Christian Urech

Misericordia City Blues


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Wesen aus anderen Galaxien. Mit der Zeit hatte Don Quichotte sich selbst immer mehr davon entfernt, ein Erdling zu sein, und hatte sich nach und nach zum Abgesandten einer fremden galaktischen Macht gemausert, fast nebenbei berufen, die Erde, wohin es ihn nun mal verschlagen hatte, vor Kräften des Bösen zu retten und zu bewahren.

      Diese Mission, so wurde es Don Quichotte irgendwann klar, war seine Lebensprüfung und Bewährungsprobe.

      Manchmal entwickelte sich bei ihm geradezu ein Heimweh nach seiner Heimatwelt, die sich da irgendwo

      weit draussen in der unendlichen Leere des Universums in anderen Sternennebeln um eine andere Sonne drehen

      mochte, Millionen, ja Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt. Solche Dimensionen gaben Don Quichotte einen ganz eigenen Zugang zu den Problemen des Alltags und deren Bedeutung.

      Sein Heimatplanet hatte nach Don Quichottes Vorstellung eine sehr kuriose Gestalt. Und seine Bewohner

      waren nicht minder sonderbar. Der Planet, Toboso eins genannt, war nämlich ganz und gar mit Wasser bedeckt, oder vielmehr mit so etwas wie Wasser, nämlich einer Art flüssigen Gases: einem Zwischending aus Wasser und Luft, das wusste Don Quichotte, der kein Naturwissenschaftler war, nicht so genau. Auf jeden Fall schwammen oder flogen in diesem Zwischending die Bewohner von Toboso, von denen es zwei Sorten gab, aber nicht etwa eine weibliche oder männliche, sondern eine vollkommene und eine unvollkommene.

      Die vollkommenen Exemplare waren kugelförmig und, wenn man so will, aus je zwei unvollkommenen Teilen entstanden (gemäss einer anderen Theorie waren die vollkommenen Teile zuerst gewesen und dann aus noch unerforschten Gründen in zwei unvollkommene Teile zerfallen, die nun von der Sehnsucht nach dem ursprünglichen Zustand der Vollkommenheit geradezu besessen waren). Die Kugeln befanden sich in einem Zustand frag- und wunschlosen Glücks, waren alters- und zeitlos, mussten demnach weder Nahrung

      aufnehmen noch Exkremente ausscheiden, kannten weder Müdigkeit noch Schlaf, unterlagen nicht der Liebe, dem Hass und der Leidenschaft, sondern waren einfach da und schwammen oder flogen in gänzlicher Harmonie im Zwischending herum: erleuchtete Kugeln.

      Die unvollkommenen Exemplare waren noch weit von solch paradiesischen Zuständen entfernt. Sie mussten sich zuerst in allen möglichen Wandlungen bewähren, manchmal auf der Erde, dann wieder auf einer Welt in einer ganz anderen Ecke des Universums die verschiedensten Abenteuer bestehen und stets gegen die Mächte des Bösen kämpfen, damit das Gleichgewicht im Grossen und Ganzen erhalten blieb.

      Dass Toboser, um diese wahrhaft titanische Aufgabe zu bewältigen, nicht nur äusserst mutig und schlau, sondern

      auch flexibel, anpassungsfähig, kreativ, analytisch, durchsetzungsfähig und einfühlsam sein mussten, versteht sich von selbst.

      Dies alles und noch viel mehr hatte Don Quichotte während der langen Tage in der Anstalt dem Sancho

      Pansa auseinandergesetzt – natürlich mit der Sache angemessenen Worten und doch so, dass Sancho wenigstens

      einigermassen folgen konnte – keine geringe intellektuelle Herausforderung, wie Don Quichotte fand.

      Auf der Erde sah unser tobosischer Ritter das Böse in verschiedener Gestalt, aber unter Wahrung einer inneren

      Einheit, sein Werk vollbringen. Die Feinde stammten ursprünglich ebenfalls aus anderen Welten, nämlich von

      einem Planeten namens Cerberus eins. Don Quichotte war davon überzeugt (allerdings, ohne deshalb in seiner

      Standfestigkeit oder seiner Zuversicht erschüttert zu werden), dass die Erde kurz vor einer endgültigen

      Übernahme durch die Cerberaner stehe. Woraus schliesst dies unser Held? Nun, allein schon durch zahlenmässiges Vorhandensein. Die Cerberaner tarnten sich nämlich als Maschinen, während die Toboser, wie gesagt, in Menschen- und in seltenen Fällen auch in Tiergestalt auftraten. Mit Vorliebe wählten die Cerberaner eine Tarnung als Auto, Flugzeug oder als Computer. Oder als Fernsehgerät, Stereoanlage, Gartengrill. Selbstverständlich waren nicht alle Autos, Computer und Wachmaschinen getarnte Cerberaner, aber doch ein stets wachsender Anteil an ihnen. Die echten Menschen merkten davon natürlich nichts. Sie meinten noch immer, sie würden das Auto steuern, während es längst so war, dass das Auto, also der versteckte Cerberaner, sie steuerte. Leute, die einen versteckten Cerberaner in Form eines Fernsehgerätes bei sich in der Wohnung hatten, glaubten, sie würden ein ganz normales Programm anschauen, während sie auf subtile Art und Weise auf die Machtübernahme durch die vom Planeten Cerberus vorbereitet wurden. Gehirnwäsche nennt man das.

      Gegen derart versteckte Kräfte musste Don Quichotte also antreten. Das Delikate dabei war, dass die Cerberaner alle zusammenarbeiteten, während die Toboser aus Prinzip und aus Bestimmung strikte Einzelkämpfer waren. Don Quichotte wusste deshalb nicht, ob es neben ihm noch andere Toboser auf der Erde gab, was zwar anzunehmen, aus oben erwähntem Grund aber irrelevant war.

      Trotzdem war Don Quichotte stets guten Mutes, denn sein Selbstbewusstsein war sehr ausgeprägt und sein

      Optimismus ausserordentlich stark.

      Drei

      Don Quichotte und Sancho Pansa machten sich also auf den Weg, in die Richtung, in die sie der Zufall führte,

      bereit und begierig, sich den Abenteuern zu stellen, die sich ihnen ereignen sollten. Jedenfalls war das so für Don Quichotte, den das Morgenbad ausserordentlich belebt hatte. Sancho Pansa hoffte eher darauf, auf etwas Essbares zu stossen.

      Die Richtung, in die sie der Zufall führte, war die Strasse, und die führte ins Dorf. Auf der Strasse war um diese Zeit noch wenig Verkehr. Wenn ein Auto an ihnen vorbei fuhr, wurde das von Don Quichotte unauffällig, aber

      scharfäugig beobachtet. Die meisten der vorbeifahrenden Gefährte aber waren, wie Don Quichotte erklärte,

      gewöhnliche Autos und keine getarnte Cerberaner, was Sancho Pansa, der, obwohl Knappe und Assistent des Don Quichotte, kein Toboser, sondern ein gewöhnlicher Mensch war, nur schlecht beurteilen konnte, und es war

      ihm eigentlich auch ganz egal. Was ihn an der grossen Sache interessierte, war der reiche Lohn, der ihm von seinem Herrn für treue Dienerschaft versprochen war. Er sollte nämlich, falls es ihnen gelingen würde, die Welt von der Herrschaft der Cerberaner zu befreien, als Statthalter Tobosos auf der Erde und infolgedessen als Ministerpräsident bzw. Staatschef über die ganze Welt eingesetzt werden. Solche Aussichten gefielen Sancho nicht übel. Er sah sich schon auf dem Balkon über dem Platz stehen, ordenbehangen, die Hand zum Gruss gereckt, während unten auf dem Platz die in die Hunderttausende gehende, huldigende Menge skandierte: San-cho, San-cho, San-cho.

      Natürlich gehörte zu dieser Vorstellung auch die Idee eines hervorragenden Koches – oder besser: einer ganzen

      Brigade hervorragender Köche –, erlesener Weine sowie eines ganzen Harems voller gern nicht allzu schlanker

      Frauen.

      Vorläufig schien die Verwirklichung solcher Träume aber noch weit entfernt. Inzwischen waren sie im Zentrum des Dorfes, zu dem die Anstalt gehörte, eingetroffen. Offenbar war die Nachricht ihres Verschwindens und Abhandengekommenseins noch nicht bis ins Dorf gedrungen, denn man schenkte ihnen, einem grossen hageren Mann in Shorts und Birkenstockschuhen und einer kleinen dicken Frau im geblümten Rock, keinerlei Beachtung. Aus einer Bäckerei duftete ihnen nun herrlich frisch gebackenes Brot in die Nasen.

      Schliesslich konnte Sancho seinen Herrn davon überzeugen, dass es zumindest nicht unsinnig sei, hier etwas

      Proviant für die weitere Reise einzukaufen. Glücklicherweise fand Don Quichotte in der Tasche seiner neuen

      Shorts eine Geldbörse und in dieser nebst etwas Kleingeld auch einige Banknoten.

      Während im Innern des Ladens Sancho Pansa Brötchen, Hörnchen, Wurstweggen und andere Köstlichkeiten bestellte und sich die Verkäuferin schon etwas wunderte über die tiefe Stimme und den männlichen Habitus der

      südländischen