Ben Leo

Schattenhunger


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erlesenen Kostbarkeiten angesiedelt, die Auswahl ist wohl in der ganzen Außenwelt unübertroffen. Hier leben die reicheren Geschäftsleute und die Gelehrten, welche den Obersten als Berater oder deren Kindern als Hauslehrer dienen.

      Die Serpentinenstraße rechts klettert in einem weiteren Bogen hinauf, und dort kommt, wieder durch ein Tor getrennt, die dritte Schicht. Dort liegen stattliche Wohnhäuser mit kleinen Gärten und genug Platz für Köche, Diener und Hausmädchen. Sie sind sehr begehrt, denn reiche Kaufleute, Geldverleiher, Transportunternehmer oder Reeder können sich hier einkaufen und die stehen dafür Schlange.

      Das Tor der vierten Schicht ist doppelt bewacht, da den Herrscherfamilien aus den anderen Ländern, die hier ihren Sommersitz haben, auf keinen Fall etwas geschehen darf. Sie residieren in schönen Stadtpalais mit Badehäusern und zauberhaften Gärten.

      Übertroffen wird das Ganze selbstverständlich von den Palastanlagen der obersten Schicht. Der Palast selbst und die vielen Nebengebäude sind aus den edelsten Materialien gebaut. Hier wurden auch Gartenlandschaften mit Springbrunnen, Obstbäumen und immer blühenden Pflanzen und Bäumen angelegt. Der Ausblick von dort oben ist sagenhaft und alle 30 Tage gibt der Peschmar ein rauschendes Fest. Nur die Obersten sind dazu eingeladen und neben der Vergnügung dient das Ganze vor allem dazu, Geschäfte einzufädeln, Seilschaften zu bilden und Komplotte zu schmieden. Ich selbst hatte vor Jahren einmal das Glück, mit meinem Vetter dort mitzufeiern. Im Leben habe ich noch nicht so viele und leckere Speisen auf einmal gesehen. Überall Mimen, Tänzerinnen, Feuerspucker und Musik. Die Gäste prächtig, bunt gekleidet und berauscht durch die Anlagen tanzend. Seitdem weiß ich, was es heißt, hier ein Fest zu feiern.

      Baumeister Silinikus hat die Stadt wirklich bis ins Detail durchdacht. In jeder Schicht wird dem großen Sturzbach Wasser zur Versorgung der Menschen abgerungen und durch ein ausgetüfteltes unterirdisches Kanalsystem wird die Kloake nach unten in den allerersten ausgeschürften Stollen der Minen geleitet, wo sie versickert. In den Berg geschlagene Höhlen bieten riesigen Stauraum für Lebensmittel, Wein, Met, Kleidung, Waffen und sonstige Waren, ohne die kostbare äußere Wohnfläche zu verschwenden. Die Wehranlage ist hoch gebaut und aus Gambastein, einem Granit, hart wie Eisen. So könnte Schichtstadt einer Belagerung über Jahre standhalten.“

      Bajo hing an Topaos Lippen und versuchte dabei, immer wieder die beschriebenen Dinge in der Ferne zu entdecken. „Ich würde was drum geben, einmal in die Stadt zu kommen, das muss wirklich aufregend sein!“, seufzte Bajo sehnsüchtig. „Na, das würde sich doch einrichten lassen“, entgegnete Topao und weckte damit Bajos Aufmerksamkeit. „Wirklich? Wie willst du das anstellen?“, fragte dieser. „Na ja, wenn du dich von deinem Auftrag einige Zeit frei machen könntest und ein wenig handwerkliches Geschick hast, frage ich mal meinen Vetter und schlage ihm vor, dass du mein Gehilfe für die Zeit der Umbauten wirst“, erklärte Topao seinen Einfall. Bajo begann vor Freude auf der Stelle zu hüpfen: „Das würdest du für mich machen? Na klar kann ich mich einige Zeit loslösen! Ich helfe dir! Juchhe! Ich werde Schichtstadt sehen!“ „Ich sende noch heute einen Brief nach Mondaha. Zum Glück kann ich die Falkenpost benutzen, dann werde ich übermorgen schon Antwort haben. Die Papiere zu beantragen dauert nochmal einen Tag. Also in drei, vier Tagen dürfte alles klar sein“, versicherte Topao vergnügt.

      Die beiden machten sich gerade wieder auf den Weg nach unten zur Hauptstraße. Überschwänglich plapperte Bajo von den Dingen, die er gerne sehen wollte, und tänzelte dabei unentwegt um Topao herum. Da kam, was kommen musste: Bajo war so sehr in seine Vorstellungen vertieft, dass er beim Abstieg einen Felsvorsprung übersah und ins Stolpern kam. Topao wollte ihn noch packen, doch schon lag Bajo nach zwei Überschlägen in einem kleinen Busch. Dabei hatte sich die Hülle, die er über die Schulter trug, geöffnet und das Wuko schaute ein Stück heraus.

      „Ich hoffe, dir ist nichts Ernstes passiert“, sagte Topao, als er ihm wieder aufhalf. „Schon die ganze Zeit habe ich mich gefragt, was du da auf dem Rücken trägst, für ein Schwert war es zu schmal und für einen Bogen zu gerade. Jetzt sage mir, was ist das für ein seltsamer Stab? Ich glaube, ich habe so einen schon mal gesehen, aber ich weiß nicht mehr wo...“ Bajo hatte zum Glück nur ein paar Schrammen abbekommen. Dass er aber so unachtsam gewesen war, ärgerte ihn ungemein. Und zu allem Überfluss hatte er dabei auch noch sein Wuko preisgegeben. Eigentlich hatte sich Bajo für diesen Fall schon eine Geschichte ausgedacht: dass er diesen ‚Zierstab‘ einem Händler in Eron abgekauft hatte und ihn als Geschenk für seinen Auftraggeber mitbringen wollte. Doch irgendwie wollte er nun Topao nicht wieder anlügen. „Diesen Stab habe ich von einem alten Meister. Bei Gelegenheit zeige ich dir, was man mit ihm macht“, deutete Bajo an und blickte geheimnisvoll zu Topao. „Gut, gut, ich komme ja vielleicht noch selber drauf. Ich weiß genau, dass ich dieses Ding schon mal gesehen habe. Na, dann lass uns heimwärts ziehen, wenn der Brief noch heute raus soll, muss ich mich ranhalten“, erwiderte dieser. Bajo konnte sich nicht vorstellen, dass Topao wirklich schon mal ein Wuko gesehen hatte, aber egal, er konnte seine Begeisterung kaum zügeln: „Ich freue mich ungemein, Topao! Nicht nur, dass ich Schichtstadt sehen werde, sondern vor allem, dass ich dich kennengelernt habe.“ „Toppi, nenn mich einfach Toppi. Ich freue mich auch, dass das Schicksal uns zusammengeführt hat und ich bin mir sicher, dass eine aufregende Zeit vor uns liegt!“, bei diesen Worten legte Topao Bajo die Hände auf die Schultern und schaute ihn so herzlich und aufrichtig an, dass dieser vor Glück fast weinen musste.

      Tags darauf ging Bajo zurück in die Hügel, um einen Platz zu finden, wo er ungestört üben und auch das Wuko werfen konnte. Er hatte die Schnatterwürmer in sein Ohr gelassen und erzählte ihnen, was er erlebt hatte. „Ich glaube, du hast tatsächlich einen Gefährten gefunden!“, sagte Nela. „Ich würde noch vorsichtig sein!“, warf Neli ein, „es war klug, nichts weiter über dein Wuko zu erzählen. Du musst dir ganz sicher sein, bevor du etwas über deine Lehrzeit oder Malvor preisgibst!“ Nela hielt dagegen: „Aber die Umstände des Zusammentreffens sind doch sehr bedeutungsvoll und was du über Topao erzählt hast, deutet darauf hin, dass du einem echten Kämpfer begegnet bist. Am wichtigsten ist aber, was du in deinem Herzen fühlst.“ Bajo stimmte ihr zu: „Ich fühle mich Toppi vom ersten Augenblick an verbunden. Manchmal glaube ich beinahe, ich würde ihn schon länger kennen. Er strahlt so viel Kraft aus, er gibt mir irgendwie Vertrauen und Mut. Ja, ich habe bei ihm ein gutes Gefühl.“ „Und doch solltest du noch auf ein weiteres Zeichen warten. Geduld ist nicht deine Stärke, doch Geduld solltest du in diesem Fall unbedingt haben“, versuchte Neli Bajo noch ein wenig zurückzuhalten und dieser lenkte ein: „Ich werde einfach den richtigen Zeitpunkt abwarten und mich solange darauf vorbereiten.“

      Hinter den Hügeln hatte Bajo einen freien Platz gefunden. Man konnte ihn von der Straße nicht einsehen und der Markt und die Barracken lagen weit ab. So konnte er nun ungestört vor allem den magischen Wurf üben. Anfangs gelang es ihm noch nicht so richtig, doch je mehr sich Bajo darin vertiefte, desto sicherer wurde er und am Ende vollendete er einen in Perfektion.

      Drei weitere Tage waren vergangen und bei Bajo machten sich Zweifel breit. Topao hatte ihm sicherlich nur aus Höflichkeit Hoffnung machen wollen und ihn bestimmt schon längst wieder vergessen. Wahrscheinlich hatte er sich getäuscht und Topao war nicht der Erste, den er finden sollte. Auf der anderen Seite hatte alles gepasst, vor allem sein Gefühl. „Ich darf mich nicht verrückt machen“, ermahnte Bajo sich selbst, „ich bin vorbereitet und wenn es nicht sein soll, dann muss ich eben weitersuchen.“ So verließ er seine Unterkunft und steuerte mal wieder auf den Markt zu, um sich dort etwas abzulenken. „Hey, mein Herr, wohin so eilig?“, schallte es plötzlich von hinten. Bajo drehte sich um. „Die Zeit der Vergnügungen ist um, jetzt geht’s an die Arbeit!“ „Toppi! Da bist du ja!“, freute sich Bajo. Sein Herz sprang vor Freude und die Last des Zweifels fiel im Nu von ihm ab. Topao lächelte und hielt ihm ein Papier vor die Nase: „Ich habe dir deine Eintrittskarte mitgebracht!“ „Jippie“, rief Bajo und beide mussten lachen. „Pack deine Sachen! Am besten, wir legen gleich los, der Tag ist noch jung!“, trug Topao Bajo auf. Also drehte dieser wieder um und während sich Topao in der Taverne mit den Gästen unterhielt, kramte Bajo seine Sachen zusammen. Nachdem er gezahlt hatte, machten sich die beiden auf zum großen Tor. Es dauerte nicht lange und sie konnten, nachdem die Wache das Dokument peinlichst genau kontrolliert hatte, in die Stadt eintreten. „Ich weiß, dass du darauf brennst, dir alles anzusehen,