Dietrich Enss

PRIM


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Nummer an! Oder noch besser, schicke mir eine sichere Mail! Ich bin wieder auf dem Kriegspfad. Kann ich für zwei bis drei Wochen noch einmal Ann-Louise Norwood sein?«

      »Ja, sicher.« Ann-Louise dehnte die beiden Worte.

      »Gibt es ein Problem dabei?«

      »Nein. Ich habe nur überlegt, ob eine Regatta ansteht, nach der ich hoffentlich als Siegerin in allen Zeitungen stehe. Wenn ich dann gleichzeitig auf deinem Kriegspfad bin, ist das vielleicht nicht so gut. Die nächste Regatta ist aber erst in sechs Wochen. Und nach Maryland komme ich auch nicht.«

      »New York. Bitte sag, dass du auch nicht nach New York kommst!«

      »Höchstens wenn die MILKY WAY bei vierzig Knoten Nordoststurm vertrieben wird und ich das Kaff als Nothafen anlaufen muss.«

      Alice lachte. »Okay, was muss ich sonst noch wissen?«

      »Alles wie gehabt, denke ich. Verheiratet bin auch noch nicht.«

      Nun lachten beide. »Und noch etwas, Alice. Du musst endlich einmal das Segelkompendium durchlesen, das ich dir gegeben habe. Wenn du als Ann-Louise Norwood herumläufst, wird dich früher oder später jemand über das Segeln ausfragen, möglicherweise sogar über bestimmte Regattaerfolge. Mit geht es jedenfalls ständig so. Es genügt nicht, wenn du dann sagst, dass du immer seekrank wirst, selbst wenn es stimmt. Es gibt Regattasegler, denen das auch passiert. Aber trotzdem kennen sie sich mit dem Segeln aus.«

      »Ich finde jedes Mal, dass der Boden schwankt, wenn ich das Buch zur Hand nehme«, scherzte Alice. »Aber im Ernst, ich werde es mir wieder vornehmen. Immerhin kann ich schon vier Segel unterscheiden: Groß, Fock, Genua und Spinnaker.«

      »Na super! Und kannst du auch eine Slup von einer Ketsch unterscheiden?«

      »Das war die mit dem Ruder vor dem Besanmast, oder?«

      »Richtig! Im Gegensatz zur Yawl. Was muss denn ich noch wissen?«

      »Du bist verreist, Ann. Nach New York oder in die Umgebung von New York. Keiner weiß so richtig wo genau und wann du wiederkommst. Du nimmst keine Anrufe an, bei denen die Anrufer dir unbekannt sind oder die sich nicht zu erkennen geben. Also anders als vorhin. Und wenn wir telefonieren, ist das Stichwort bei möglichen Mithörern schwatzen, wie früher. Das sollte genügen.«

      »Beim letzten Mal sollte ich ja am besten mit der MILKY WAY auf und davon oder auf Pilgertour in Europa sein. Oder mit dem Fahrrad in der Mongolei.«

      »Nein, nein, diesmal nicht«, sagte Alice und lachte. »Du bist in Richtung New York entschwunden. Es hat irgendetwas mit deinen Arbeiten an der Uni zu tun. Und, ach, informiere deinen Vater! Wie geht es ihm?«

      »Gut. Er fragt immer nach dir. Aber glaube nicht, dass es wegen des Dienstes ist! Er ist in dich verliebt.«

      »Er ist nicht mein ältester Liebhaber. Mach’s gut, Ann!«

      »Sail ho!«

      Alice schmunzelte. Der alte Norwood hatte wahrscheinlich eine CIA-Vergangenheit, möglicherweise auch eine NSA-Vergangenheit. In der Zeit, in der Alice und Ann-Louise zusammen im College waren und sie in dem Anwesen der Norwoods in Newport ein- und ausging, hatte er sich nie dazu geäußert. Alice hatte einmal gesagt, dass ihr die chinesischen Kalligrafien, die an den Wänden in Norwoods Bibliothek hingen, wie eine Geheimschrift vorkämen. Das sei fast richtig, hatte er geantwortet und dann einige der Zeichen in ungewohntem Sing-Sang vorgelesen und anschließend übersetzt. Alice hatte das Gefühl, dass sie ihn beleidigen würde, wenn sie ihn jetzt fragte, ob er chinesisch spräche. Später hatte Ann-Louise ihr erzählt, dass ihr Vater lange vor ihrer Zeit »für unsere Regierung« in China gearbeitet hatte und die chinesische Sprache perfekt beherrschte. Das Mandarin.

      Als Alice dann bei der NSA anfing, erstaunte er die beiden jungen Frauen, und besonders natürlich Alice, mit sehr speziellen Kenntnissen über Aktivitäten und Methoden der Geheimdienste. Allein die Fragen, die er Alice stellte, zeigten ihr, dass er Insider-Wissen haben musste. Als er während ihrer Agentenausbildung von Alices Übung erfuhr, für die sie sich eine fremde Identität aussuchen sollte, hatte er Ann-Louise vorgeschlagen. Weil sie Ann-Louise seit Jahren kenne, mit ihr zusammen studiert hätte und alles über sie wisse, ganz abgesehen von dem gleichen Alter und den Ähnlichkeiten im Aussehen, hatte er argumentiert.

      Im nächsten Schritt nahm Alice Kontakt zu den Leuten auf, die in Tessenbergs Dossier standen, um die neuen Papiere zu bekommen. Sie würden ihre Identität als Ann-Louise Norwood untermauern. Damit konnte sie sich sicher fühlen, zumal sie Ann-Louise so gut kannte. Und schließlich war der frühere Identitätswechsel ohne jede Nachfrage über die Bühne gegangen. Die Sachen würden in ihr Büro geliefert.

      Dann rief sie Peter Cornwell zu sich und stimmte die weitere Arbeit mit ihm ab. Sie vereinbarten, wie sie in der nächsten Zeit Kontakt miteinander halten würden. Außerdem nannte sie ihm zwei Termine für Arbeitsbesprechungen, an denen er für sie teilnehmen sollte.

      »Eine Sache noch zum Schluss, Peter. Falls irgendwelche Dateien von Ferrets eintreffen, sage mir Bescheid, wenn du den Eindruck hast, dass es wichtig sein könnte. Obwohl du ja nur die von deinen Ferrets geschickten Dateien lesen kannst. Es bleibt bis auf weiteres dabei, dass jeder von uns beiden die von seinen Ferrets gefundenen Dateien mit seinem eigenen Schlüssel verschlüsselt. Sag bei den Besprechungen nichts über den Eingang von Dateien, die meine Ferrets gefunden haben, bevor du das nicht mit mir besprochen hast! Abgemacht?«

      Peter Cornwell war sehr loyal. Sie wusste das zu schätzen. Ein anderer hätte vielleicht um eine schriftliche Anweisung gebeten. Zumindest wenn es um Ferrets ging, die nicht nur zu Testzwecken ausgesetzt wurden.

      Bevor sie Cornwell verließ, fragte sie ihn: »Hast du schon mal etwas von anderen Ferrets gehört, anderen als unseren?«

      »Du meinst die draußen in der Wildnis?«

      »Nein, als Codename, wie bei uns, vermute ich.«

      »Nö. Gibt’s da ein Problem?«

      »Nö.«

      Die längste Zeit der Vorbereitungen für den Außeneinsatz benötigte sie für ihre Nachforschungen über DATA TODAY. Sie hatten bereits eine Akte über DATA TODAY auf dem Server, aber nach ihren Anfragen bei anderen Diensten konnte sie jetzt weitere Details hinzufügen. Die CIA konnte lediglich beisteuern, dass sie ausländische Geheimdienste dabei beobachtet hatte, wie sie - nach Ansicht der CIA vergeblich - versucht hatten, die Datenspeicher von DATA TODAY auszuspähen. Aber das FBI hatte vierzig Seiten herübergeschickt. Zusammen mit dem, was sie selbst darüber hinaus mit sehr gezielten Recherchen gefunden hatte, ergab das aus ihrer Sicht ein ziemlich vollkommenes Bild.

      Es gab vor allem zwei Personen bei DATA TODAY, auf die sie sich offensichtlich konzentrieren musste. Auf einen gewissen Ronald G. Limpes und auf den Leiter, Robert F. Talburn, gleichzeitig ein Mitglied des Direktoriums von TODAY Inc. Limpes hatte unter dem Verdacht der Behinderung einer Strafverfolgung gestanden, als DATA TODAY vor zwei Jahren vom FBI gefilzt worden war. Er hatte vermutlich Festplatten gelöscht und die Fahnder auf falsche Fährten gewiesen, aber sie konnten ihm letztlich nichts nachweisen. In einem der FBI Protokolle standen die Sätze: »Limpes umgibt sich mit der Aura eines zerstreuten Professors. Er kann sich erinnern und im nächsten Moment abstreiten, sich erinnern zu können. Seine Einlassungen sind widersprüchlich, ohne dass man ihm ohne weiteres Absicht unterstellen kann. Er weicht ständig vom Gesprächsthema ab und spricht dann völlig zusammenhanglos über alles Mögliche, vom Jodgehalt in japanischen Speisen bis zu Marilyn Monroes Memoiren. Seine Antworten sind wortreich und abschweifend. Seine Stellung in der Firma lässt eine Kompetenz vermuten, die bei Gesprächen mit ihm nicht erkennbar ist. Die Mitarbeiter und sein unmittelbar Vorgesetzter, Robert F. Talburn (siehe dort), halten große Stücke auf ihn.«

      Limpes’ privater Hintergrund wurde von den FBI-Leuten gleich mit durchleuchtet, entsprechend der Standardprozedur bei jedem, der ihnen ins Visier gerät. Zwei Seiten lang wurden Limpes Geschäfte mit Flaschen seltenen Whiskys aus limitierten Abfüllungen renommierter Brennereien beschrieben, die er sozusagen im Nebenberuf betrieb, vermutlich ohne Kenntnis seines Arbeitgebers oder der Kollegen, und nach den Recherchen