Ben Leo

Schattenhunger


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Und als du mir dann von dem Wuko und dem Mann in deinem Traum erzählt hast, der einen Spitzbart und einen Zopf hatte, war ich mir sicher, dass du mein erster Gefährte bist. Außerdem habe ich mich von Anfang an bei dir wohl gefühlt, du hast mir einfach gut getan!“, schloss Bajo seinen Bericht.

      Topao hatte die ganze Zeit gebannt zugehört. Nun beugte er sich zu Bajo rüber und fuhr ihm nachdenklich ins Haar. „Das ist eine ganz schön lange Narbe! Dein Glück, dass sie nicht im Gesicht ist, sondern vom Haar verdeckt wird. Aber noch mehr Glück ist, dass du das überhaupt überlebt hast, denn wie sich das anfühlt, war vielleicht sogar dein Schädel etwas aufgerissen. Du hättest sterben können… Und so wie du mir das Tier beschrieben hast, muss es ein richtiges Monster sein!“ Bajo nickte: „Ja, nur der spitze Ast hat mich gerettet und mir ging es tagelang nicht gut, das kann ich dir versichern.“ „Ich muss selbst sagen“, begann Topao, „dass auch ich von Anfang an gespürt habe, dass unsere Begegnung nicht normal war. Nur wollte ich mir das wohl nicht ganz eingestehen. Und auch ich habe nicht umsonst diesen Auftrag von meinem Vetter angenommen. Ich hatte einfach den Drang, meine Heimat zu verlassen. Nicht, weil mich mal wieder meine übliche Abenteuerlust überkam. Nein, es lief einfach nicht mehr! Die Aufträge, die ich bekam, machten mir keine Freude mehr und es gab immer wieder Quälereien. Meine Freunde sind mittlerweile verheiratet und haben teilweise schon Kinder. Deine Erzählung über die immer gleichen Abläufe und Dialoge haben mich stark an meinen Kreis erinnert, es war mit ihnen einfach nicht mehr wie früher. Als mein Vetter mich fragte, ob ich die Umbauten im Sommerpalais in Schichtstadt beaufsichtigen könnte, war das wie ein Befreiungsruf. Und dazu kamen dann auch noch diese lebhaften Träume. Ich befürchtete schon, dass irgendetwas mit mir nicht stimmen würde, dass ich im Kopf krank werde oder so. Aber mein Leben soll sich wohl verändern, das alles kann kein Zufall sein!“

      Bajo sagte nichts und dachte nichts. Er saß einfach nur da, hörte Topao zu und wusste, dass alles gut werden würde. Sie schwiegen eine Weile und Topao machte den Eindruck, als würden die Dinge für ihn immer klarer werden. Dann hatte er anscheinend einen Entschluss gefasst, er stand auf, stellte sich vor Bajo hin und verkündete: „Dann soll sich mein Leben wohl verändern! Ich werde mit dir gehen, wo immer uns das Schicksal hinführen mag. Was auch immer kommen wird, ich werde an deiner Seite stehen, dir helfen und dich beschützen!“ Topao sagte dies nicht irgendwie pathetisch oder geschwollen. Nein, seine Worte waren ruhig und besonnen und er strahlte dabei wahre Ehrlichkeit und Zuversicht aus. Auch Bajo erhob sich. Sein Gesicht spiegelte die ganze Freude wider, die ihn erfasst hatte: „Auch ich werde dir, als treuer Gefährte, bis in alle Ewigkeit zur Seite stehen. Nichts soll uns jemals auseinanderbringen, möge uns Leva auf unserem Weg beschützen!“ Ganz automatisch hoben beide ihre rechte Hand und schlugen ein. Und wie um ihre Bande zu besiegeln, umgriffen auch ihre linken Hände diesen bedeutsamen Handschlag. Die beiden Männer schauten sich dabei fest in die Augen und einen Moment lang war die Welt für sie beide vollkommen im Lot.

      Dann kniff Topao seine Augen etwas zusammen und fügte hinzu: „Und wenn mich doch mal die Lust überfällt…“, er zog Bajo dabei an sich ran, spitzte die Lippen und versuchte, ihm wieder ins Gesicht zu schmatzen. Bajo bemühte sich lachend, unterbrochen von einem „Nein, bitte nicht!“ oder auch „Bitte nicht wieder schmatzen!“, von Topao zu befreien und am Ende krachten beide durch ihre Rangelei auf den Boden und kicherten wie kleine Kinder.

      „Weit werdet ihr wohl nicht kommen, so wie ihr euch benehmt!“, tönte plötzlich eine Frauenstimme über ihnen. Wie vom Blitz getroffen sprangen die beiden Männer auf und gingen in Abwehrhaltung. Auf einem kleinen Felsen stand eine Frau, die Hände in die Hüften gestützt. Ihre seidenen Kleider und ihre dunklen, vollen Locken flatterten leicht im Wind. Sie schaute die beiden mit einem wilden, entschlossenen Blick an und war eine wirklich beeindruckende und anmutige Erscheinung, die sich da in der Nachmittagssonne auftat. Es war die malikische Schönheit aus Kontoria, die Bajo in Schichtstadt wiedergesehen und die ihn gewarnt hatte! Topao wollte sich schon auf sie stürzen, um sie zu packen, doch Bajo hielt ihn zurück. „Du, du, du bist die Frau aus Kontoria…“, stotterte Bajo. „Ich, ich, ich bin Leandra Monari!“, äffte sie Bajos Gestammel nach und sprach dabei ein noch akzentfreieres Mittenländisch als Topao. „Aber wer bist du? Äh…, Leandra, sagst du ja gerade. Aber ich meine, wieso bist du hier, äh, also warum…“, verhaspelte sich Bajo weiter. Die Frau lächelte triumphierend und genoss ihren, immer noch nachwirkenden, Auftritt.

      „Was wird hier gespielt?“, mischte sich Topao jetzt ein. Bajo bemühte sich, die Situation zu ordnen: „Ich habe dir doch von der peinlichen Geschichte erzählt, von der Frau, die ich verfolgt habe, und dem Mob, der mich durch die Kloake verfolgt hatte. Das ist sie! Und sie habe ich auch in Schichtstadt wiedergesehen, als wir uns amüsieren wollten. Sie war der Grund, warum ich plötzlich umkehren wollte. Sie hatte mich gewarnt!“ Bajo wandte sich wieder zu Leandra: „Ja, wieso hast du mich eigentlich gewarnt? Wovor? Und wo kommst du eigentlich so plötzlich her?“ „Na ja, im Fragenstellen bist du anscheinend ganz gut, aber wenn es darum geht, Antworten zu finden…“, entgegnete sie spöttisch. „Du bist nicht der Einzige, der etwas von Malvor gelernt hat!“, zwinkerte Leandra.

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      „Waaahhh!“, die beiden Männer stießen gleichzeitig einen unbeherrschten Schrei aus, es war; als hätte ihnen jemand in die Magengrube geschlagen, als sie diesen Satz hörten. „Woher kennst du Malvor?“, schrie Bajo sie fast an. Doch Leandra lächelte jetzt nur noch breiter, drückte ihr geschmeidiges Kreuz noch ein Stück weiter durch und schien auf dem Gipfel ihres Triumphs. Aber anstatt sich weiter aufzuregen, wurde Bajo plötzlich ganz ruhig. Und je länger er Leandra dort oben stehen sah, desto mehr verzauberte sie ihn. Er erinnerte sich an ihre erste Begegnung und fühlte sich auf seltsame Weise mit ihr verbunden. Sie war so schön, so ein fröhlicher Mensch, der gleichzeitig Sanftmut ausstrahlte. Topao hatte sich zurückgehalten, aber jetzt rüttelte er an Bajo, da dieser die Frau nur noch anhimmelnd anstarrte. „Ich freue mich, dich kennenzulernen, Leandra“, brachte Bajo schließlich heraus und lächelte. „Schön, dann würde ich vorschlagen, ihr helft einer Dame jetzt hier herunter!“, forderte Leandra die beiden Männer auf. Diese sprangen gleich vor und reichten ihr die Hand, doch im selben Augenblick wirbelte Leandra mit einem Salto und einer halben Schraube über sie hinweg und kam hinter ihnen zum Stehen. „Was glaubt ihr? Dass ich eine alte Großmutter bin?“, rief sie und brach in ein schallendes Gelächter aus. Die verdutzten Männer schauten sich zunächst fragend an, fielen dann aber in das ansteckende Lachen ein. Dies war für alle sichtlich befreiend und die Spannung legte sich. Um die darauffolgende Stille zu unterbrechen, begann Bajo, sich vorzustellen: „Also, mein Name ist Bajo Tisterbrock und das ist Topao Mukarra.“ „Ich weiß, wer ihr seid!“, winkte Leandra ab und schaute schon wieder so schelmisch. „Ich beobachte euch schon eine ganze Weile und deinen erstaunlichen Bericht habe ich auch mitangehört! Ja, und bevor du fragst, deine beeindruckende Vorführung mit dem Wurfholz habe ich ebenfalls gesehen!“ „Aber wie hast du uns beiden so unbehelligt folgen können?“, warf Topao verwundert ein. „Wie ich sagte, Malvor hat auch mir etwas beigebracht. Er hat mir gezeigt, wie man sich quasi unsichtbar macht!“ Die Männer machten große Augen. Bajo schwirrten jetzt tausend Fragen durch den Kopf, aber er wusste nicht, wo er anfangen sollte. „Ich mache euch einen Vorschlag“, sagte Leandra, die nicht verbergen konnte, wie sehr sie ihren Triumph genoss, „wir kaufen uns ein paar gute Dinge auf dem Markt und machen gemeinsam in eurem Palais ein nettes Abendessen.“ Noch bevor die beiden antworten konnten, schritt sie voran und fügte hinzu: „Sind übrigens sehr schön geworden, eure Umbauten…“ Bajo sah gerade noch, wie sich ein weites Grinsen über Leandras Gesicht zog und fragte sich, woher sie das nun schon wieder wusste. Topao zuckte nur mit den Achseln und folgte ihr einfach.

      Leandra hatte einen flotten Schritt drauf und hüpfte elegant über die Felsen, wenn sie eine Abkürzung nahm. Die gut trainierten Männer kamen ganz schön ins Schwitzen, um ihr folgen zu können. Während der ganzen Strecke wechselten die drei kaum kein Wort. Nur auf dem Markt tauschten sie sich über die Lebensmittel und darüber, was sie gerne aßen, aus. Die Schlange am Tor war zum Glück nur kurz und anscheinend besaß auch Leandra Papiere, die sie brav vorzeigte. Bevor sie allerdings das Tor zur vierten Schicht erreichten, machte ihre neue Begleitung kurz Halt. „Ich möchte, dass