: „Nein, plappere nicht einfach nach, was andere für richtig und wichtig erachten! Der Heermeister hat viel zu viel Macht. Er würde dich für die Prügel an seinem Sohn in den Kerker bringen, ob du recht hast oder nicht. Und dann hast du einen kurzen Moment des Ehrgefühls gegen eine lange Kerkerhaft getauscht. Nimm es einfach hin, auch wenn es für den Augenblick schmerzt. Versuche dich galant, mit Worten aus dieser Situation herauszuwinden und verschwinde, so schnell du kannst. Und sage mir, was ist denn Ehre, was ist Stolz? Der und der hat meine Ehre beschmutzt, jetzt werde ich mich rächen… So und so hat gesagt, ich soll für die Ehre kämpfen, also renne ich in den Tod… Die und die hat meinen Stolz verletzt, jetzt wird sie dafür sterben… Wenn du mich fragst, sind Ehre und Stolz eine Erfindung der Schatten. Was ich dir damit sagen will, ist, dass du dir Ehre und Stolz nicht mehr leisten kannst! Der Schatten lässt sich beleidigen und provozieren, der wahre Kämpfer aber weiß, dass ihn niemand wirklich beleidigen kann! Du musst besonnen sein und nicht mehr die Kämpfe für andere austragen, deren wirkliche Ziele du nicht kennst.“

      „Nächste Frage“, sagte Malvor, wieder nach einer längeren Pause: „Ein Freund, der in einer Kapelle spielt, bittet dich, mit ihm auf dem Marktplatz mit dem Klingelbeutel herumzugehen und Spenden für eine neue Trommel zu sammeln. Zum verabredeten Zeitpunkt ist er jedoch nicht erschienen. Was machst du?“ Bajo überlegte ein wenig, bevor er sagte: „Hmmh, du hast ja gerade gesagt, man sollte sich nicht für die Ziele anderer hingeben, deshalb gehe ich wieder nach Hause, weil er selbst ja wohl kein Interesse mehr hat.“ Erneut widersprach Malvor: „Nein, das hast du falsch verstanden. Selbstverständlich kannst du anderen Menschen bei ihren Anliegen helfen. Wenn du dich entschieden hast, deinem Freund zu helfen, dann