Ben Leo

Schattenhunger


Скачать книгу

genossen sie auch die Vorzüge des Anwesens und ließen es sich gut gehen. Drei Tage später war es dann soweit, Leandra und Bajo zogen in die Herberge in der untersten Schicht und die Belegschaft des Palais quartierte sich wieder ein. Nach weiteren zwei Tagen standen dann schließlich vier Sänften und etliche Lastenkarren vor dessen Tür. Vetter Ireb und Prinzessin Meliva sowie deren Sohn und die zwei Töchter bezogen ihr Sommerquartier. Sie waren hocherfreut über die Umbauten und entlohnten Topao fürstlich, obwohl dieser beteuerte, sich auch mit einem Bruchteil zufrieden zu geben. Schon am übernächsten Abend sollte dann das große Fest steigen.

      4.1 Beim Peschmar von Schichtstadt

       4. Kapitel - Krieg zieht auf

      Am Morgen des Festtages mussten Leandra und Bajo mit etwa zwanzig anderen zum Apell in dem Gasthof antreten, wobei alle Schürzen und Jacken der königlichen Dienerschaft anhatten. Die Wirtin ermahnte sie, keine Schande über ihr Haus zu bringen und fleißig zu sein und führte sie dann nach oben zum Palast. Jeder hatte spezielle Papiere bekommen und wurde am obersten Tor genauestens kontrolliert sowie nach Waffen durchsucht. Bajo hatte sein Kristallmesser, den Sonnenstein und sein Wuko in seinem Zimmer der Herberge gut versteckt. Der Edelstein, den er in den Stollen gefunden hatte, war ja im Geheimfach seines Gürtels sicher.

      An diesem Tag hatte Bajo die Schnatterwürmer in sein Ohr gelassen und sie gebeten, ihm bei dem besonderen Anlass zur Seite zu stehen. Wie immer sollten sie ihm alles übersetzen, worauf er sich konzentrierte, und ihm, wenn nötig, Fragen beantworten. Nela und Neli willigten gerne ein und merkten an, dass dieser Ausflug auch für sie eine schöne Abwechslung wäre. Bajo trug die Schote unter dem Hemd, sodass er die Schnatterwürmer auch jederzeit wieder aus seinem Ohr herauslassen konnte.

      Im Gänsemarsch ging es nun weiter. Leandra und Bajo mussten aufpassen, in der Reihe zu bleiben und dem Vordermann nicht in die Hacken zu laufen, da sie ihre Blicke voller Neugier über die Anlagen schweifen ließen.

      Auf einem Platz vor der Hauptküche machten sie schließlich Halt und sahen gerade noch, wie ein Trupp, der unmittelbar zuvor eingewiesen worden war, in den Gemäuern verschwand. Hier übergab die Wirtin ihre Gruppe einem Mann der königlichen Dienerschaft und verabschiedete sich wieder.

      „Schaut mich genau an!“, begann dieser im strengen Ton. „Ich bin heute euer Gott! Was ich euch sage, werdet ihr auch sofort erledigen! Wer nicht gehorcht, wandert in den Kerker! Habt ihr mich verstanden?“ „Jawohl!“, riefen die, die schon öfter ihren Dienst hier oben verrichtet hatten. Leandra hatte Bajo nebenbei die wichtigsten malikischen Worte beigebracht, übersetzte aber zur Sicherheit ganz leise. Sie wusste ja nicht, dass er Schnatterwürmer besaß. „Seht ihr die blauen Schulterklappen?“, fuhr der Mann fort, „Wenn ihr bei dem ganzen Durcheinander tatsächlich mein Gesicht vergessen solltet und ihr nicht weiterwisst, wendet euch an den Gott mit den blauen Schulterklappen!“ Es folgte ein doch eher gespieltes Gelächter der angeheuerten Mannschaft, da das anscheinend ein Scherz war. „Ihr werdet mir jetzt folgen und ich werde euch drinnen einzeln zuweisen. Die, die schon öfter hier waren, kennen das Spiel ja“, ordnete er an.

      Alle folgten dem ‚Gott‘ und in einem Vorraum mussten sie nacheinander vortreten. Die einen wurden der Küche zugewiesen, die anderen als Speisenträger eingeteilt. Leandra war nicht sehr erfreut, dass sie in der Küche schuften musste, hatte es aber im Grunde schon so erwartet. So verschwand sie mit einigen anderen Frauen in der Großküche. Bajo hingegen wurde als Laufbursche eingewiesen und half zunächst beim Aufbau des Festmobiliars. Er schleppte Tische, Stühle, Vasen und sonstige Dekorationen. Mit der Zeit fanden sich auch die Unterhaltungskünstler ein und suchten sich ihren Platz. Narren, Clowns, Feuerschlucker, Musiker, Tänzer und vor allem Tänzerinnen bereiteten sich auf den Abend vor. Natürlich konnte Bajo es wieder nicht lassen, den hübschen, exotischen Grazien hinterher zuglotzen. Einmal wäre er deswegen mit einer großen Vase in den Händen fast gestolpert und zog so die strengen Blicke des ‚blauschultrigen Gottes‘ auf sich. „Wenn du was kaputt machst, wirst du das die nächsten Wochen abarbeiten, hast du mich verstanden, Bursche?“, herrschte er Bajo an. Der war kurz davor, auf die Knie zu fallen und „Bitte bestraft mich nicht, eure Gottheit!“ zu rufen, verkniff sich das aber doch lieber, denn Scherze durfte hier nur der Vorsteher machen.

      Allmählich wurde es Abend und das Treiben immer hektischer. Bajo musste jetzt auch schon die ersten Lebensmittel und Getränke heranschaffen. Dann sah er durch eine Mauerschlucht zum großen Vorplatz, dass die ersten Sänften mit den hohen Herrschaften eintrafen. Die Musiker begannen zu spielen und die Spannung stieg. Als sich die ersten Gäste einen Platz suchten, wurden in Windeseile warme Speisen herbeigeholt. Die Reihen füllten sich nun immer mehr und während Bajo am Anfang noch genügend Zeit gehabt hatte, die Hochwohlgeborenen zu begutachten, flitzte er jetzt nur noch hin und her und schaffte heran, was sein Vorsteher ihm befahl. Auf einmal ertönten Fanfaren und am Haupttisch nahmen der Peschmar und seine Familie Platz - von Bajos Position aus leider kaum zu erkennen. Nach einer kurzen Begrüßung verkündete ein Redner die offizielle Eröffnung des Festes und dann ging es richtig los. Immer mehr Braten, Gemüse, Suppen, Wein und Met wurden geordert, von allen Seiten erklang Musik, Tanzgruppen und einzelne Tänzerinnen unterhielten die Gäste, zwischendrin verzauberten Magier und Feuerschlucker die Leute oder man lachte lauthals über die Späße der Narren. Inzwischen karrte Bajo auch allerlei wunderschön dekorierte Süßspeisen heran und auch der Rückfluss von benutzten Tellern, Besteck, Schüsseln, Krügen und Gläsern hatte stark zugenommen. Bajo kam ganz schön ins Schwitzen und die Schlepperei machte seinem Rücken merklich zu schaffen.

      Nach einigen Stunden flaute der Essensstrom ab, die Gäste hatten ihren Hunger gestillt und verlangten nun mehr nach Alkohol. Damit wurde es auch für die Bediensteten etwas ruhiger. Es war so eingerichtet, dass jetzt immer einer der Laufburschen reihum eine Pause machen durfte. Bajo ließ den anderen den Vortritt und nahm seine Auszeit erst als Letzter. Als er dann an der Reihe war, führte ihn sein erster Weg zu den Latrinen der Dienerschaft. Diese lagen recht weit entfernt und kosteten ihn bereits einen guten Teil seiner Pause. Da ihm der Magen eine ganze Weile geknurrt hatte, musste schon zwischendurch etwas Bohnenmus herhalten, welches er sich beim Zurücktragen von Resten, einfach von dem Tablet genommen und schnell in den Mund gesteckt hatte. Auf dem Rückweg wollte er dann aber endlich in der Großküche vorbeischauen, denn dort lagen die Essensreste aus, die sich das Personal ganz offiziell nehmen durfte. Doch bevor er dort ankam, fiel Bajo eine Seitentür auf, die einen Spalt weit aufstand. Er hielt inne und kämpfte mit sich selbst. „Nein, tue es nicht. Du weißt, was das letzte Mal passiert ist… Auf der anderen Seite… ich kann ja einfach mal einen Blick riskieren. Zeit habe ich noch und wann werde ich wohl je wieder die Gelegenheit haben, mir den Palast von Schichtstadt anzusehen?“, dachte er sich und lugte schon durch die Tür um die Ecke. Enttäuscht bemerkte er dahinter nur einen weiteren Gang. „Was soll’s…“, war sein nächster Gedanke und er schlich diesen Korridor hinauf bis zur nächsten Abzweigung. Dummerweise bog Bajo ohne jegliche Vorsicht ab, da er keine Geräusche hörte, doch dann erstarrte er augenblicklich: In einiger Entfernung lehnte eine Frau an der Wand. Offensichtlich eine hochwohlgeborene und anscheinend auch beschwipst, denn sie wandte den Kopf relativ langsam Richtung Bajo, drehte sich dann weiter um, wobei sie sich von der Wand wegdrückte, gleichzeitig jedoch auch schwankend an ihr festhielt, hob dann die andere Hand und warf ihm einen Kuss zu. Bajo war wie gelähmt und konnte nur ein breites Grinsen zustande bringen. Die Frau machte eine Handbewegung, die andeutete, ihr zu folgen, drehte um und torkelte einen weiteren Gang hinauf.

      Jetzt war Bajo in großer Versuchung. Hatte er doch gerade erst große Sprüche vor seinen Gefährten geklopft und nun war die Situation tatsächlich Realität! Und seltsamerweise kam ihm in diesem Moment auch die Szene mit Leandra in den Sinn, in welcher sie Bajo an dem fröhlichen Abend von der Treppe aus dieses seltsame ‚Tue es nicht‘ zu verstehen gegeben hatte. Was sie wirklich damit gemeint hatte, wusste Bajo noch immer nicht, aber an jenem Abend war er drauf und dran gewesen, sich mit einer Frau zu vergnügen, so wie sich ihm ja auch jetzt die Möglichkeit bot. Sollte er lieber kehrtmachen? Nein, die Versuchung war zu groß! Bajo schluckte einmal kräftig und marschierte der Frau, die schon um die nächste Ecke gebogen war, hinterher. Kurz bevor er allerdings den Gang erreichte, hielt er inne, denn er vernahm Stimmen. Diese