Christian Urech

Misericordia City Blues


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draussen auf seinen

      Assistenten wartete, dass noch einige wichtige Utensilien fehlten, um aus ihm einen schlagkräftigen Kämpfer

      Tobosos zu machen. Er wurde plötzlich sehr aufgeregt. Erstens fehlte ihm eine Waffe, vorzüglich eine Laserpistole. Zweitens und wichtiger ein eigenes Transportmittel, sprich Schlachtross, sprich Lufthund.

      Als Sancho – bereits mit vollem Mund – mit der Verpflegung endlich antrabte, mochte sich Don Quichotte

      kaum überwinden, wenigstens ein Hörnchen zu essen, so sehr war er erfüllt von seiner nächsten Aufgabe. Zufälligerweise – oder vielmehr überhaupt nicht zufälligerweise, denn die Gemeinde besass nicht nur ein Irrenhaus, sondern war auch eine kleine Garnisonsstadt – befand sich im Ort gerade eine nicht unerhebliche Menge Militär mit entsprechendem Zubehör. Soeben kamen ihnen einige Offiziere im Leutnants-, Oberleutnants- und Hauptmannsrang entgegen. Sie trugen Pistolen im Halfter, was Don Quichotte natürlich nicht entging. Und jetzt rollten einige Militärlastwagen an ihnen vorbei. «Das sind getarnte Cerberaner», flüsterte Don Quichotte ganz erregt. «Wenigstens die ersten beiden. Ich hoffe nur, dass sie mich nicht auch erkannt haben. – Aber zuerst brauchen wir die Laserkanonen.» In einiger Distanz folgten sie den Offizieren, die sich daran machten, die Treppenstufen zum Eingang des Hotels «Krone» hochzusteigen, wo sie bei

      einem guten zweiten Frühstück oder vielmehr beim Apéro vor dem Mittagessen den morgigen Tagesbefehl

      durchgehen wollten. Einer der Offiziere war sehr dick, dicker noch als Sancho Pansa, und mindestens doppelt so

      gross. Don Quichotte und sein Knappe betraten die Gaststube mit unübertrefflicher Selbstverständlichkeit. Die

      Offiziere hatten sich ihrer Uniformröcke und der Pistolengurte mit den Waffen bereits entledigt und sie

      leichtsinnigerweise an die Garderobehaken gehängt. Man konnte jetzt die Schweissflecken im Hemd unter den Achselhöhlen des dicken Offiziers sehen.

      Don Quichotte und Sancho Pansa setzten sich an einen Nebentisch. Der Toboser bestellte einen Kaffee, Herr Pansa, der bereits durstig war, ein Bier. Die Offiziere besprachen gerade den Verlauf einer umfassenden Gesamtverteidigungsübung mit Namen «Cerberus». Das ist für eine Gesamtverteidigungsübung natürlich sozusagen der ideale Name.

      Unser langer, dürrer Freund spitzte die Ohren, bis ihm der Schnurrbart zu zittern begann. Er fühlte sich auf der

      ganzen Linie in seinen Überzeugungen bestätigt. Diesen Cerberus werde ich mal kitzeln! dachte er kampfeslustig.

      Er machte seinem Sancho ein Zeichen, sich mit dem Bier zu beeilen, denn die Handlung duldete jetzt keinen Aufschub mehr. Der legte beim Aufstehen automatisch Geld auf den Tisch, etwas, worauf Don Quichotte nicht gekommen wäre, da es für ihn als Toboser Wichtigeres zu tun gab, als einen Kaffee zu bezahlen, den er noch nicht einmal angerührt hatte. Dafür bemächtigte er sich beim Verlassen des Restaurants mit überraschender Behändigkeit eines der Pistolengurte samt Pistole (es war diejenige des dicken, unter den Achseln schwitzenden Oberleutnants, der ein notorischer Pechvogel war), ohne dass es jemand bemerkt hätte, von den Offizieren, die eifrig am Diskutieren waren, ganz zu schweigen.

      So kam es, dass eine Pistole der Schweizer Armee in der Kommissionentasche von Frau Kummer verschwand, also dorthin, wo üblicherweise Fenchel, Karotten und Schokolade (Frau Kummer liebte Schokolade) zum

      Transport zwischen Migros oder Coop und dem Einfamilienhaus der Kummers verstaut wurden.

      Währenddessen wand sich Don Quichotte den Ordonanzgurt um den Bauch, denn die Sommershorts von Herrn Kummer, der zwar dünn, aber doch nicht so unglaublich mager wie unser tapferer Toboser war, hatten sich inzwischen doch als eine oder zwei Nummern zu gross erwiesen.

      So gingen sie unangefochten durch den Ort, immer neuem Militär begegnend, Fusstruppen in Zweierkolonnen

      mit geschultertem Gewehr, Nachrichtensoldaten auf Militärfahrrädern, Offizieren in protzigen Geländewagen.

      Die Militärübung Cerberus hatte ja allerhand Leute auf die Beine gebracht. Hinter Sandsäcken lagen vor dem

      Schulhaus getarnte Beobachtungsposten im Kampfanzug, das Maschinengewehr im Anschlag. Man übte Bürgerkrieg, Guerillataktik oder terroristische Bedrohungslagen.

      Von weiter her knallte und detonierte es. Das alles war einigermassen furchterregend, obwohl hier der kriegerische Ernstfall ja nur geprobt wurde.

      Don Quichotte fühlte sich unverzagt. Sancho hingegen fürchtete sich genug, um dicht hinter seinem Herrn zu

      bleiben, die Handtasche an den Bauch gepresst. «Die meisten sind ja nur Menschen», beruhigte Don Quichotte

      seinen Assistenten, «ich sehe lediglich eine beinahe verschwindende Anzahl von Cerberanern. Da drüben, das

      unter dem feldgrünen Netz da, was sich verzweifelt anstrengt, wie ein Panzer auszusehen, ist jedoch ganz

      bestimmt ein Feind, schau nur nicht so direkt hin!» Sancho fühlte vage eine eigentümliche Sehnsucht nach der kaum von den Selbstgesprächen der Verrückten gestörten Stille der Anstalt jenseits des Waldes in sich aufsteigen.

      Sie kamen jetzt am Migros-Markt vorbei, wo trotz der militärischen Situation Hochbetrieb herrschte, denn es

      war Samstag, und die Bewohner des Ortes wollten am Sonntag trotz des simulierten Kriegs und solchen Sachen

      einen guten Braten essen.

      Abrupt blieb Don Quichotte, der noch immer nach einem geeigneten Schlachtross Ausschau hielt, stehen.

      «Siehst du jene beiden Lufthunde dort?» fragte er Sancho und zeigte auf zwei ganz gewöhnliche Fahrräder, die

      einträchtig nebeneinander standen. Lufthunde, so hatte ihm Don Quichotte noch in der Klinik erklärt, seien die

      üblichen Fahrzeuge für Toboser, die sich auf grosser Fahrt befänden, um ihre Bewährungsprobe zu bestehen;

      Fahrzeuge, sehr praktisch zur Fortbewegung sowohl auf der Erde wie auch in der Luft und unter Wasser. Und

      diese beiden Fahrräder, die so friedlich und einträchtig nebeneinander standen, sollten nun also Lufthunde sein!

      Kaum zu glauben. Aber er wusste ja, dass sein Herr ein spezieller Mensch mit einer aussergewöhnlichen Wahrnehmungsfähigkeit war. Also folgte er Don Quichotte, der schon im Begriff war, eines der Fahrräder, und zwar ein rot gestrichenes Damenrad schon älteren Jahrgangs der Marke Rosinante, zu besteigen. «Komm schon, setz dich auf den anderen Lufthund! Beeil dich, du ewiger Zögerer und Zauderer, der du bist, und hab keine Angst, diese Hunde beissen dich schon nicht. Der Kampf wartet auf uns!»

      Gehorsam setzte sich Sancho auf das andere Rad, das ebenfalls ein Damenrad war (aber ein blaues), vorher aber

      schnallte er vorsorglich Frau Kummers Einkaufstasche, jetzt an Inhalt mit einer Ordonanzpistole bestückt, auf den schon etwas angerosteten Gepäckträger.

      Sie sassen beide fest im Sattel und waren eben im Begriff, ihren Lufthunden die Sporen zu geben, Don Quichotte

      voller Enthusiasmus darüber, jetzt endlich vollständig ausgerüstet zu sein, Sancho noch ganz verwirrt vom schnellen Gang der Ereignisse, als sie hinter sich die wütende, rasch sich nähernde Stimme einer gewaltigen

      Matrone vernahmen. «Haltet die Diebe!» rief sie, «haltet die Diebe!» Aber niemand vermochte die rasch auf ihren Lufthunden davonflitzenden Streiter aufzuhalten. Zu perplex waren die anderen Matronen und übrigen

      Zuschauer über den dreisten Velodiebstahl mitten am helllichten Tag, mitten in einem supponierten Krieg. Velodiebstähle mochte es bei Nacht und im Ausland geben, etwa in Zürich oder Amsterdam oder New York,

      wo die Besitzer ihre Fahrräder mit schweren Eisenketten sichern mussten, aber doch nicht hier, bei ihnen, mitten

      im schwer bewachten Dorf!

      So gewannen unsere beiden Helden denn schon