Dietrich Enss

PRIM


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Krawatte, was ihm bei seiner sportlichen Figur und der leicht gebräunten Haut nicht schlecht stand. Aber er war sicherlich der einzige in der ganzen IT-Sicherheitsmannschaft, der mit einem Schlips herumlief. Sie bat ihn, sich zu setzen, und ging dann zurück zu ihrem Platz hinter dem Schreibtisch.

      »Und ich wusste nicht, dass Ihr Büro so weit von hier entfernt ist. Ist es nicht im Bunker?«

      »Doch, schon. Aber ich musste erst noch Ernie Grey informieren.« Er sagte es betont beiläufig, als ob er jeden Tag mit dem NSA-Direktor zusammentraf und ihn mit dem unter Freunden üblichen Rufnamen ansprach.

      Sie lächelte und sagte nichts. Grey war bekannt dafür, in jedermann das Gefühl zu erwecken, als sei man bestens miteinander bekannt oder gar befreundet. Es wurde aber gemunkelt, dass die, die ihn wirklich länger kannten, ein völlig anderes Bild von ihm zeichneten. Demnach war Nizer wohl erst kurze Zeit in Freundschaft zum Direktor entbrannt. Der sich, wie auch geflüstert wurde, nichts aus Frauen machte. Er war als Student aus England in die Vereinigten Staaten gekommen und nach dem Studium im Land geblieben. Man behauptete, dass er schon während des Studiums Ernie gerufen wurde. Es folgte eine steile, wenn auch nirgends wirklich detailliert beschriebene Karriere, anfänglich für kurze Zeit in der akademischen Umgebung, und dann bei der Marine. Er leitete offenbar wichtige Unternehmungen im unübersichtlichen Geflecht aus Diplomatie, Militärmission und Geheimdienst im Libanon und auf Grenada. Vor seiner Berufung zum Direktor der NSA war er bei der CIA tätig. Seine beruflichen Qualifikationen, die so ungenau und dürftig belegt waren, dürften nicht den Ausschlag für die Berufung durch den Präsidenten gegeben haben, sondern eher die Tatsache, dass Grey schon zwei Präsidenten als Berater gedient hatte. Im Senatsausschuss, der seine Berufung bestätigen musste, sagte Grey fast nichts über sich und überließ es anderen, für ihn sprechen. Danach hatte er bedeutsame Beiträge zur Sicherheitspolitik des Landes geleistet und war angeblich einer der besten Organisatoren im Lande. Als der Senator von Massachusetts bei der Berufungsanhörung kritisch zu hinterfragen versuchte, ob Grey wegen seiner ausländischen Herkunft einen derart wichtigen Posten bekleiden dürfte, war Grey zu ihm hinübergegangen und hatte ihm wortlos seine Defense Distinguished Service Medal, die höchste militärische Auszeichnung der USA in Friedenszeiten, auf den Tisch gelegt. Noch bevor der Senator weitere Fragen stellen konnte, schob er eine vom Verteidigungsminister ausgestellte Urkunde nach, in der auf den absolut vertraulichen Charakter der Begründung für die Auszeichnung hingewiesen wurde. Die Berufung erfolgte ohne Gegenstimme.

      »Tessenberg möchte uns um 15 Uhr im Konferenzraum G24 sehen. Sie sollen auch kommen«, fuhr Nizer fort. »Kann ich jetzt mal die ganze Auskunft sehen?«

      »Sicher.«

      Während er aufstand und an ihre Seite trat, um den grün markierten Bildschirm sehen zu können, rief sie die Datei mit der Antwort von DATA TODAY auf.

      »Können wir Silverman noch einmal abfragen, so dass ich den ganzen Vorgang sehen kann?«

      »Auf keinen Fall!«, antwortete sie. »Wir müssen annehmen, dass DATA TODAY Kontrollen eingebaut hat, bei denen eine zweite Anfrage so kurz danach und ohne erkennbaren Grund auffallen würde. Außerdem haben wir natürlich nicht von hier aus angefragt.«

      Ben Nizer erkannte, dass er ohne zu überlegen gefragt hatte und schwieg. Er schaute auf das Dokument auf dem Bildschirm, das wie ein Geschäftsbrief aussah. Im Briefkopf erkannte er das Logo von DATA TODAY und gleich darunter einen deutlichen Hinweis darauf, dass DATA TODAY keinerlei Gewähr für die Richtigkeit der Auskunft übernehmen würde. Dann folgten die Auskünfte über John Kenneth Silverman, die offenbar mehrere Seiten einnahmen, denn am unteren Rand war Seite 1/5 vermerkt.

      »Ich habe gerade alle fünf Seiten an Sie gemailt, Ben«, sagte Alice Lormant und blätterte am Bildschirm weiter im Dokument, »und auf Seite vier haben wir den Verräter. Sehen Sie hier!« Sie zeigte auf einen Eintrag unter der Überschrift Lebenslauf/Beschäftigungsverhältnisse. Nizer beugte sich herab und las leise mitsprechend

      >>03/16/2002 bis 09/30/2002 Beschäftigt bei der National Security Agency, Boston Office [B]<<

      »Was bedeutet das B hinter dem Eintrag?«, fragte er.

      »Die Auskünfte bei DATA TODAY sind von A bis C gestaffelt«, antwortete sie und wandte sich ihm zu. »Die Grunddaten über eine erfasste Person erhalten Sie in Stufe A. Die können Sie mit ein wenig Geduld auch googeln. Wenn Sie vertiefte Suchen nach weniger zugänglichen oder gar vertraulichen, um nicht zu sagen geheimen Daten haben wollen, können Sie bei der Anfrage die Stufen B oder sogar C wählen. Jede Stufe wird gesondert berechnet, wobei die Stufenpreise anwachsen. Ihr Pech, wenn DATA TODAY gar nichts in B oder C hat. Die Recherche in Stufe C kostet vierhundertsechzig Dollar. Gutes Geschäft.«

      »Sie haben also C angefragt, und es gibt gar nichts zu Silverman in Stufe C?«

      »Wir haben die höchste Stufe angefragt, weil die sonst vielleicht gar nicht bei uns nachgesehen hätten. Natürlich verdeckt. Und nein, vermutlich gibt es aus Sicht von DATA TODAY nichts zu Silverman in Stufe C. Den Hinweis auf seine Arbeit bei uns haben sie in Stufe B eingeordnet. Das muss für Sie deprimierend sein, Ben, jedenfalls wenn DATA TODAY diese Information direkt aus unserer P-B12 geholt hat, wonach es zur Zeit noch aussieht. Wobei es Sie ja nicht beruhigen kann, wenn jemand anderes die Information von unserem Server geklaut hätte, bei dem wiederum TODAY sie sich dann geholt hat. Da könnte man dann Stufe B eher verstehen.«

      »Ich sehe, dass Silverman verurteilt worden ist. Wussten wir das?«

      »Ein wunder Punkt. Nein, wir wussten es nicht. Zum Glück war es nur eine Sache mit Geldstrafe, und die ist lange verjährt. Deshalb ist sie uns bei unseren Anfragen und Recherchen zu Silverman entgangen. Und DATA TODAY muss nicht unbedingt misstrauisch geworden sein, diesen schwarzen Fleck auf seiner Weste in unserer Akte nicht gefunden zu haben. Die NSA ist schließlich an Recht und Gesetz gebunden. Und danach sind alle Hinweise auf verjährte Strafen verboten.«

      Nizer lachte, aber Alice blieb ganz ernst, was ihn erwartungsgemäß sehr zu verunsichern schien. »Es ist schon bemerkenswert, dass DATA TODAY es gefunden hat. Und nur mit B bewertet hat«, sagte sie.

      »Wann genau wurde unsere Anfrage bei DATA TODAY gemacht?«

      »Vor drei Tagen, keine zwei Stunden nachdem Sie Silverman in unsere Datenbank eingeschleust haben. Und ich sagte schon: Nicht wir haben angefragt. Die Antwortszeit von heute steht hier ganz oben in der Auskunft: 10:22 Uhr. Vor einer Stunde. Irgendwann in diesem Dreitagezeitraum müssen die eingebrochen sein.«

      »Und welche anderen Quellen haben Sie geprüft?«

      Sie sah ihm fest in die Augen, lächelte und schwieg lange. Dann sagte sie: »Die üblichen. Und wir sind noch dabei. Bei der Besprechung nachher wissen wir mehr. Immerhin können Sie doch jetzt Ihre Log-Dateien aus dem fraglichen Zeitraum überprüfen. Irgendwie müssen die ja eingedrungen sein, nicht wahr? Bestimmt wurde die Frage nach Silverman zuerst an DJINN gerichtet.«

      Alice begleitete Ben Nizer zur Tür. Er hätte gern noch mehr erfahren, schon um länger bei ihr bleiben zu können, aber ihr Auftreten war sehr bestimmt. Sie behandelte ihn wie einen Untergebenen, fand er. Und während er noch darüber nachdachte, wie sie eigentlich in der NSA-Rangordnung einzuordnen war, hatte sie die Tür schon hinter ihm geschlossen.

      DJINN war zwar eine große Erleichterung bei der Recherchearbeit, der zeitlich überwiegenden Tätigkeit vieler NSA-Mitarbeiter, stellte aber in Bezug auf die Sicherheit ein Problem dar. DJINN war das Stichwort- und Personenverzeichnis der NSA. Der Zugang zu DJINN war lediglich durch Passwörter gesichert, die an fast alle NSA-Angestellten ausgegeben und in regelmäßigen Abständen erneuert wurden. Auf Chipkarten zur Zugangskontrolle hatte die NSA verzichtet, weil nicht überall, besonders auch nicht im Ausland, Lesegeräte zur Verfügung standen. Mit einem gültigen Passwort konnte man also alle Stichworte und Namen lesen, wenn sie irgendwo in den unendlichen Weiten der NSA-Server gespeichert waren. Erst beim Anklicken erschien dann eine Mitteilung wie Kein weiterer Zugang, wenn man nicht den entsprechenden Sicherheitsstatus besaß, der mit dem Passwort verknüpft war. Andernfalls wurden die Verzeichnisse und Dateien angegeben, die das Stichwort oder den Namen enthielten. Das Spiel wiederholte sich dann beim Anklicken