Charlie Meyer

Mörderische Schifffahrt


Скачать книгу

um sich eines Tages auf eigene Beine zu stellen. Detektivspielen war nichts für zartbesaitete Krebse mit moralischen Wertvorstellungen.

      Als Alice Hupe zur Tür hereinstürmte, schien mitten im Raum ein Bündel Energie zu explodieren. Sie war groß und schlank, und eine wilde Mähne roter Locken umgab ihr blasses Gesicht wie ein lodernder Feuerkranz. Sie war keineswegs schön mit dem breiten Mund, der Himmelfahrtsnase und den grau verwaschenen Augen, doch sie hatte das gewisse Etwas, und die Männer fielen ihr reihenweise zu Füßen. Alle bis auf ihren Großcousin Fred.

      Alice Hupes Ehrgeiz in der Verfolgung ganz eigener Ziele machte aus ihr eine ausgezeichnete Detektivin. Sie legte Schlingen aus, und sobald sich ihr Opfer verfing, trug sie sein Fell kalt lächelnd zu Markte.

      Der Raum, den Fred Roderich in den Anfangstagen der Detektei zum Büro umfunktioniert hatte, war der ehemalige Empfangsraum seiner Großeltern, ein großer, trotz Nordseite lichtdurchfluteter Raum zur Klütstraße hinaus mit zimmerhohen Fenstertüren. Ein Bogendurchgang, von zwei marmornen Halbsäulen flankiert, führte in das angrenzende Besprechungszimmer. Büro und Konferenzraum wiesen die für das Geldbürgertum rechts und links der Klütstraße üblichen hohen, stuckverzierten Decken auf, die Gründerzeitvilla eine ansprechende Fassade mit Erkern und einem Türmchen, in dem Perserkater Hamlet Spinnen fing, sobald es ihm gelang, Axels allgegenwärtiger Fürsorge zu entkommen.

      Rechts und links der gewundenen Auffahrt zum Carport und grüppchenweise im großen Vorgarten zwischen Haus und Straße verteilt, fristeten Buchsbaumtiere ihr starres Dasein. Eichhörnchen, Reh, Hase und was sonst noch alles in europäischen Wäldern kreuchte und fleuchte, aus der Heckenschere von Freds Freund Axel entstanden. Es gab sogar Exoten: unter anderem eine Giraffe mit nur einem Horn und einen flügellahmen Flamingo mit überdimensionalem Schnabel. Bei Mellies erster und letzter Zählung am Tag ihres Firmeneintrittes waren es vor, hinter und neben dem Haus achtundzwanzig Buchsbaumwesen gewesen. Manche mehr, manche weniger identifizierbar, und für die eine oder andere Blätterskulptur empfahl sich eine Beschilderung. Der Löwe beispielsweise wurde von Kunden gern als das Ding, aus dem die Sonnenblume wächst, bezeichnet, von der Maus ganz zu schweigen.

      »Na Jungs und Mädels, wie war euer Wochenende?« Alice ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen, ergriff mit flüchtigem Nicken den Becher mit Kaffee, den Mellie ihr reichte, und schlug die schlanken Beine über. »Alles im grünen Bereich bei euch beiden? Ihr seht ein wenig, wie soll ich es ausdrücken – von der Rolle aus. Läuft das Liebesleben nicht so?«

      »Lass uns einfach zum Geschäftlichen übergehen, okay? Einsatzbesprechung.« Fred Roderich lehnte am Aktenschrank, die Arme über der Brust verschränkt, die Beine gekreuzt.

      »Ooooch!«, dehnte Alice. »So schlimm. Wer war denn der böse Bube. Axel oder du?«

      Fred rührte sich nur minimal, nicht mehr als ein Zucken durchlief seinen Körper, aber Mellie schien die Erde unter wütend scharrenden Hufen zu erbeben und kleine weiße Wölkchen aus geblähten Nüstern zu quellen.

      »Einsatzbesprechung«, echote sie hektisch. »Los kommt schon, ihr beiden, lasst uns anfangen. Was gibt’s heute an Aufträgen und wer erledigt welchen? Fred? Hat schon jemand die E-Mails abgerufen? Alice, du? Was ist mit der Post? War der Briefträger schon da? Weiß ich eigentlich, wo der Briefkasten ist?«

      Eine verblüffte Stille folgte Mellies Ausbruch hektischer Betriebsamkeit, dann begann der normale Alltag in der Detektei Roderich, Hupe und von Rhoden. Alice arbeitete nach wie vor an einer Scheidungsgeschichte, Fred musste morgens zum Gericht, um im Fall eines um sich schlagenden Familienvaters auszusagen. Mellie wurde wie immer zur Bürohüterin ernannt. E-Mails gab es nur Spams, die Post kam erst gegen elf. Kurze Zeit später war sie allein im Büro, als Hamlet, Axels Perserkater mit düsterem Gesicht zur Tür hereinstolzierte und um ihre Beine strich. Das hatte er noch nie getan. Offenbar mochte er sie und warb um ihre Gunst. Mellie lächelte beglückt.

      Als der Kater auch noch kläglich zu miauen begann, konnte ihr Herz nicht widerstehen. Sie legte ihre Hände sanft um seinen Körper und hob ihn vom Boden hoch. Im nächsten Augenblick implodierte Hamlet. Was sie für einen harmlosen, liebebedürftigen Kater gehalten hatte, mutierte im Bruchteil einer Sekunde zu einer fellbewachsenen, fauchenden Kampfmaschine aus Krallen und Zähnen.

      Sie ließ ihn fallen wie eine heiße Kartoffel und schlug instinktiv die Hände vors Gesicht. Doch er griff kein zweites Mal an. Dafür sauste eine Fellrakete zur Bürotür hinaus. Sie hinterließ eine geschockte Mellie, die unter Tränen zwischen ihren Fingern hindurchblinzelte, und einen tiefen Kratzer in Mellies Unterarm, aus dem Blut auf das helle Parkett tropfte.

      In diesem sensiblen Augenblick läutete die Türglocke.

      Einen Moment lang setzte Mellies Herzschlag aus. Kundschaft? Sie hatte noch nie einen Kunden empfangen und schon gar nicht allein. Bisher hatte sie doch nur am Computer gesessen, Kundendaten eingegeben, Überwachungsprotokolle vom Diktafon getippt, Rechnungen geschrieben, an ihrer Statistik gearbeitet und Kaffee gekocht. Davon abgesehen brauchte niemand zu klingeln, man musste nur die Türklinke hinunterdrücken, schließlich war eine Detektei so etwas Ähnliches wie ein Ladengeschäft, in das man hineinspazierte, um sich irgendetwas zu kaufen. In diesem Fall die Dienste eines Detektiven.

      Die Türglocke bimmelte ein zweites Mal. Mellie schniefte ausgiebig, wischte sich dann hastig die Tränen ab und stolperte, noch halb blind, zur Haustür.

      Es gab Männer, vor denen sie sich fürchtete oder zumindest so großen Respekt hatte, dass sie ihnen kaum in die Augen zu sehen wagte. Große, gut aussehende Männer mit einem Ego, das ihre Körperlänge noch um einiges überragte. Wie Fred Roderich. Hatte sie zumindest anfangs geglaubt. Mittlerweile konnte sie Schein vom Sein trennen und von Freds Ego war bei Licht besehen nicht viel mehr als ein Fingerhut voll übrig geblieben. Ihr Besucher jedenfalls gehörte nicht zu diesen Ego- und Gestaltriesen. Klein, schmächtig, die blassen Augen hinter verschmierten Brillengläsern, vor Nervosität flatternde Hände – Mellie fühlte sich spontan von ihm angesprochen. Er weckte ihre Gluckeninstinkte, und kaum, dass sie ihm die Tür öffnete, breitete sie auch schon ihre Flügel aus. Von einer Sekunde zur anderen verwandelte sie sich von einem grauen Büromäuschen in die Chefin einer erfolgreichen Detektei. Sie presste ein Taschentuch auf den blutenden Kratzer und legte los.

      »Willkommen in der Detektei Roderich, Hupe und von Rhoden. Kommen Sie herein, setzten sie sich – da bitte, ja, da ist es perfekt.« Sie führte ihn zur Sitzecke im Glaserker. »Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Nein? Okay, dann erzählen Sie bitte, was wir für Sie tun können.«

      Seine flatternden Hände falteten sich in seinem Schoß, und ein Nerv im linken Augenwinkel begann hektisch zu zucken. Während er nach Worten suchte, fand sie Zeit, ihn näher zu betrachten. Er trug Jeans mit ausgebeulten Knien und ausgefransten Säumen, Jeans, die schon vor zwei Wochen hätten gewaschen werden müssen. Das angegraute T-Shirt hatte einen Riss etwas unterhalb der linken Brustwarze, und das labberige schwarze Jackett, das er offen darüber trug, wies abgescheuerte Ärmel und blanke Ellenbogen auf. Seine Haare waren hellbraun und wirr, und vom Kinn hing ihm ein spitzer brauner Ziegenbart. Er roch, und das nicht nach Deo und Aftershave. Keine angenehme Erscheinung, alles in allem, doch Mellies Intuition meldete sich unverzüglich zu Wort: ein hilfloser kleiner Kerl, der deine Hilfe braucht, obgleich da etwas in seinem Blick war, das sie mit seiner Erscheinung und seinem Verhalten nicht recht in Einklang zu bringen vermochte. Etwas, das sie nicht benennen konnte.

      »Verraten Sie mir doch erst einmal Ihren Namen. Ich heiße Melanie von Rhoden.«

      »Hajo«, murmelte er kaum verständlich und räusperte sich zu einem Neuanfang. »Hajo Claus. Ich wohne hier in der Nähe und ... »

      »Ja?«

      »Sie werden denken, ich bin durchgeknallt.«

      »Ach, um Himmels willen, ganz bestimmt nicht. Erzählen Sie einfach und überlassen Sie das Übrige uns. Sie sind in dieser Detektei in den allerbesten Händen, und solange ich hier arbeite, ist noch keiner unserer Kunden in einer Zwangsjacke abtransportiert worden.« In den vier Wochen, die sie in der Detektei arbeitete, hatte sie genau zwei Kunden kennengelernt. Aus sicherer Entfernung versteht sich. »Na kommen Sie, den ersten Schritt haben