Ben Leo

Schattenhunger


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hören konnte, aber nichts. Er konnte doch jetzt nicht alle Türen öffnen, um nachzuschauen, ob sie vielleicht dahinter wäre. Nein, das war nun doch zu gefährlich, er hatte sich sowieso schon viel zu weit vorgewagt. Auf der einen Seite enttäuscht, auf der anderen Seite aber auch irgendwie erleichtert, drehte Bajo um und setzte zum Rückweg an.

      „Wir sind hier alleine und sicherer, wer weiß schon, ob nicht einer aus der Dienerschaft am Ende etwas mithört…“, schallte eine Männerstimme wie aus dem Nichts. Regelrechte Panik ergriff Bajo. Er sprang zur nächsten Tür, die im Verhältnis zu den anderen recht groß war, schlüpfte hindurch und schloss sie leise wieder. Er wunderte sich selbst, wie schnell und gewandt er diesen Akt vollzogen hatte. Jetzt strömten alle Gedanken auf einmal auf ihn ein: „Was, wenn ich hier erwischt werde? In Kontoria hätte man mich als Staatsbürger sicherlich nicht so hart bestraft, aber hier? Als Ausländer? Als potentieller Spion? Bestimmt der Galgen! Was ist, wenn die jetzt genau hier hereinwollen? Wie enttäuscht werden meine Gefährten wohl von mir sein?“ Die Stimmen wurden nun sehr laut - wer auch immer da kam, musste fast an der Tür angelangt sein. Bajo drehte sich um. „So ein Mist!“, fluchte er innerlich denn es war kein Vorhang zu sehen - das Zimmer bloß ein fensterloser Innenraum. Genauer genommen war es ein kleiner Salon mit einem langen Sofa und ein paar großen Sesseln, zwischen denen ein paar kleine Tische standen. Bajo huschte zum Sofa hinüber und rollte sich darunter, gerade noch rechtzeitig, bevor tatsächlich die Tür aufging. „Das ist mein Lieblingsort, wenn ich alleine sein will. Weit weg von meiner Frau, Hahaha. Hier habe ich schon so einige Zimmermädchen und Mägde vernascht!“, tönte die gleiche Stimme von eben. Bajos Herz klopfte hoch bis zum Hals. An der unteren Kante des Sofas, unter dem er lag, hing zum Boden hin eine dichte Reihe von Zierkordeln, durch die Bajo gut hindurch lugen konnte. Er sah, wie sich zwei Männer einander gegenüber auf die Sessel setzten. Der eine schlurfte etwas und war sehr korpulent. Der andere… den anderen kannte Bajo! Es war der merkwürdige Kerl, den er von seinem Versteck aus im Palast von Kontoria gesehen hatte. Angestrengt überlegte er, aber er kam nicht auf den Namen.

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      „Nun, Eure Eminenz“, begann jener schon bekannte, „da Ihr euch mit mir treffen wolltet, entnehme ich dieser Tatsache, dass Ihr offen für meine Andeutungen seid.“ „So ist es, mein lieber Delminor, so ist es“, bestätigte der Korpulente und jetzt klingelte es bei Bajo wieder, ‚Delminor‘ war der Name! „Ihr habt angedeutet, dass Ihr mir etwas geben könnt, was ich begehre, wenn ich ein Komplott mit Euch eingehe. Da bin ich erstmal neugierig geworden. Aber bedenkt, als Herrscher von Schichtstadt könnt Ihr mich nicht für Gold und Edelsteine kaufen!“ Bajos Augen wurden vor Schreck ganz groß, „Ach du meine Güte, der Peschmar!“, schoss es ihm durch den Kopf. „Das ist mir sehr wohl bewusst, Eure Hoheit, nein ich kann euch natürlich etwas ganz Besonderes anbieten!“, fuhr Delminor fort. „Na, dann rückt schon raus mit der Sprache, spannt mich nicht auf die Folter!“, drängte der Peschmar. Delminor erläuterte: „Mein Gebieter, Gamor der Große, hatte sich gewundert, dass sein Vorgänger ‚Arus der Gütige‘ so ein hohes Alter erreichte. Als sein Nachfolger richtete er sich in dessen ehemaligen königlichen Gemächern ein und fand im Nachttisch einen seltsamen Stein…“ „Einen Melonstein!“, unterbrach ihn der Peschmar freudig erregt. Delminor nickte: „Ja, in der Tat, die Alchemisten bestätigten die Echtheit dieses Juwels. Da Arus den Tod seiner Söhne nicht verkraftet hatte, legte er den Stein wohl beiseite, um zu sterben.“ „Ein Melonstein! Den muss ich haben!“, geiferte der Peschmar. „Was muss ich tun? Schnell, sagt mir, was ihr verlangt?“ „Oh, es ist eigentlich nicht viel…“, deutete Delminor an und beugte sich zum Peschmar herüber, um ihm etwas zuzuflüstern.

      Bajo strengte sich an, die Worte zu verstehen, aber er - das heißt, auch die Schnatterwürmer - konnte nur ein paar Brocken heraushören. Er verstand „ein paar Truppen aufmarschieren“, „Euch natürlich nichts tun“ und „Hilfe anfordern“.

      Der Peschmar strich sich mit der Hand unruhig um das Kinn. „Ihr wisst, dass ich zu Karamin und damit zu Mondaha eine sehr gute Beziehung habe…“ „Gewiss, Eure Herrlichkeit, aber das ist doch das Geniale, euch trifft keine Schuld! Ein Freund ruft den anderen um Hilfe, mehr ist es doch nicht“, beruhigte ihn Delminor. „Ich weiß nicht…“, zögerte der Peschmar. „Karamin ist ein treuer Freund… Und wieso will sich Gamor eigentlich von diesem Schatz trennen? Das finde ich doch sehr merkwürdig, da ist doch was faul…“ Delminor beschwichtigte den Herrscher: „Vertraut mir, Eure Großzügigkeit, Gamor legt keinen Wert auf diesen Stein. Er ist der Führer unseres Glaubens, ein Bote Helimars selbst. Er sehnt sich nach dem Paradies unseres Gottes. Wenn er sein Werk auf Erden vollbracht hat, geht er mit Freuden in seine Welt über. Je eher, desto besser! Und seid unbesorgt wegen eures Freundes, wenn Ihr es wünscht, werden wir ihn und seine Familie gehenlassen und er kann bei euch Zuflucht finden. Bedenkt, Ihr seid nicht mehr der Jüngste. Wollt Ihr nicht noch viele Jahre euren Reichtum genießen? Denkt nur an die vielen Jungfern, die ihr noch beglücken könntet!“ Die Augen des Peschmars wurden wieder größer: „Jaaa, ja Ihr habt recht! Aber Ihr müsst schwören, Karamin gewähren zu lassen! Und wenn was schiefläuft, wusste ich von nichts! Und den Stein, ja den Stein will ich zuerst haben, bevor ich da mitmache!“, dann fügte er schelmisch grinsend noch hinzu: „Er bedeutet Eurem Führer ja eh nichts, nicht wahr…?“ Delminor war zufrieden und reichte dem Peschmar die Hand: „So soll es sein, Eure Prächtigkeit, lasst uns den Pakt besiegeln, er wird uns beiden Glück bringen!“ Der Peschmar schlug ein und die beiden erhoben sich wieder.

      Als sie gegangen waren, fiel die ganze Anspannung von Bajo ab, was durch einen langen, lauten Furz begleitet wurde. „OHHahh, tut das gut!“, seufzte Bajo leise, „ich hätte nicht das Bohnenmus naschen sollen…“ Doch schon waren seine Gedanken wieder bei dem gerade Erlebten. „Die planen was gegen den König von Mondaha, soviel steht fest! Aber was?“, murmelte er. Und an die Schnatterwürmer gerichtet: „Habt ihr das gehört, dieser Gamor hat einen Melonstein, von dem ihr mir erzählt habt.“ „Das riecht nach Verschwörung!“, antwortete Neli. „Aber was können wir dagegen tun?“, fragte Nela. „Tja das weiß ich auch nicht“, bedauerte Bajo. „Ich weiß ja nicht mal genau, was da geplant ist. Und selbst wenn, wer würde mir schon glauben? Außerdem dürfte ich ja gar nicht hier sein… Oh nein! Apropos ‚hier sein‘, meine Pause ist längst vorbei! Der Vorsteher lässt mich in den Kerker werfen! Wenn sie mich nicht sowieso vorher zu fassen kriegen!“ Bajo kroch schnell unter dem Sofa hervor, sprang auf und horchte an der Tür. Da nichts zu hören war, ging er jetzt aufs Ganze. Er schritt hinaus in den Gang und eilte schnurstracks zu der Seitentür zurück, durch die er gekommen war. Wenn ihn jetzt einer erwischte, konnte er immer noch behaupten, er hätte sich verlaufen. Dann rannte er zurück Richtung Fest, wobei er einen anderen Laufburschen aus seiner Gruppe überholte. „Hey, Baja, oder wie du heißt“, rief der ihm hinterher und Bajo stoppte. „Der Oberdiener sucht dich schon! Deshalb hat er mir zwei Aufträge gegeben! Nimm du das Tablet mit dem weißen Perlwein hier, ich hole dann den Rotwein!“ Das war Bajos Rettung! Er nahm das Tablet, bedankte sich und balancierte die Fracht, so schnell er konnte, durch das Getümmel hindurch. „Wo warst du, Bursche? Deine Pause ist längst vorbei! Wieso hast du den… ach egal, los, bring das dahinten hin, zum rosa Buffet! Und dann nochmal das Gleiche zum grünen Buffet, zack zack!“, ermahnte ihn der Vorsteher. Bajo fiel ein Stein vom Herzen, gerade noch einmal gut gegangen.

      Mittlerweile hatte das Fest seinen Höhepunkt erreicht, es war ein ohrenbetäubender Lärm; Musik, Gelächter, Gebrabbel und Gekreische hämmerten auf Bajo ein – und auf die Schnatterwürmer. „Das ist uns jetzt doch zu viel des Guten“, meldeten sich Nela und Neli, die sich ja sonst still verhielten. „Wir können nicht mehr, bitte lass uns wieder heim!“ Bajo konnte das gut verstehen. In einem günstigen Augenblick tat er so, als würde er sich kratzen und hielt dabei die Schote in sein Ohr. Gleich darauf kitzelte es auch schon und wenige Augenblicke später verstaute er seine Kostbarkeit wieder unter dem Hemd. Von da an verstand Bajo wieder nur noch ein paar Brocken, aber er kannte inzwischen genügend Wörter im Zusammenhang mit Speisen, sodass er keine Probleme hatte, den Anweisungen des Vorstehers zu folgen. Das Getöse und die Hektik lenkten ihn von den rätselhaften Erlebnissen aus dem Palast ab und er genoss es sogar, das bunte Treiben zu beobachten. Natürlich hatte er auch immer mal wieder