Christian Urech

Misericordia City Blues


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um die Köpfe fuhr. «Niemals!» verkündete Don Quichotte darauf pathetisch, «nicht bevor ich mindestens einen Cerebraner zur Strecke gebracht habe! Meinst du, ich will ewig eine Halbkugel bleiben?»

      Inzwischen hatten sie allerdings die letzten Häuser des Ortes, des Dorfes oder kleinen Städtchens längst hinter

      sich gelassen. Die Strasse führte jetzt durch den angenehm kühlenden Schatten eines Waldes. Sancho, der müde war, dem der Schweiss vom Körper lief, dessen Beine schmerzten und was der Unbill noch mehr waren, redete von hinten gegen die strampelnden, stark mit grauen Haaren bewachsenen Waden seines Freundes an, versuchte ihn zu überzeugen, dass es doch das Klügste sei, vorerst einmal im Verborgenen zu bleiben und sich daselbst, etwa unter einer Tanne oder einer Buche, ein wenig auszuruhen. Im Schutz der Nacht liesse sich bestimmt viel besser operieren.

      Solchen taktischen Überlegungen beugte sich Don Quichotte gern, da auch er sich, an exzessive sportliche

      Betätigung nicht gewöhnt, ein wenig ermattet fühlte. Also bogen sie in einen Waldweg ein, der sie bald auf eine

      ruhige und verborgene Lichtung führte, wo sich Sancho augenblicklich im Schatten eines Holunderbaumes

      hinlegte und eine Sekunde später schon eingeschlafen war, um schnarchend von seinem ordengeschmückten Auftritt vor dem Volk, einer Menge dicker Frauen und anderen Köstlichkeiten des Lebens zu träumen. Don Quichotte aber wollte nicht einschlafen, er dachte an Toboso und seine bessere Hälfte, die darauf wartete, sich mit ihm zu einem vollkommenen Wesen zu vereinigen, auf dass sie immerdar im Zwischending aus Wasser und Luft herumschwimmen dürften. Und er seufzte tief und sehnsuchtsvoll.

      Vier

      Als Sancho erwachte, ging es zwar schon gegen Abend, aber die Sonne schien noch immer und es war sehr heiss.

      Sancho verspürte in erster Linie Durst, und zwar einen ganz spezifischen Durst, nämlich den typischen Durst, den man so oft im Sommer nach einem herrlich kühlen Bier verspürt. Dieser Durst war so gross, dass Sancho beinahe in das sehnsüchtige Seufzen und Stöhnen seines Herrn eingestimmt hätte. Don Quichotte allerdings verlangte es nach allem anderen mehr als nach einem Bier, als Streiter Tobosos kannte er nur den Durst nach Bewährungsproben und nach Kampf.

      Zweitens verspürte Sancho, wenn er etwas genauer in sich forschte, einen vorerst leise, aber immer intensiver

      nagenden Hunger. Also sprach Sancho zu seinem Herrn und Meister: «Ihr, der ihr ein Wesen von einem fremden

      Planeten seid, mögt ja über ein so irdisches Verlangen wie das nach einem kühlen Bier und nach einer einfachen

      Mahlzeit – zum Beispiel nach einem Stück Brot und einer kräftig gewürzten Chorizo-Wurst (ich gestehe, das Wasser läuft mir im Mund zusammen) oder einer währschaften Tortilla, wie sie bei uns auf dem Land vom Volk geschätzt wird, um nicht zu sprechen von einer Riesenplatte Paella mit oder meinetwegen, wenn auch ungern, ohne Meeresfrüchte, meilenweit erhaben sein: Ich bin und bleibe ein Mensch, und ein Mensch muss essen und

      trinken, oder trinken und essen, sonst kann er nicht denken und nicht handeln. Ich werde mich deshalb ins

      Dorf oder Städtchen zurück verfügen und meine notwendigsten Bedürfnisse befriedigen, ferner die Lage

      auskundschaften und die Stärke der Feinde, sprich Cerebraner, erforschen. Gott sei Dank ist in der Börse dieses rätselhafterweise am frühen Morgen schwimmenden älteren Herrn, der sich vor dem Sprung ins Wasser die Haare kämmt, noch etwas Geld vorhanden. Da ich erstens allein und zweitens wie eine Frau gekleidet bin, Gott seis geklagt, wird niemand auf die Idee kommen, ich könnte Sancho, Assistent des Don Quichotte von Toboso, sein.»

      Don Quichotte wunderte sich über diese lange Rede seines sonst nur im Anrufen der Heiligen so eloquenten

      Begleiters. Obwohl er ihm die Auskundschaftung der Cerebraner nicht so recht zutraute, liess er seinen durstigen

      und hungrigen Freund losziehen. Denn es war jetzt an der Zeit, einen Schlachtplan für die Nacht auszuhecken.

      Und Pläne konnte er am besten schmieden, wenn er allein war und seine Ruhe hatte.

      Lufthunde, brummelte Sancho kopfschüttelnd, während er mühsam auf sein Fahrrad kletterte. Mit stets

      wachsender Geschwindigkeit, denn dieses Mal ging es abwärts, näherte er sich dem Ort. Die Armeepräsenz auf

      den Strassen und Plätzen war geringer geworden, das supponierte Schlachtengetümmel hatte sich auf den Abend

      hin mehr ins freie Gelände und die Landschaft hinein verschoben in Form von Truppenbewegungen auf 20-, 50-

      oder gar 100-Kilometer-Märschen, Schiessübungen, Biwakierungen mit anschliessendem «Feindkontakt» etc.,

      während im Dorf oder Städtchen, das als Ausgangspunkt der Aktionen und Kommandositz fungierte, sich nur noch einige Offiziere befanden, die Nachrichtenzentrale, die stehende Feldküche, das Lazarett und ein mit Stacheldraht umzäunter, schwer von Soldaten mit scharf geladenen Gewehren bewaffneter Maschinenpark. Dieser enthielt einige Militärlastwagen, Jeeps, Artilleriegeschütze, Flabkanonen etc., die in dieser Nacht aus

      welchen Gründen auch immer vom Kriegsgeschehen ausgeschlossen sein sollten.

      Sancho entschloss sich, das Gasthaus von heute morgen zu meiden, doch gab es in dem Ort als einem Garnisonsstädtchen viele andere Wirtschaften, denn Soldaten sind hungrige und vor allem durstige Gesellen. Heute allerdings, der Übung «Cerberus» wegen, herrschte die Zivilbevölkerung in den Lokalen vor, aber auch die Zivilbevölkerung war an diesem Abend sehr durstig, die Gartenwirtschaften waren voll und lärmig und das Bier floss in Strömen. Es war einer jener närrischen Sommerabende, zwei Tage vor Vollmond, an denen selbst den ernsten und gesitteten Menschenschlag in diesem Land ein Hauch von Übermut streift, der dann allerdings leicht in Mutwillen umschlägt.

      Sancho betrat also eine der zahlreichen Gartenwirtschaften des Städtchens und setzte sich still und bescheiden

      an einen Tisch, an dem schon zwei junge Burschen sassen, mit vollen Halblitergläsern Bier vor sich. Die beiden

      schienen schon einige dieser Humpen geleert zu haben, denn ihre Gesichter waren rot und schweissglänzend,

      ihre Augen unnatürlich blau, sie lachten viel und hieben sich gegenseitig die Hand auf die Schultern.

      Als sie Sancho – im geblümten Rock und Frau Kummers ausladenden Sonnenhut auf dem Kopf – bewusst wahrnahmen, ging der Spass aber erst richtig los. Sancho schäumte und kochte innerlich vor Wut, bedachte dann

      aber, dass es erstens – zwei gegen einen – im Fall eines handfesten Streits einen ungleichen Kampf geben würde.

      Dass er zweitens in einer wichtigen Mission unterwegs war und deshalb seine Tarnung auf keinen Fall aufgeben

      durfte. Und dass er drittens immer noch Durst hatte und jetzt endlich ein kaltes Bier wollte.

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