Ben Leo

Schattenhunger


Скачать книгу

      Ein markerschütterndes Krachen und Splittern ertönte! Durch den Aufprall nach dem Aufsetzen ging die vermeintliche Holzwand komplett zu Bruch und Bajo lag nun in einem Gang auf einem Haufen morscher Bretter. Er rappelte sich wieder hoch und inspizierte die neue Umgebung. „Das muss ein alter Stollen sein!“, mutmaßte er. Und er kam auch zum Schluss, dass man wohl erst noch überlegt haben musste, eine Brücke zur anderen Seite zu bauen, um dort weiter zu graben. Aus welchen Gründen auch immer, hatte man das Loch dann aber wieder mit dem Holzverschlag verschlossen. Das musste ewige Zeiten her gewesen sein, noch bevor der Wald sich nach außen abschottete. Dass das Holz überhaupt noch so zusammenhielt, war ein Wunder, sicher war es so was wie Steineiche. Wonach man wohl gesucht hatte…? Und wohin der Gang wohl jetzt führte…? Egal, es gab nur eine Richtung und die schritt Bajo, mit dem Sonnenstein als Leuchte, voran. Es wurde etwas enger und tiefer und je weiter er kam, desto muffiger wurde die Luft. Nach einiger Zeit tat sich ein Raum auf, von dem drei weitere Gänge abgingen. Soweit Bajo es erkennen konnte, war hier einmal eine Art Nachtlager gewesen, ein Tisch und ein paar Stühle, oder was eben noch davon übrig war. In einer Ecke standen eine abgebrochene, verrostete Spitzhacke und eine fast vermoderte Schubkarre. „Wo jetzt weitergehen?“, er überlegte einen Moment, konnte sich aber nicht entscheiden, denn er wollte am Ende nicht wieder an einem anderen Punkt an der Spalte herauskommen. So setzte sich Bajo erst einmal auf einen kleinen Sims, der in die Wand gehauen war, holte die Feldflasche und das Taschentuch heraus und reinigte sein linkes Ohr. Seine beiden ‚Gäste‘ sollten schließlich nicht vom Dreck abgehalten werden, ihr Schmalzmahl zu sich zu nehmen.

      Kaum hatte es gekitzelt, da begannen die Schnatterwürmer auch schon zu plappern: „Was ist denn bloß los, Bajo? Wir dachten schon, das ist das Ende für uns alle“, piepste Nela aufgeregt. „Das hat dermaßen gerumst, dass wir fürchteten, du wärst einen Berg herabgestürzt“, ergänzte Neli. Und so berichtete Bajo den beiden erst einmal, was ihm in der Zwischenzeit zugestoßen war. „Was denkt ihr, was das hier ist?“, endete er. Neli antwortete: „Das müssen die alten Stollen der Gahlen sein, die vor Urzeiten hier nach Edelsteinen gegraben haben. Die Gahlen waren immer auf der Suche nach Diamanten, Smaragden oder anderen Edelsteinen, die sie zum Tausch brauchten, wenn sie mit den riesigen Seglern über das große Wasser in ferne Kontinente fuhren. Sie waren es auch, die die Himmelsfinger für ihre Schiffe abholzten. Besonders aber waren sie hinter Melonsteinen her. Das sind magische Steine, die einen Menschen heilen können, auch wenn eigentlich keine Hoffnung mehr besteht. Außerdem bescheren sie ihrem Besitzer ein längeres Leben.“ Nela fügte hinzu: „Ja, das stimmt, es gibt nur eine Handvoll Melonsteine, die gefunden wurden. Ein einziger ist so viel wert wie ein ganzes Königreich.“ Jetzt erinnerte sich Bajo: „Über die Gahlen habe ich etwas in der Schule gelernt. Da waren sie aber eher die Helden des Altertums… Dass sie die schönen Riesenbäume abgeholzt haben, wurde nicht erwähnt. Eines Tages waren sie mit der gesamten Flotte auf Überfahrt und sind dann nie wieder zurückgekehrt. Seitdem ist kein Schiff mehr auf die Reise über das große Wasser gegangen. Aber außer aufs Meer hat es sie ja dann anscheinend auch unter die Erde getrieben. Womit ich wieder bei meinem Problem bin; welchen Gang nehme ich jetzt?“ Neli: „Da können wir dir leider nicht helfen. Wir können alles hören, aber leider nichts sehen. Lass uns am besten wieder in unser Heim und dann folge deinem Instinkt“. „Den mittleren, ich nehme den mittleren Gang!“, entschied Bajo kurzerhand und machte sich wieder auf. Der Weg zog sich hin; immer wieder gab es größere Ausbuchtungen oder kleine Nebengänge, aber nur einen Hauptgang.

      Irgendwann spürte Bajo, dass die Luft nicht mehr ganz so stickig war - ein gutes Zeichen! Und tatsächlich tat sich schon bald ein riesiger Raum auf. Von diesem Ort aus ging es in vier weitere Richtungen, das Wichtigste aber war; es führte von dort ein Schacht nach oben und von da kam auch die bessere Luft. „Jippie, was für ein Glück!“, rief Bajo und inspizierte den Schacht. In der Ecke lag eine verrostete Wanne, die sicherlich über Seilwinden als Transportbehältnis für den Schutt gedient hatte. An der Seite befanden sich die Reste einer dicken, breiten Sprossenwand, die nach oben führte. Dort konnte Bajo aber nichts weiter sehen, denn es musste draußen ja längst dunkel sein. Er berührte eine der Sprossen und prompt fiel diese auch schon von der Wand. „Na, das war klar“, murmelte Bajo und leuchtete weiter hoch. „Das wird nix mit der Leiter, dass die überhaupt noch als solche zu erkennen ist, grenzt sowieso an ein Wunder…“, fügte er spöttisch hinzu und beschloss, sich erst einmal in der kleinen Halle umzusehen. „Solange es oben dunkel ist, brauche ich es gar nicht erst zu versuchen, hochzukommen. Also schauen wir mal, was wir hier so finden“, dachte er sich und durchstöberte die alten Überbleibsel.

      Einige der Tische, Stühle und Regale waren erstaunlicherweise noch recht gut in Schuss, sie waren tatsächlich aus Steineiche gemacht. In den Truhen, die noch intakt waren, befanden sich Geschirr, Besteck und was man sonst noch zum täglichen Leben unter Tage benötigte. Alles nicht mehr wirklich zu gebrauchen. Der Sonnenstein begann, an Leuchtkraft zu verlieren und da Bajo gerade noch für einen Tag genügend Wasser hatte, entschloss er sich, schnell das Nachtlager zu bereiten. Um vor eventuellen Unannehmlichkeiten von unten geschützt zu sein, machte er es auf einem großen Tisch zurecht.

      Bevor er aber schlafen ging, musste er noch einmal austreten. Mit dem Restlicht lief er zu einer Nische, die er vorher nicht weiter beachtet hatte und wo er sich nun eben erleichtern wollte. Als er mit dem Fuß gegen eine Art Pritsche mit Stoffresten darauf stieß, fiel die in sich zusammen und etwas Weißliches kam zum Vorschein. Jetzt wurde Bajo neugierig und um besser sehen zu können, was da wohl lag, legte er den Sonnenschein doch noch einmal ins Wasser. Sobald dieser wieder hell erleuchtet war, ging Bajo mit einem halbwegs stabilen Holzstück zurück zur Nische. Vorsichtig befreite er das weiße Etwas. „Oje, das ist doch nicht etwa…“, musste er laut sagen, denn er hatte bereits eine gewisse Befürchtung. Langsam, aber gezielt, fuhr er fort. „Buahh, ich hab’s doch geahnt…“, rief er angewidert. Er hatte die Rippen eines Skeletts freigelegt. Mit etwas Überwindungskraft machte er weiter und fand noch mehr Teile sowie den Schädel. Dieser wies ein großes Loch auf und Bajo schlussfolgerte, dass diese Person anscheinend im Bett erschlagen oder erschlagen und dann aufs Bett gelegt worden war. „Und ich hätte fast drauf geschifft…“, ekelte sich Bajo. Er griff das Wuko mit dem leuchtenden Stein und wollte sich gerade umdrehen, um einen anderen Platz zu suchen, als er etwas in der Mitte des Skeletts für einen Moment funkelnd aufblitzen sah. Mit dem Holzstück legte Bajo einen Stein frei, nahm ihn mit dem Taschentuch hoch und polierte ihn. „Vermutlich hatte der Getötete die Gefahr kommen sehen und den Stein schnell verschluckt, um ihn vor Dieben zu schützen.“, mutmaßte Bajo, denn dieser lag ungefähr da, wo sich einst der Magen befunden hatte, „Genützt hatte es ihm aber nichts, mit eingeschlagenem Schädel!“

chapter12Image1.jpeg

      Der Stein hatte etwa die Größe einer Kirsche, war von ovaler Form und recht leicht. Dunkelrot mit vielen glitzernden Elementen schimmerte er nun in Bajos Hand. Dieser kannte sich mit Edelsteinen nicht aus, aber er wusste, dass Bernstein sehr leicht war. Vielleicht war das etwas Ähnliches und für die Schmuckherstellung zu gebrauchen. Malvor hatte Bajo einen Beutel mit Gold- und Silbermünzen hinterlassen, damit er bei seiner Suche einige Zeit unabhängig sein konnte. Aber wenn er schon auf den Stein gestoßen war, wollte er ihn auch mitnehmen. Wer konnte es schon wissen, ob er eines Tages nicht doch ein paar Münzen brauchen würde. Dann könnte er seinen Fund immerhin verkaufen. Also verstaute Bajo den Stein in dem einen Geheimfach seiner Gürtelschnalle, wo die neue Kostbarkeit gut hineinpasste. Er erleichterte sich in eine andere Ecke und legte sich endlich schlafen.

      Zur Ruhe kommen konnte er jedoch nicht, denn nach Bajos Schätzung musste er sich in etwa im Gebiet der Gexen aufhalten und die lebten ja, wie Malvor erzählt hatte, hauptsächlich unter der Erde. Auch hatte Bajo auf dem Fußboden etliche Kriechspuren gesehen und die Erinnerung an die schreckliche Nacht seines Wegs in den Grauenwald ließ ihn erschauern. Er lauschte angestrengt in die Umgebung, aber es tat sich nichts und die Befürchtungen, eine schlaflose Nacht zu haben, bewahrheiteten sich am Ende nicht. Im Gegenteil, als Bajo aufwachte und sich aufrichtete, sah er helles Licht in der Öffnung; man konnte fast sagen, er hatte verschlafen. Flugs wurden die Sachen gepackt und schon stand Bajo in dem, ihn hoffentlich rettenden, Schacht. Hier war die angestrebte Ebene fast genauso hoch wie vom Vorsprung