Bernharda May

Liebreiz, Mord und Kaktusstiche


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Sie am besten mit der Chefin.‹

      Er schickte mich ein Stockwerk höher, wo ich bei einer gewissen Dr. Alexa Safaryan vorsprechen sollte. Die empfing mich eher widerwillig, wie mir schien, und wich meiner Frage nach Mariebelle Puttensen regelrecht aus.

      ›Wir können Fremden nicht einfach die Daten unserer Kundinnen zugänglich machen‹, behauptete sie. ›Das schließt die Angaben über ihre Ankunfts- und Abreisetermine mit ein. Können Sie sich denn als ihr Sohn ausweisen?‹

      Das konnte ich freilich nicht, deshalb verabschiedete ich mich schnell von besagter Dr. Safaryan und verließ das Schloss. Ich hätte mich als Neffe statt als Sohn ausgeben sollen, dann wäre es unkomplizierter gewesen, die verschiedenen Nachnamen zu erklären.«

      »Ärgere dich nicht, du kannst es ja jetzt nicht mehr ändern«, tröstete ich ihn.

      »Oh doch, ich ärgere mich. Denn sowohl der Rezeptionist als auch seine Chefin haben mich quasi ohne jegliche Information entlassen. Sie hatten nicht einmal bestätigt, ob deine Patentante überhaupt auf Schloss Liebreiz gewesen war! So schnell wollte ich mich aber nicht geschlagen geben. Ich spazierte im Gelände herum, schaute mir die Ruine an und versuchte, mit den wenigen weiblichen Gästen der Schönheitsfarm zu scharwenzeln, um Näheres herauszukriegen.«

      »Scharwenzeln«, schmunzelte ich. »Du und deine Wort-wahl!«

      Tony schmunzelte zurück und fuhr fort:

      »Diejenigen, die ich ansprach, waren fast ausnahmslos nach Mariä Himmelfahrt angereist. Davon ausgehend, dass deine Patentante an dem Feiertag ja bereits mit dir im Bistro hätte sitzen müssen, fragte ich sie nicht erst genauer aus. Lediglich eine dralle Mitvierzigerin gab an, schon länger auf Schloss Liebreiz zu verweilen. Sie bildete sich ein, den Namen Mariebelle Puttensen gehört zu haben, behauptete aber, sie würde kaum mit anderen Frauen ins Gespräch kommen. Dann trat sie ganz nah an mich heran, sodass ich ihren Körper an meinem spürte.

      ›Ich bin schließlich hier, um mich für die Männerwelt zu optimieren‹, hauchte sie mir ins Ohr.

      Bevor ich irgendetwas erwidern konnte, klingelte irgendwo eine Glocke und sie rief aus:

      ›Oh, meine nächste Behandlung beginnt! Auf Wiedersehen, schöner Mann!‹

      Und tänzelnd verließ sie die Ruine. Von Weitem sah ich noch, wie sie mir zuzwinkerte.«

      »Wie aufdringlich von ihr«, befand ich. »Ob ihre Aussage der Wahrheit entspricht, ist schwer zu beurteilen. Sie könnte auf deine Befragung eingegangen sein, um sich an dich heranzumachen.«

      »Das Gleiche ging mir auch durch den Kopf«, sagte Tony. »Darum wollte ich mir noch eine zweite Meinung im Dorf einholen. Viele Möglichkeiten, ins Gespräch zu kommen, gibt es dort nicht. Niederfichtel hat einen Bäcker, einen Metzger, ein Blumengeschäft neben dem Friedhof und einen Kiosk am Bahnhof. Wo die Einwohner ihre Großeinkäufe erledigen, weiß der Kuckuck. Der Metzger hatte geschlossen und der Blumenhändler schaute so finster drein, dass ich gar nicht erst versuchte, ihn anzusprechen. Beim Bäcker plauderte die Verkäuferin dagegen munter drauflos, ob ich zu den Gästen von Schloss Liebreiz gehörte oder nur auf der Durchreise war oder jemanden besuchen würde.

      ›In einem kleinen Dorf wie diesem weiß man gleich, ob jemand fremd ist oder dazugehört‹, erklärte sie.

      Ich ließ Mariebelles Namen fallen, aber sie reagierte nicht. Auch zwei alte Herrschaften, die gerade neben der Theke ihren Kaffee tranken, zeigten keinerlei Regung. Ich fügte hinzu, dass ich sie suchen würde und sie unauffindbar zu sein schiene. Da brummte einer der beiden Alten:

      ›Verschwunden, eh? Ja, das kommt vor.‹

      ›Wie bei der armen Annerose‹, sagte der andere.

      ›Ach, dieses mannstolle Luder‹, murmelte der erste.

      ›Vielleicht hat sie der Geist vom alten Mulch geholt‹, meinte der andere.

      ›Darüber macht man keine Scherze‹, brummte der erste.

      Das half mir nicht weiter und so verließ ich die Bäckerei wieder, bevor die Herrschaften mir lang und breit das Schicksal ihrer alten Freundin Annerose schildern würden. Dein Ullmann hat mir letztens das Ohr genug abgekaut.«

      »Er ist nicht mein Ullmann«, berichtigte ich scharf. »Hast du noch woanders nachgefragt?«

      »Ja, im Bahnhofskiosk. Die Dame dort kanzelte mich regelrecht ab, was mir einfiele, solche Fragen zu stellen. Ich solle gefälligst zur Polizei gehen, wenn ich jemanden vermissen würde, und nicht die Leute belästigen und von der Arbeit abhalten. Von wegen Arbeit! Kein einziger Kunde war in ihrem Laden. Na ja, ich trollte mich dann und fuhr zurück. Gott sei Dank war es ruhig im Zug und ich konnte schlafen. Beinahe hätte ich sogar meine Haltestelle verpasst, so tief hab ich gepennt!«

      »Hm«, machte ich und dachte über Tonys Worte nach. »Die Mitarbeiter von Schloss Liebreiz haben sich wirklich verdächtig verhalten, dafür, dass du nur eine harmlose Nachfrage stelltest. Hast du das Foto von meiner Patentante jemandem gezeigt?«

      Tony bejahte.

      »Die dralle Mitvierzigerin meinte, das Gesicht käme ihr bekannt vor. Die Bäckerin dagegen schüttelte den Kopf. Zu viele Gäste von Schloss Liebreiz gingen bei ihr ein und aus, um sich die Leute alle merken zu können. Und wie die Dame vom Bahnhofskiosk reagierte, habe ich dir gerade beschrieben.«

      Es erklang ein leises Räuspern in unmittelbarer Nähe. Wir sahen auf und bemerkten, dass der Herr im weißen Anzug mittlerweile aus dem Café gekommen war und am Nebentisch Platz genommen hatte. Ich hatte ihn gar nicht kommen hören, aber als ich genauer hinsah, erklärte sich der Grund dafür von allein. Er saß im Rollstuhl und die Räder hatten auf dem glatten Boden weniger Geräusch gemacht, als es Schritte getan hätten.

      »Ich möchte Sie wirklich nicht stören«, sagte er mit ausländischem Akzent und strich sich über den Schnurrbart, »aber lassen Sie mich eines sagen, junger Mann: Für einen Anfänger haben Sie sich während Ihrer Nachforschungen wirklich nicht schlecht angestellt.«

      Ich schaute von dem Fremden auf Tony, aber mehr als ein verwundertes Achselzucken hatte er für mich nicht übrig.

      »Danke, der Herr«, war alles, was ihm einfiel.

      »Wissen Sie, ich kenne mich mit dieser Tätigkeit sehr gut aus«, sprach der Herr weiter, »bin darin sozusagen ein Experte. Im Dorf nachzufragen, das war clever von Ihnen, wirklich. Aber wie Sie sich auf dem Schloss verhalten haben – ts, ts, ts.«

      Er schüttelte nachsichtig mit dem Kopf.

      »Immer mit den kleinen Mitarbeitern sprechen, merken Sie sich das. Jene, die herumgeschubst werden und die Drecksarbeit erledigen müssen. Die haben zum einen mehr Redebedarf als ihre ach-so-wichtigen Bosse, zum anderen sehen und hören sie meist auch viel von dem, was für unsereins wichtig sein könnte. Wofür ich Sie wiederum loben muss, ist Ihre strenge Einschätzung hinsichtlich dieser Frau Doktor. Auch ich würde deren Aussageverweigerung als suspekt einstufen. Normalerweise würde man jemandem, der sich nach der eigenen Mutter erkundigt, viel freundlicher begegnen, nicht wahr? Die meisten würden den Sohn vertrösten, würden aus Höflichkeit so tun, als gäben sie sich wenigstens ein bisschen Mühe, sich an die gesuchte Dame zu erinnern.«

      Wir starrten ihn an, sprachlos darüber, das er uns ungefragt einen Vortrag hielt. Irgendwann bemerkte er unsere offenen Münder und unterbrach seinen Redeschwall.

      »Herrje, ich bin ins Schwafeln geraten, wie? Verzeihen Sie mir bitte. Ich wollte Sie nicht aufhalten.«

      »Schon gut«, sagte ich. »Sie halten uns nicht auf. Wir haben keine weiteren Pläne als hier zu sitzen und uns zu unterhalten.«

      »Ich hätte Ihnen dennoch nicht zuhören dürfen«, räumte der Herr ein. »Es war ganz und gar unhöflich von mir, meinen Rollstuhl direkt hinter Sie zu parkieren, nur um Ihre Worte aufzuschnappen.«

      »Unser Gesprächsgegenstand hat Sie also interessiert?«, fragte Tony.

      Der Herr nickte und lächelte uns