Chris Biller

GAUCHO


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beidseitiger Freundlichkeit kam es zwischen unseren Eltern nie zu einem innigen Kontakt. Meine Mutter sprach zwar ab und zu mit der von Elena, aber laut ihren Angaben, ging es selten über Alltägliches hinaus. Ganz ähnlich, jedoch ungewollt entstanden was mich anbetraf, war auch das Verhältnis zwischen mir und Elena. Vorm Haus war sie sehr selten und wenn, dann für sich ganz allein mit Seilspringen, Fahrrad fahren oder Sonstigem beschäftigt. Sie verhielt sich schüchtern, war wortkarg und auf eine Art unerreichbar. Gut, die geschlechtlichen Interessen sind halt unterschiedlich, auch der Altersunterschied trägt sicherlich dazu bei, aber derart frappierend? Die Tatsache dass sie anscheinend keine Freunde hatte, die sie besuchten, erklärte den aufkommenden Verdacht, es könnte womöglich an mir liegen, als haltlos. Auch unsere wortlosen nur durch Gestiken ausgeführten Begrüßungen von Fenster zu Fenster, bei denen sie wie ausgewechselt immer so niedlich lächelte und schon fast fröhlich übertrieben winkte, ließen den Gedanken einer Abneigung zu mir absurd erscheinen. Es fiel ihr offensichtlich leichter, sich aus sicherer Entfernung mit mir zu unterhalten. Was ich wiederum nicht ganz verstand und oftmals ihr Gehampel als äußerst fragwürdig was ihre Persönlichkeit entsprach deklarierte. Trotz allem empfand ich es als sehr angenehm und wir freuten uns beide jeden Tag darauf, wenn wir uns auf diese Art sahen. Es wurde schon beinah zu einem Ritual.

      Die unerklärliche Strenge ihres Vaters trug zu ihrem Verhalten mit dazu bei. Er passte auf wie Schießhund und die übertriebene Fürsorge ließ beim ihm nur einen bestimmten Zeitraum zu, in dem sie an die frischen Luft durfte. Immer zu denselben Uhrzeiten musste sie ins Haus zurück. Hatte sie mal bei ihren Beschäftigungen die Zeit vergessen, so keifte ihr Vater schon an der Eingangstür energisch fordernd, sie sollte doch sofort herein kommen. Ich beobachtete des Öfteren, dass darauf in ihrem Zimmer das Licht anging und ihr Vater die Vorhänge zu zog. Sie musste wohl schlafen, brauchte ihre festgelegten Ruhephasen oder hatte womöglich eine Krankheit von der ich nicht wusste, die sie dazu zwang am helllichten Tag in ihr Bett zu müssen. Zumindest war das die einzige Schlussfolgerung womit ich mir dieses Vorgehen erklären konnte. Mein Vater sagte nur, als ich ihn dennoch einmal nach dem Sinn fragte und was die Elena denn wohl für ein Problem hätte, „ Weißt du mein Junge, es gibt Dinge im Leben, die muss man nicht verstehen. Glaube mir, auch ich habe mich das schon einige Male gefragt, so hat jeder seine Eigenarten. Was dem einen als völlig normal erscheint, ist für den anderen genau das Gegenteil.“

      Das war zwar keine richtige Antwort auf meiner Frage, aber es reichte für mich um unbeschwert weiter meine Wege zu gehen.

      Im Laufe der kommenden Jahre änderte sich nicht gerade viel an der Allgemeinsituation. Erst recht nicht bei Elena. Die Zeit machte sie zunehmend reifer und immer hübscher. Mittlerweile war sie süße siebzehn und hatte das Springseil gegen das Konsumieren von Zigaretten eingetauscht. Das war auch das einzige Gravierende was sich änderte. Sie saß dann quasi ihre Zeit vor dem Haus auf einer unter dem Dachvorsprung stehenden Gartenbank ab. Oftmals war sie sehr reizvoll gekleidet und aufgetakelt, als ob sie ausgehen wollte. Die Absicht das Haus zu verlassen hatte sie allerdings nicht. Stattdessen fand eines jeden Tages am frühen Abend das gleiche Prozedere statt. Sie ging ins Haus auf ihr Zimmer, zog schon seit langem selbst die Vorhänge zu und machte ein gedämmtes Licht an.

      In dieser Zeit fing ich an, mich immer mehr von dem geheimen Platz den ich mir mühsam aufgebaut hatte zu distanzieren. Schon bald hatte ich die Lust gänzlich verloren und blieb diesem Ort fern. Ich war dreizehn geworden und passierte allmählich den Weg in den pubertären Gefilden, was meine Freizeit fast ausschließlich in Anspruch nahm. Die Momente in denen das Interesse zum weiblichen Geschlecht vorrangig wurden, kamen in immer kürzeren Abständen. Plötzlich waren meine Blicke auf jede weibliche Schönheit gerichtet, egal welchen Alters, die den in mir aufkommenden erotischen Phantasien entsprachen. Aber es gab nur Eine, die in mir die größte Neugier auf Eroberung des süßen anderen Geschlechts erweckte. Elena!

      Ich versuchte den Kontakt zu ihr zu verinnigen, indem ich Briefe meiner Zuneigung schrieb und sie, bevor Elena aus dem Haus zu gehen vermochte, unter der Gartenbank legte. Meine Gefühle in Wort verfasst, schmeichelten sie und auf ihre Weise antwortete sie an so manchen Abend vor ihrem Fenster. Sie zeigte sich mir leicht bekleidet. Erotisch adäquat in ihren Bewegungen, betonte sie ihren wohlgeformten Körper in einem hingebungsvollen Takt der meine jungen Sinne in mir, in noch fremden Wallungen brachte. In diesen Momenten gab es nur sie und mich. Worte die nie zwischen uns fielen, Zuneigung die durch Abstand von ihr zwischen uns nicht entstehen konnte, das alles war nicht so bedeutend wie das, was sie mir betörend mit ihrer selbst vermittelte. Zwei Persönlichkeiten in sich, die unterschiedlicher nicht sein konnten, ließen es nicht zu, sich näher zu kommen, bis auf die Distanz zwischen zweier nebeneinander stehende Einfamilienhäuser. Ein Gefühl, wie ein immer wiederkehrender Genuss der verbotenen Frucht im Paradies Eden und doch war es nicht genug. Ich wollte mehr, ihr näher sein, sie fühlen. Diese unerreichbare Zuneigung reichte nicht aus. Ich war zwar noch jung, ziemlich jung, aber dieses Mädchen machte mich verrückt. So beschloss ich, alles zu tun um den Grund zu erfahren. Warum sie diesen Abstand zu mir und der Außenwelt hielt. Ich hatte die naive Hoffnung, wenn ich es wüsste, könnte ich sie vielleicht sogar aus dieser inneren Gefangenschaft herausholen.

      Die Häuser in denen wir wohnten waren baugleich mit Hochparterre nur spiegelverkehrt. Mit einer kleinen Leiter oder einem Tritt wäre es ein Leichtes direkt in ihr Zimmer zu schauen um zu erfahren was dort all die Jahre vor sich ging oder ob sie tatsächlich nur schlief. Ich beschloss genau das zu tun und ging immer wieder Schritt für Schritt den Ablauf durch.

      Wir hatten Herbst und die Tage wurden zunehmend kürzer. Es dauerte mehr als eine Woche als es dann endlich soweit war und ich am frühen Abend an jenen Tag die Aktion startete. Aus unseren Hauswirtschaftsraum nahm ich den zweistufigen Tritt meiner Mutter und schlich mich vom Hintereingang hinüber bis unter dem Fenster von Elena. Tags zuvor hatte es wie aus Eimern geschüttet und der Rasen der an der Hausmauer grenzte glich einer pampigen Moorlandschaft. Bei jedem Schritt, den ich so leise wie möglich vollbringen wollte, schmatze der Boden nervend wie beim Weintreten. Nichts mit schleichen! Immer wieder schaute ich mich um. Hatte mich womöglich allein dieses blöde Geräusch schon verraten? Nein, alles war ruhig, nur rutschig war es. Der Schlick unter meinen Schuhen backte im Profil meiner Schuhsohle und mit jedem Schritt kam nicht nur immer mehr dazu, sondern ich wurde auch noch zunehmend millimeterweise größer. Unter dem Fenster endlich angekommen, hatte ich Schuhe so groß und schwer wie Astronautenstiefel. Nervös wie ich war, vom Schlick die Schnauze und vor Angst die Hose voll, klappte ich den hochbeinigen Tritt aus und stellte ihn unter Elenas Fenster in den weichen Morast. Ich wollte mich beeilen, wenn ich dabei gesehen werde, wie sollte ich aus dieser Nummer wieder heraus kommen? Hastig unüberlegt stieg ich mit einem Satz auf die zweite Stufe, wodurch sich der Tritt durch mein Gewicht nach rechts bis zur Unterseite der ersten Stufe in den Boden verabschiedete. Reflexartig griff ich nach dem Blitzableiter der sich zur linken neben dem Fenster befand. Um mein Gleichgewicht wieder herzustellen, versuchte ich mich mit der rechten Hand von der Mauer abzustützen, rutschte jedoch in diesem Augenblick mit meinem rechten Fuß, der ja immer noch komplett mit Schlick überzogen war, seitlich von der Stufe, wobei ich unwillkürlich nach vorn schnellte und mir den Kopf an der Außenfensterbank einschlug. Vor Schreck und schmerzerfüllt, sprang ich von dem Tritt in den schmatzenden Rasen und verharrte in gehockter Haltung eine Weile um den Schmerz in meinem Kopf zu überstehen. Der Einschlag war gewaltig, mein Schädel brummte wie verrückt und ich wunderte mich warum Elena oder sonst wer im Haus nichts bemerkt hatten. Ich war mir sicher, dass sich das ganze Haus bewegt hatte. Ich bekam für einen Moment durch dieses unangebrachte Missgeschick eine enorme Wut im Bauch. Musste das unbedingt passieren? Am liebsten hätte ich den Blitzableiter von der Wand ge-rissen, ihn um den Tritt gewickelt und mit aller Wucht durch die Fensterscheibe geworfen. Aber ich zwang mich zur Beruhigung und der zweite Versuch war dann weitaus erfolgreicher. So erfolgreich, dass ich mir noch lange danach wünschte, ich hätte nach dem ersten Versuch einen Rückzieher gemacht. Mit zitternden Knien vor Aufregung aber dieses Mal sicher, stand ich nun auf den Tritt. Die Außenfensterbank war auf Brusthöhe und ich beugte mich mit dem Gesicht so nah es ging an die Scheibe heran. Ich sah aber nichts. Eine Laterne die nicht unweit vorm Haus auf dem Grundstück stand, spiegelte sich im Fensterglas und ich formte zur Sichthilfe mit den Händen einen Trichter um meine Augen. Nun konnte ich etwas erkennen. Schemenhaft durch den vom Licht transparent wirkenden Vorhang sah ich