Dietrich Enss

PRIM


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jetzt?«

      »Gute Frage. Ich habe sie in der Sitzung nicht gestellt. Aber es ist interessant, dass Joergensen, der Persönliche Berater des Präsidenten, und nicht Dr. Vermille oder die Krienitz verkündete, dass das Notebook sauber sei.«

      »Was ist mit diesem Beratergremium?«, fragte Tessenberg.

      »Es wird eingesetzt. Im Weißen Haus, streng geheim. Wir sollen drei Experten beistellen: Sprachanalyse, wegen der Mailtexte, Überwachung drahtloser Kommunikation, wegen möglicher Gespräche mit Smartphones, und Kryptologie, um die Bereiche Computer, Programmierung und Kryptografie abzudecken. Wir müssen sehr aufpassen bei dem letzten, wie du weißt, Peter.«

      »Da hätte ich schon jemanden im Sinn. Sehr kompetent, aber jung genug, um mir total zu vertrauen und meinen Anweisungen bedingungslos zu folgen.«

      »Verpflichte ihn zur Geheimhaltung und zu absoluter Loyalität dir gegenüber!«, sagte Grey. »Gib ihm eine kräftige Gehaltserhöhung! Und vereinbare mit ihm, dass er täglich einen Bericht schickt!«

      Tessenberg lächelte, ohne dass Grey es bemerkte. Beide schwiegen. In Kürze würden sie in Fort Meade sein.

      »Ist Rudrin hundertprozentig zuverlässig?« fragte Grey. Tessenberg nickte.

      »Hat er auch Pinks Sachen durchsucht?«

      »Ja. Die beiden Secret-Service-Typen tauchten zwar auf, bevor er mit allem fertig war. Zum Glück machten sie sich mit ihren Rufen bemerkbar, bevor sie ihn sehen konnten. Während sie sich mit Ingram - mit Pink - beschäftigten, konnte Rudrin das Haus durchsuchen. Er hat nichts gefunden. Die Geldbörse und die Papiere hat er dort gelassen. Es waren nur etwa sechzig Dollar in der Geldbörse. Ingrams Smartphone hat er mitgenommen. Ich bekomme es nachher.«

      3

      Beim Einscheren auf die Interstate 95 in Providence verstärkte sich der Regen noch einmal. Die Scheibenwischer wechselten in die höchste Stufe und flatterten über die Windschutzscheibe wie erschreckte Vögel. Nun wurde es auch schnell dunkel. Robert Talburn fluchte leise vor sich hin angesichts der Zeit, die er wegen diverser, offenbar mit den heftigen Regengüssen und mit der Brückensperrung zusammenhängenden Staus allein für die siebenunddreißig Meilen von Newport Harbor bis hierher gebraucht hatte. Es kam sicherlich nicht oft vor, dass die Polizei von Rhode Island die Newport Bridge sperren musste. Aber ausgerechnet jetzt, wo er zügig nach Manhattan zurückfahren wollte, schien sich alles gegen ihn zu verschwören, und er musste diesen fast siebzig Meilen langen Umweg nehmen. Er erhöhte die Lautstärke des Radios, dann ließ er die Automatik über die ganze Bandbreite nach einer Station suchen, der man zuhören konnte. Vergeblich. Er machte das Radio aus. Ohnehin war er immer wieder mit allen Gedanken bei den Ereignissen des Tages, und er dachte darüber nach, was er nun tun sollte.

      War es ein Fehler, sie so bald wiedersehen zu wollen, wo er seine Zeit und Konzentration eigentlich für andere Dinge benötigte? Hätte er doch lieber erst versuchen sollen, sie telefonisch zu erreichen? Der einzige konkrete Hinweis auf eine Verbindung war der Newport Yacht Club und ihr Boot MILKY WAY. Hätte er nicht besser einen Rückzieher machen sollen, als die Fremde sich so überraschend als Ann-Louise Norwood ausgab? Es war nicht mehr zu ändern, deshalb wollte er sich hierüber keine Rechenschaft geben. Er konnte sie einfach nicht vergessen. Aber wer war sie wirklich? Warum war sie unter falschem Namen, dem Namen dieser anderen Frau, bei TODAY aufgetaucht? Und wo sollte er sie jetzt suchen?

      Er überholte einen Sattelschlepper mit einem riesigen Trailer. Sein Wagen verschwand für kurze Zeit unter einem Wasserfall. Hinter einem großen Lastwagen mit auffälligen Rücklichtern, rubinrot statt des üblichen rot-orange, drosselte er seine Geschwindigkeit und hielt einen Abstand, der hoffentlich niemanden zum Einscheren ermuntern würde. So ließ es sich leichter nachdenken. Wo hatte er, ausgerechnet er, die Übersicht verloren?

      Er war gegen ihr Praktikum bei DATA TODAY. Praktikum! Diesen Begriff konnte auch nur der alte Ferrentil wählen. Im Zweifelsfall waren alle in der Redaktion im Vergleich zu ihr Praktikanten. Er rief sich die Anfänge in Erinnerung.

       * * *

      »Bob, du sollst zum Chef kommen. Jetzt gleich.«

      Talburn hatte gewartet, denn normalerweise stellte sein Vertreter Ronald Limpes seine Äußerungen gleich darauf wieder in Frage. Aber diesmal nickte er nur bekräftigend und deutete mit dem Zeigefinger nach oben.

      Die Büros von TODAY erstreckten sich über die oberen drei Stockwerke des viergeschossigen William Alexander Bligh Gebäudes in der West 69. Straße an Manhattens teurer Westside. Viel Verkehr gab es nicht zwischen den Stockwerken. Die Redaktion, in der der größte Teil der Belegschaft arbeitete und wohin die meisten Besucher kamen, lag im dritten Stockwerk. Darüber residierte die Geschäftsleitung in großzügig ausgestatteten Räumen. Im Konferenzraum fanden dreißig Teilnehmer Platz. Und der Chef und Herausgeber von TODAY, Wayne P. Ferrentil, hatte sich dort oben eine seiner drei oder vier Wohnungen eingerichtet. Unter der Redaktion befanden sich das Großraumbüro von DATA TODAY und die letzten Überreste des Zeitungsarchivs, die noch in Papierform aufbewahrt wurden. Und darunter, im Hochparterre hinter dem Hauseingang, lag das Rechenzentrum mit den Datenbanken, um die TODAY von Zeitungen im ganzen Land beneidet wurde, wenn nicht sogar in der ganzen Welt. Der höchst profitable Datenservice sollte vor einigen Jahren in die eigenständige Firma Data Today Inc. umgewandelt werden, aber die Eigentümer von TODAY überlegten es sich anders. So zerschellten auch Robert Talburns Träume, in denen er sich bereits als Geschäftsführer mit Erfolgsbeteiligung sah. Immerhin beförderte man ihn vom Abteilungsleiter zum Direktor. Zu einem der fünf Direktoren von TODAY und verantwortlich für die Sektion DATA TODAY.

      Wie alle anderen in der Firma benutzte er nie die Treppen im Haus. Sie waren kahl, schlecht beleuchtet und voller Fluchtwegschilder und Hinweise für den Katastrophenfall. Eine junge Redakteurin hatte einmal gesagt, sie wagte es nicht, die Treppe zu nehmen, weil da dann jeden Moment das Sirenengeheul ausgelöst werden könnte. Die beiden Personenfahrstühle im Haus bedienten unterschiedliche Bereiche, und um in den vierten Stock zu gelangen, konnte er nicht den benutzen, mit dem er morgens vom Eingang aus zur Redaktion hochfuhr. Er trat in die Kabine und drückte den obersten Knopf neben dem blankgeputzten Schild mit der Aufschrift Management. Er wurde bereits von der Empfangssekretärin Emily erwartet, die ihm die Fahrstuhltür öffnete. Sie tauschten einen kurzen Gruß, dann begleitete Emily ihn in das Vorzimmer von Wayne Ferrentil.

      »Hi, Theresa!«, begrüßte Bob Ferrentils Sekretärin. Sie blieb sitzen und musterte ihn mit missbilligenden Blicken über den Rand ihrer Lesebrille hinweg.

      »Guten Morgen Mister Robert Talburn. Ich dachte, Sie könnten sich nun langsam einmal gute Kleidung leisten. Gehen Sie hinein, er erwartet Sie!«

      »Was gefällt Ihnen nicht an meinen Klamotten?« fragte Bob lachend und öffnete die Tür zu Ferrentils Büro.

      »Sie sehen immer noch aus wie ein mittelloser Computerfreak.«

      »Ich bin einer«, rief Bob ihr zu.

      Wayne Ferrentil hatte den letzten Teil des kurzen Wortwechsels gehört und lachte still vor sich hin. Er streckte Bob seine Hand hin und zeigte dann auf den mit Leder bezogenen Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Wie ein Leitender Manager sehen Sie wirklich nicht aus, Bob. So würde man Sie nicht in meinen Golfclub lassen. In andere sicher auch nicht. Vielleicht als Gärtner.«

      Bob sagte nichts. Er wusste um seinen Wert für TODAY, und dass Kleidung dabei keine Rolle spielte. »Vielleicht ändern Sie Ihre Ansicht ja bald, Bob, denn Sie bekommen weibliche Gesellschaft.« Bob sagte immer noch nichts und schaute seinen Chef nur fragend an.

      »Ich erhielt gestern Abend einen Anruf von meinem alten Freund Jon. Jonathan M. Berkner. Sagt Ihnen der Name etwas?«

      »Nein, ich glaube nicht.«

      »Dann schauen Sie mal in der Katakombe nach. Jon ist sozusagen ein Mitbegründer unserer Zeitung. Blieb aber immer im Hintergrund. Er möchte, dass wir für eine Weile eine junge Dame in unserer Datenbankabteilung mitarbeiten lassen. Sie ist Wissenschaftlerin