Ben Leo

Schattenhunger


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die Belegschaft wieder hierherkommt. Ich habe gesagt, du wärst mein Cousin aus Großmittenland und möchtest dir, während deines Aufenthaltes hier, ein paar Kupferstücke verdienen. Die Wirtin stellt für die Feste immer ein paar ihrer Leute zur Verfügung, die dort servieren oder in der Küche helfen. Ich habe uns beide als Servier- und Küchenhilfen angeboten und wir werden dabei sein. So wie versprochen!“ Bajo machte ein dummes Gesicht. Im Geiste sah er sich schon als Eroberer einer Prinzessin, die sich spontan in ihn verliebt hatte. Etwas überrascht bemerkte er: „Als Laufbursche also… Na ja, dabei sein ist alles! Dann brauche ich mir ja auch keine Gedanken mehr machen, was ich anziehen soll...“

      Etwas später aßen sie die restlichen Blätterteighörnchen vom Morgen, tranken Tee und Leandra und Bajo fragten Topao nach seinem Vetter und der königlichen Familie aus. „Komm Topao, wann erfährt man schon mal von solch Dingen aus erster Hand?“, bettelte Leandra, da sich Topao doch etwas wortkarg gab. Der wiegelte ab: „Ich bin nur bei ein paar Festen der Familie meines Vetters dabei gewesen. Die waren aber immer sehr formell und langweilig. Keiner von den hohen Herrschaften gibt sich da die Blöße. Nur am Schluss, wenn reichlich Alkohol geflossen war, kam der eine oder die andere aus sich raus. Aber letztendlich war es dann auch nur Gejammer über das ‚schwere Los‘, ein Adliger zu sein. Oder es wurde aus Missgunst über Rivalen gelästert und mancher schüttete sein Herz über eine zerbrochene Liebe aus. Alles in allem also wie im Leben der normalen Leute, nur die Szenerie ist dekadent und Gold spielt keine Rolle. Beim Fest des Peschmars, das hier alle dreißig Tage stattfindet, gab es allerdings wohl schon so einige Skandale, Könige und Fürsten, die sich blamiert haben. Und an einigen Orten in den Palastanlagen soll es am Ende sehr frivol und obszön zugehen.“ „Na, dann haben wir uns ja das richtige Fest ausgesucht!“, jubelte Bajo. „Vergiss nicht, dass du nur zum Bedienen da bist!“, zügelte ihn Leandra. „Bedienen?... Ja, die eine oder andere Königin oder Prinzessin würde ich auch gerne bedienen, wenn sie es verlangt…“, Bajo grinste frech und konnte sich diesen, doch eher dämlichen, Spruch als Seitenhieb auf die gestrige Szene nicht verkneifen. Neckend erwiderte Leandra: „Sei nicht albern, nicht mal im Vollrausch würde sich eine mit dir einlassen… Na, vielleicht die Fürstin Mutter von Hembrock… mit ihren über 80 Jahren…“

      Topao merkte, dass sich da wieder etwas zwischen den beiden aufschaukelte und wechselte abrupt das Thema: „Es sind ja noch ein paar Tage hin. Überlegt lieber mal, was wir bis dahin mit der kostbaren Freizeit anfangen wollen.“ „Du hast recht, Toppi“, stimmte ihm Bajo zu, „Und verzeih mir bitte meinen blöden Spruch, Lea.“ „Ich meinte es auch nicht so, aber wenn man mich reizt…“, lenkte sie ein. „Ich habe Toppi vorhin ein paar Kraftübungen gezeigt. Die müsstest du doch auch von Malvor kennen, oder?“, fragte Bajo. „Sicher, er hat mir vieles beigebracht, auch Kraftübungen.“ „Was hältst du denn davon, wenn du mir die zeigst?“, schlug Bajo vor, „Dann können wir uns austauschen. Und nebenbei können wir die auch Toppi beibringen.“ Lea zögerte und überlegte eine Weile: „Na schön, ich denke, es spricht nichts dagegen, vielleicht kannst du ja was, was ich noch nicht kenne. Malvor sagte mir über einige Übungen, dass sie speziell für Frauen wären, aber wenn du willst, zeige ich dir diese auch.“ Also gingen sie zusammen zu einem Stück freier Fläche in den Garten hinaus und Bajo und Leandra machten sich gegenseitig vor, was sie gelernt hatten. Es gab viele Gemeinsamkeiten, einiges führten sie unterschiedlich aus und ein paar Dinge waren für den anderen völlig neu. So verbrachten sie den Nachmittag damit, die neu gelernten Übungen zu wiederholen, wobei Topao natürlich alles ganz von Grund auf lernen musste. Erst als es fast dunkel war, hörten sie auf. Die Spannungen hatten sich jetzt endgültig gelöst, Leandra übernahm wieder die Führung in der Küche und sie verbrachten bei köstlichen Speisen einen fröhlichen Abend.

      Auch am nächsten Tag setzten sie ihre Übungen fort. Leandra trug eine enganliegende Hose, darüber ein schlichtes, längeres weißes Hemd mit einem Gürtel darum, sodass es aussah wie ein kurzes Kleid, dazu leichte Schuhe mit den gleichen Sohlen, wie Bajo sie hatte, und eine kurze Jacke in dunkelrotem und schwarzem Muster. Es war erstaunlich, wie sehr sie ihr Erscheinungsbild verändert hatte, von einem kecken Mädchen zu einer kleinen Kämpferin. Solch perfekte Verwandlungen hatte sie wohl in ihren Jahren mit Malvor erlernt.

      Am frühen Nachmittag wollten sie gerade wieder loslegen, als Leandra geschäftig im Garten umherlief und überall alte, kleine und größere Dosen aufstellte, die sie im Abstellraum der Bediensteten gefunden hatte. Bajo und Topao, die sich etwas wunderten, wurden von ihr auf die Terrasse verwiesen. Dann stellte sich Leandra in der Mitte des Gartens auf, holte etwas aus ihrer Tasche hervor und begann mit einigen Bewegungen, mal langsam, mal schnell. Irgendwann ging eine der Abfolgen darin über, dass etwas in ihrer linken Hand umherwirbelte. Die beiden Männer staunten nicht schlecht, Leandra hielt eine Steinschleuder in der Hand! Mit einem präzisen und wuchtigen Wurf, schoss sie die erste Dose um. Nach einer eleganten Umdrehung hatte sie schon wieder den nächsten Stein geladen und ein weiter Becher fiel. Wie in einem Tanz traf Leandra nacheinander alle zwölf Dosen, die sie aufgestellt hatte, und jede sprang mit einem Knall in die Beete. Nun staunten die beiden noch mehr und schauten sich mit offenen Mündern an. „Da schau her! Was nicht so alles in einer so netten, hübschen Dame stecken kann…“, wunderte sich Topao. Auch Bajo war sichtlich beeindruckt: „Alle Achtung! Das war ja eine Wahnsinnsvorstellung! Hat dir das Malvor beigebracht?“ „Was glaubst du wohl…?“, japste sie, noch ganz außer Atem. „Du bist nicht der Einzige, der eine Waffe bekommen hat. Diese Schleuder ist auch von den Balden. Sie ist aus besten Materialien hergestellt und wenn man einen Schrei dazu ausstößt, der von ganz innen kommt und mit aller Macht auf den Feind gerichtet ist, ist der Treffer absolut tödlich.“ Bajo erinnerte sich plötzlich daran, das Malvor ihm zu seinem Wuko etwas Ähnliches erzählt hatte. Er meinte aber, dass dies für Bajo nur bedingt gültig sei, da dieser das Wuko mit der rechten und nicht mit der linken Hand führte. Er hatte so einen Schrei sogar üben müssen, allerdings ohne dabei das Wuko zu benutzen.

      Leandra kam grinsend zurück, nachdem sie alle Steine wieder eingesammelt hatte. Diese waren so groß wie Walnüsse, kugelrund und für ihre Größe recht schwer. Leandra winkelte den rechten Arm etwas an und ließ die Steine, einen nach dem anderen, in den Ärmel ihrer Jacke rollen. Bevor die Männer fragen konnten, zeigte sie ihnen, dass in das Innere des Ärmels eine längliche Lederhülle eingenäht war, die genau zwölf Steine aufnehmen konnte. Eine spezielle Schlaufe verschloss das Ganze. Mit einem Griff der rechten Hand konnte Lea die Schlaufe lösen und mit dieser auch die Schleuder in ihrer Linken immer wieder blitzschnell nachladen: „Malvor hat mich gelehrt, dass ich es schaffen muss, überall zu überleben. Daher zeigte er mir auch, mich in der Wildnis durchzuschlagen und wie man jagt. Diese Steinschleuder wurde dabei zu ‚meiner‘ Waffe.“ „Dann sind wir ja gut gerüstet, falls wir mal in Bedrängnis kommen sollten“, bemerkte Bajo hocherfreut. Er drehte sich zu Topao um: „Fehlt eigentlich nur noch, dass du eine Waffe beherrschst." „Na ja, ich für meinen Teil halte mich da lieber an die herkömmlichen Arten“, erklärte dieser, „Ich will ja nicht prahlen, aber mit dem Schwert war ich immer einer der Besten. Schon als Junge habe ich mit meinem Cousin fleißig geübt, welcher seine Laufbahn dann auch in der malikischen Armee eingeschlagen hat. Ich habe ihn immer mal wieder für eine Zeit im Ausbildungslager besucht und durfte mich dort beweisen. Jedes Mal wollte der Kommandant mich überreden, doch zu ihnen zu stoßen. Wartet kurz, ich habe mein Schwert sogar mit hierhergebracht.“ Kurz darauf kam Topao mit seinem Schwert in der einen und einem kleinen Beutel Kartoffeln in der anderen Hand zurück. Er zeigte es den beiden und sie nahmen es auch mal in die Hand. Leandra bemerkte, dass ihr die Waffe viel zu schwer sei, Bajo hingegen fand sie relativ leicht, jedenfalls im Gegensatz zu dem Schwert, welches er einmal in Kontoria bei seinem Freund ausprobiert hatte. Nun drückte Topao jedem ein paar Kartoffeln in die Hand und bat sie, auf Zuruf die Knollen im Bogen auf ihn zu zuwerfen, wobei Bajo anfangen sollte. Zunächst schwang Topao die Waffe locker umher und vollführte sehr geschickt einige einstudierte Bewegungsabläufe. Dann hieß er die beiden, die Kartoffeln zu werfen. Mit schnellen kräftigen Hieben durchtrennte er diese und wirbelte dabei geradezu umher. Die letzte schließlich spießte er auf, indem er sie, bei einem Ausfallschritt, mit der Spitze voran durchbohrte. „Alle Achtung!“, lobte ihn Bajo. „Und sehr anmutig in deinen Bewegungen“, ergänzte Leandra. „Jedenfalls werde ich mich im Fall der Fälle nicht kampflos ergeben…“, erwiderte Topao grinsend.

      Die