Ben Leo

Schattenhunger


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kann ich für den Herrn denn Schönes tun?“, fragte der Wirt am Tresen in gebrochenem Mittenländisch, denn man konnte Bajo wohl ansehen, woher er stammte. „Einen schönen Krug Met oder ein Chili-Huhn nach likischer Art von der Tageskarte vielleicht?“, bot der Mann weiter an. „Nein danke, sehr freundlich, aber ich wollte ein paar Tage übernachten, was kostet das denn so?“ „Die Nacht im Gruppenraum ein Kupferstück, fünf Nächte für vier und sieben für fünf Kupferstücke. Wenn der Herr es etwas angenehmer wünscht, habe ich auch ein einfaches Einzelzimmer, drei Nächte für einen Silberling oder sieben Nächte für zwei. Ein großes Zimmer mit Kanapee gibt es nur ab sieben Nächte für ein Goldstück. Ein gutes Frühstück und ein reichhaltiges Abendbrot sind darin inbegriffen“, erklärte der Wirt und lächelte Bajo erwartungsvoll an. Dieser geriet ins Grübeln, eigentlich wollte er so schnell wie möglich in die Stadt kommen, aber so ein großes Zimmer für sieben Tage war schon verlockend. Auf der anderen Seite konnte er morgens ohnehin nicht viel essen und wenn er, mit dem Marktplatz, schon so ein tolles Angebot der verschiedensten Speisen vor der Tür hatte, warum sollte er dann immer in dem Gasthaus essen?

      „Ich nehme ein einfaches Zimmer für drei Tage für einen Silberling und wenn es geht, mit der Option auf sieben Tage für zwei“, entschied er sich am Ende. „Eine gute Wahl, mein Herr. Und wenn Ihr noch länger bleiben müsst, werden wir uns schon über einen guten Preis einigen“, versicherte der Wirt hocherfreut, ließ sich den Silberling geben und zeigte Bajo verschiedene Zimmer. Eines mit Blick auf die Straße und den Markt, abseits der Ställe, war genau das richtige. Die Räumlichkeiten schienen sauber und das Bett war angenehm.

      Mit der vorrübergehenden Bleibe wich auch eine gewisse Unruhe und Unsicherheit von Bajo, er fühlte sich geradezu im neuen Abenteuer angekommen und legte sich zufrieden auf sein Nachtlager, um ein Mittagsschläfchen zu halten. Als er nachmittags aufwachte, war er noch etwas aufgewühlt, denn in seinen Träumen waren Malvor und ein paar andere Personen vorgekommen und obwohl es wieder sehr real gewesen war, hatte Bajo bereits nach kurzer Zeit alles wieder vergessen. Es war an der Zeit, den Schnatterwürmern ihre Lieblingsspeise anzubieten und so begrüßte Bajo kurz darauf Nela und Neli. Er erzählte ihnen, was in der Zwischenzeit passiert war und klagte ihnen ein wenig sein Leid, dass er nicht wusste, wie er den ersten Gefährten finden sollte. „Mach dich nicht verrückt, mein Lieber“, tröstete Nela ihn. „Habe einfach Geduld und mache alles, was du tust, sehr sorgfältig. Und wenn du aufmerksam bist, wirst du schon wissen, wenn es soweit ist.“ Bajo seufzte: „Da hast du wohl recht, Nela, aber ich bin eben einfach ein ungeduldiger Mensch. Wenn es euch nichts ausmacht, dann werde ich euch eine Weile in meinem Ohr lassen, wenn ich rausgehe, vielleicht schnappe ich ja etwas auf, was mir weiterhelfen kann.“ „Ist gut, wir melden uns schon, wenn wir heim wollen, aber so lange haben wir ja eine Beschäftigung, hihi“, kiekste Neli schmatzend. So machte Bajo sich frisch und ging hinaus, um die Gegend zu inspizieren, denn für das Abendbrot war es noch viel zu früh. Auf seinen Erkundungsrundgang nahm er nur sein Kristallmesser und die Lederhülle mitsamt dem Wuko mit, welche er sich mit dem Riemen quer über seine Schultern hängte. Zunächst schaute sich Bajo die Herberge und die Stallungen genauer an. Es war ein Kommen und Gehen der Handelsreisenden und Fuhrmänner, die Pferde wurden versorgt, gefüttert und beschlagen sowie Kutschen und Karren beim angeschlossenen Schmied repariert und gewartet.

      Anschließend machte Bajo einen großen Bogen um den Marktplatz, um über einen Feldweg zu den Holzhütten der Bergleute zu gelangen. Die Barracken waren ziemlich heruntergekommen, hier und da hing Wäsche zum Trocknen. Aber es hielt sich kein Mensch dort auf, die Arbeiter mussten alle in den Minen sein. In der Absicht, einen besseren Blick auf die Stollen zu erhaschen, lief Bajo ein Stück einen Hügel hinauf. Es waren einige Eingänge zu sehen und ein kleines Abfertigungsgebäude, alles von Soldaten bewacht. Vor dem Gebäude wurde gerade ein Handkarren beladen, welcher dann mit einer Eskorte den Weg zum Stadttor einschlug. Nun kam eine Reihe von Männern aus einem der Stollen heraus, die sich sogleich auf den Weg zu den Holzhütten machten. Am Eingang der kleinen Siedlung stand ein riesiger Trog mit Wasser, in dem sich die Bergleute erst einmal frisch machten. Anschließend verstreuten sie sich in Richtung der einzelnen Baracken und einer von ihnen kam geradewegs zu einem Verschlag in Bajos Nähe. „Na, was lungerst du denn hier rum? Suchst du etwa Arbeit? Dann musst du zum Hauptmann, oben an der Hütte. Frischfleisch können die immer gebrauchen! Hahahaha…“, sagte der Mann und lachte aus vollem Hals. Zum einen über seine Worte, zum anderen aber wohl auch, weil er sich freute, endlich Feierabend zu haben und mal ein anderes Gesicht zu sehen. Obwohl Bajo dank der Schnatterwürmer in seinem Ohr ja wusste, was der Bergarbeiter da gerade gesagt hatte, tat er so, als hätte er nichts verstanden, zuckte mit den Schultern und lächelte freundlich. Der Mann hatte nur noch wenige Zähne, seine Haut war runzelig, die Haare fettig und seine Statur hager und drahtig. Offenbar musste er wohl schon seit Jahren dort oben schuften, und das nur, damit andere reich wurden. Bajo hatte von Malvor gelernt, niemanden zu bemitleiden: „Wenn du jemanden bemitleidest, dann stellst du dich über ihn. Aber mit welchem Recht? Du kannst nicht wissen, ob derjenige nicht vielleicht glücklicher ist als du selbst!“ hatte dieser ihm eingeschärft. Und Bajo beherzigte auch das, was der Zauberer ihm beigebracht hatte, aber so ein Leben hätte er keinen Tag aushalten können. Noch ein freundlicher Gruß und schnell machte sich Bajo lieber auf in Richtung Markt.

      Auf welche Personen oder Tiere er sich auch konzentrierte, er konnte sie alle genau verstehen. Wie das vonstattenging, war für ihn unvorstellbar, es war eben ein Wunder und er genoss es. Zwei Maliken, die an einem Stand Schalen mit Reis und dazu verschiedene Fleischsoßen verkauften, sprachen Bajo auf sehr gebrochenem Mittenländisch an: „Hey, gute Mann, woolen nicht kosten lekere Reistopf? Sehr gutt, sehr gühnstig!“ Da Bajo noch keinen Hunger hatte, winkte er dankend ab. „Na, dann geh und friss deine Kartoffeln, du Ungläubiger!“, meckerte der andere auf Likisch und grinste gespielt freundlich. Bajo wollte schon darauf reagieren, doch das verkniff er sich im letzten Moment und so grinste er genauso gekünstelt zurück. Das war ihm eine Warnung. Er durfte nicht durch sein Verhalten verraten, dass er andere Sprachen verstand, denn wie hätte er erklären sollen, dass er die Sprache zwar verstehen, sie aber nicht sprechen konnte? Auf keinen Fall durfte jemand herausfinden, dass er Schnatterwürmer bei sich hatte. Also stellte Bajo sich selbst die Aufgabe, auf seinem Rundgang gezielt solche Situationen zu suchen und dabei sein Verhalten zu schulen. Da sich Menschen aus vielen Ländern auf dem Markt tummelten, hörte er neben Likisch auch Marabo, Concorsi, Altthalarisch und Fersgol, die Sprache der Eisländer aus Trihaven. Neben Beleidigungen oder Flüchen, die er sich beim Nichtkauf anhören musste, erklangen jedoch manchmal auch Komplimente oder neckische Sprüche von netten Frauen, die er dann leider ebenfalls überhören musste. Nebenbei bekam er so einiges über das Leben und Arbeiten der Marktleute mit, von denen die meisten aus den umliegenden Dörfern kamen und nur wenige aus der Stadt. Hier und da schnappte Bajo auch eine Unterhaltung von herrschaftlichen, reichen Stadtbewohnern auf, eher jünger und anscheinend nur zum Zeitvertreib unterwegs. Es war der übliche Tratsch, wer mit wem was hatte, welche Dinge der letzte Schrei waren oder welche raffinierten Gerichte man hatte zubereiten lassen. An den Ständen mit Tieren ging er allerdings immer schnell vorbei, denn die armen Viecher klagten alle über ihr Leid, wenn sie nicht gerade schliefen.

      Bajo war jetzt schon fünf Tage in seiner Herberge und hatte die Option ‚zwei Silberlinge für sieben Tage‘ gezogen. Mittlerweile kannte er fast jeden Stand auf dem Markt, hatte mit jedem Bediensteten des Gasthauses gesprochen und sogar die weitere Umgebung erkundet. Langsam fing er an zu zweifeln, ob er überhaupt am richtigen Ort war, um einen Gefährten zu finden. Doch er hatte auch nicht die leiseste Ahnung, wohin er sonst gehen sollte und so machte er sich auf, mal wieder über den Markt zu schlendern. Dieses Mal jedoch setzte Bajo die Schnatterwürmer nicht in sein Ohr und er strengte sich auch nicht an, alles und jeden genau zu begutachten. Er ließ sich ganz einfach einmal treiben, versuchte, an nichts Bestimmtes zu denken und genoss den schönen, sonnigen Vormittag.

      Seine Füße trugen Bajo wieder zurück zur Straße, an einen weiter höher gelegenen Ausgang des Marktes, da erlitt plötzlich ein Zweispänner einen Radbruch und kam mit mächtigem Krach und Gewieher direkt vor ihm zum Stehen. Fast im gleichen Moment konnte man ein Donnergrollen vernehmen und als Bajo den Kopf drehte, sah er dunkle Wolken im Norden aufziehen. Und als dann noch direkt neben ihm eine Frau begeistert über eine kunstvoll verzierte Vase am Stand eines Händlers mit schriller Stimme kreischte: