Bernharda May

Liebreiz, Mord und Kaktusstiche


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erfreut gewesen, dass ich mich meldete. Als Treffpunkt schlug er das Café am Eck vor, denn in seinem Büro wäre es wegen der Sommerhitze viel zu stickig gewesen. Ich solle mir auch keine Sorgen machen, die erste Beratung sei kostenlos.

      »Es gilt ja, erst einmal zu schauen, ob meine Dienste überhaupt zu Ihrem Problem passen«, lauteten seine exakten Worte.

      In der Straßenbahn zeigte ich Tony das Telegramm.

      »Was soll denn TMP bedeuten?«, fragte er.

      »Das ist doch offensichtlich«, antwortete ich ungeduldig. »MP sind die Initialen von Mariebelle Puttensen. Das T steht für ›Tante‹. Das beweist, dass das Telegramm wirklich von ihr ist, denn niemand sonst weiß, dass ich sie als solche bezeichne, obwohl wir keine Blutsverwandten sind. Ist das nicht toll? Endlich ein Lebenszeichen von ihr.«

      Ich war sehr, sehr erleichtert darüber.

      »Wenigstens wird deutlich, dass du in Niederfichtel nicht irgendwo, sondern auf Schloss Liebreiz erwartet wirst«, sagte Tony. »Sonst hätte der Schreiber dieser Zeilen dieses altmodische Adjektiv nicht extra eingebaut, noch dazu, wenn es bei den Kosten für ein Telegramm um jedes einzelne Textzeichen geht.«

      »›Der Schreiber‹, wie du das betonst«, regte ich mich auf. »Das hat eindeutig Tante Mariebelle selbst verfasst. Von wem hätte die Post sonst erfahren, an welche Adresse es geschickt werden soll?«

      »Vielleicht hat der Schreiber nach dem Lesen der Annonce bei der Lokalzeitung angerufen und um deine Adresse gebeten…«

      Ich ließ ihn nicht ausreden.

      »Tante Mariebelle hat geschrieben und niemand anders«, bestimmte ich. »Sie lebt und benötigt meine Hilfe, basta.«

      Wir erreichten die Haltestelle am Südpark. Ich steckte das Telegramm in meine Handtasche und hakte mich bei Tony unter, während wir zum Café liefen. Camponelli sollte wissen, dass wir beide ein Team waren.

      Der Privatdetektiv hatte wieder drinnen Platz genommen. Er saß an einem Dreiertisch, der direkt am Fenster stand, und sah gedankenverloren auf die Straße hinaus. Erst, als Tony und ich uns setzten, schien er von unserer Anwesenheit Notiz zu nehmen.

      »Frau Endesfelder, da sind Sie ja. Entschuldigen Sie bitte, dass ich nicht an der frischen Luft sitze, aber hier drinnen gibt es eine Klimaanlage. Die Sommerhitze draußen macht mir zu schaffen.«

      Würde er auf seine weißen Anzüge verzichten, wäre dem nicht so, dachte ich, und kam ohne Umschweife zum Thema.

      »Herr Camponelli, wie Sie bereits gestern gehört haben, suche ich meine Patentante, Mariebelle Puttensen. Sie ist verschwunden und die Polizei kann oder will nichts tun. Ich habe den Verdacht, dass ihr während ihres Aufenthaltes auf einer Schönheitsfarm etwas zugestoßen ist, und die Hinweise darauf erhärten sich.«

      »Wenn Sie Schönheitsfarm sagen, reden Sie dann von jenem Schloss, auf dem sich Ihr Begleiter als Detektiv versuchte und seinen ersten Achtungserfolg erzielte?«

      Er nickte Tony zu, wie ein Lehrer einem Schüler zunickte, der an der Tafel eine Aufgabe bewältigt hatte.

      »Genau, Schloss Liebreiz nennt es sich und liegt in Niederfichtel«, gab ich zur Antwort. »Alle Spuren führen in diese Richtung, weshalb jemand dorthin muss, um die Wahrheit herauszufinden.«

      »Ihr Instinkt trügt sie nicht«, sagte Camponelli anerkennend. »Was Ihr Begleiter gestern über seinen Besuch auf Schloss Liebreiz berichtete, klang ganz und gar verdächtig. Ihren Beschluss, die Nachforschungen dort an Ort und Stelle weiterzuführen, kann ich nur begrüßen.«

      Endlich lobte er auch mich, nicht nur Tony! Das schmeichelte mir sehr und ich verheimlichte, dass meine weibliche Intuition die Hilfe eines Telegramms erhalten hatte. Wozu meinen Instinkt entzaubern?

      »Die Schwierigkeit dabei ist«, fuhr ich fort, »dass wir zwei keinerlei Erfahrungen mit dem Aufspüren verschwundener Personen haben.«

      »Bis jetzt haben Sie sich doch recht klug angestellt«, widersprach Camponelli.

      »Mag sein«, sagte ich mit leisem Zweifel in der Stimme, »aber nun heißt es, richtig zu investigieren. Leute befragen, Spuren suchen… Da braucht es die Hilfe eines Profis. Und ich dachte, vielleicht würden Sie für mich nach Niederfichtel fahren?«

      Camponelli glitt mit den Fingerspitzen über seinen Oberlippenbart und beäugte Tony und mich genau. Dann hub er zu einer kleinen Rede an.

      »Gern würde ich Ihren Fall übernehmen, Frau Endesfelder. Aber sehen Sie, ich bin ein berühmter Privatdetektiv. Überall kennt man mich. Reiste ich nach Schloss Liebreiz, würden dort alle wissen: Etwas ist geschehen! Camponelli sucht wieder Verbrecher! Und wer auch immer das Verschwinden ihrer Tante Mariebelle auf dem Gewissen hat, wird folglich doppelt auf der Hut sein. Ja, ich wage sogar zu behaupten, dass mein Auftauchen ihre Tante möglicherweise in noch größere Gefahr brächte, als sie jetzt schon steckt. Daher würde ich Ihnen raten, Ihr ursprüngliches Vorhaben auszuführen und selbst nach Niederfichtel zu fahren. Man kennt Sie dort nicht, weiß nichts von Ihrer Verbindung zur Vermissten. Wenn Sie die Rolle einer Kundin spielen, werden sich die Mitarbeiter Ihnen gegenüber offen und parat für Gespräche zeigen, ebenso die anderen Gäste. Nehmen Sie Ihren Begleiter gleich mit, er kennt sich auf dem Gelände ja schon ein wenig aus. Das erhöht die Aussicht auf eine erfolgreiche Investigation, glauben Sie mir. Ich werde Sie dagegen aus der Ferne unterstützen, indem wir, sagen wir mal, in telefonischem Kontakt bleiben. Wie wäre das?«

      »Flo ist viel zu jung und hübsch, um als Gast einer Schönheitsfarm durchzugehen«, gab Tony zu Bedenken. »Und mich wird man ohne Weiteres wiedererkennen.«

      »Ohohoho«, lachte der Privatdetektiv und hob seinen Zeigefinger. »Da spricht der Laie aus Ihnen. Vertrauen Sie sich Camponelli an, der seinen reichen Erfahrungsschatz gern mit Ihnen teilen will. Was Frau Endesfelder angeht, braucht es natürlich keine Schlankheitskur, da gebe ich Ihnen recht. Wenn Sie allerdings ein paar Nächte auf Schlaf verzichtet, sich das Haar nicht wäscht und auf Schloss Liebreiz ohne Make-up eintrifft, werden dort alle davon überzeugt sein, sie habe Erholung und Aufpäppelung nötig. Und was Sie angeht, Herr Tony – haben Sie schon mal was von verdeckter Ermittlung gehört?«

      »Selbstverständlich!«

      »Dann wissen Sie ja, was zu tun ist. Ändern Sie Ihren Namen. Färben Sie Ihre Locken. Lassen Sie sich einen Schnurrbart stehen. Abracadabra, schon sind Sie in den Augen aller anderen ein neuer Mensch. Hinzufügen möchte ich, dass es für Sie beide ratsam ist, nicht als Paar aufzutreten. Das verschafft Ihnen die Gelegenheit, unabhängig voneinander nach Spuren zu suchen und den Feind zu überlisten.«

      »Den Feind«, wiederholte ich langsam. »Herr Camponelli, mit Ihnen einen Fall zu besprechen fühlt sich an, als ob man einen Schlachtplan entwickeln würde.«

      »Wenn man Verbrecher fangen will, muss man strategisch denken«, belehrte mich der Privatdetektiv. »Bei allen Fällen, die ich übernehme, treffe ich mich regelmäßig mit meinen Klienten zum Kriegsrat. Ansonsten hat man in diesem Geschäft keine Chance, glauben Sie mir.«

      Während Tony seine Mundpartie abtastete und überlegte, wie schnell sein spärlicher Bartwuchs die genannte Aufgabe erfüllen könnte, kalkulierte ich im Kopf alle Kosten, die auf mich zukämen. Die vielen Telefonate, die ich geführt hatte, die doppelte Rechnung im Bistro, die Zeitungsannonce – ich schluckte.

      »Herr Camponelli, ich fürchte, ich kann mir einen Aufenthalt von Tony und mir auf Schloss Liebreiz nicht leisten, zusätzlich zu Ihrem Gehalt.«

      Der Privatdetektiv winkte ab.

      »Mich können Sie auf Raten bezahlen«, versprach er. »Und Spesen wird es meinerseits nicht geben, da ich Ihnen nur von meinem Büro aus zur Hand gehen werde. Was Schloss Liebreiz angeht, bestünde noch eine weitere Möglichkeit, sich hineinzuschmuggeln.«

      Er schielte zu Tony und lächelte.

      »Was können Sie denn gut, junger Mann? Wo liegen Ihre Fähigkeiten? Schon mal gekellnert? Schon mal massiert? In einer Sauna Aufgüsse gemacht? Das sind alles Dinge,