Bernharda May

Liebreiz, Mord und Kaktusstiche


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wuchs erneut.

      »Was ist los?«, fragte ich.

      Statt mir direkt zu antworten, griff der Wachtmeister zum Telefon, wählte eine Nummer und sprach:

      »Hallo Sieglinde? Hier ist Wolfgang… Ja, hallo… Geht so… Warum ich anrufe: Ist jemand vom Kommissariat zu sprechen? Tork oder Unger?«

      Durch die Sprechmuschel konnte man eine laute Frauenstimme hören, die unentwegt zu schnattern schien.

      »…Ah, gut. Würdest du mich durchstellen? Danke dir, Sieglinde…«

      Es gab eine kleine Pause, in der er mich unverbindlich anlächelte. Dann redete er weiter in den Telefonhörer hinein. Diesmal konnte man den Sprecher am anderen Ende der Leitung nicht hören.

      »Herr Kriminalhauptkommissar, ich habe hier eine junge Dame, die eine Vermisstenanzeige aufgeben will. Ich weiß, das gehört nicht in Ihren Zuständigkeitsbereich, aber… Genau, es gibt da eine Kleinigkeit… Mariebelle Puttensen. Vor mir sitzt ihr Patenkind. Ich würde Ihnen die Dame mal kurz raufschicken, ja? Und ich sende Ihnen gleich per Mail einen Screenshot… Danke, das ist sehr freundlich von Ihnen. Entschuldigen Sie bitte im Voraus, wenn sich das als Trugschluss meinerseits entpuppt… Danke, vielen Dank!«

      Er legte auf.

      »Kriminalhauptkommissar Tork möchte mit Ihnen sprechen.«

      Er nannte mir die Zimmernummer seines Büros.

      »Sie müssen in den Ostflügel, dann ins zweite Geschoss. Das Kommissariat 1 ist ausgeschildert. Falls jemand fragt, sagen Sie, zu wem Sie wollen und dass Wolfgang von der Anzeigenerstattung sie geschickt hat.«

      Er reichte mir einen kleinen Notizzettel mit den wichtigsten Eckdaten, damit ich mich auf dem Weg durch das riesige Gebäude nicht verlaufen würde. Erschrocken darüber, plötzlich zu einem Kommissar von der Kripo geschickt zu werden, schlich ich durch die Gänge. Zwar hielt ich mein Haupt hoch, den Blicken der Beamten wich ich jedoch aus. Im Kommissariat 1 wurde ich von einer molligen Frau in schrillen Farben begrüßt, die wohl die Sekretärin war.

      »Sie sind die Dame, die zu Kriminalhauptkommissar Tork will, stimmt's? Ich bringe Sie in sein Büro.«

      Von wollen kann nicht die Rede sein, dachte ich im Stillen. Aber was blieb mir übrig?

      Als ich schließlich Kommissar Tork gegenüber saß, beruhigte ich mich ein wenig. Er schaute mich freundlich an, die Arme auf seinen Schreibtisch gestützt. Neben seinem rechten Ellenbogen stand ein Flachbildschirm, der offensichtlich eingeschaltet war. Allerdings stand auch er mit der Rückseite zu mir, sodass mir ein Blick aufs Display erneut verwehrt blieb.

      »Sie sind also auf der Suche nach Mariebelle Puttensen«, stellte er fest.

      »Muss ich mit dem Ärgsten rechnen?«, fragte ich kleinlaut. »Ist sie etwa irgendwo tot aufgefunden worden?«

      Tork lächelte und schüttelte mit dem Kopf.

      »Uns liegen keine Auskünfte vor, die solch schreckliche Vermutung nahe legen«, sagte er.

      Ich atmete erleichtert auf. Eine Pause entstand. Tork schien nach Worten zu suchen und fuhr erst nach einer Weile fort:

      »Um genau zu sein, liegt uns überhaupt nichts vor, das Ihnen bei der Suche nach ihrer Patin helfen könnte. Freilich bedauern wir das sehr. Aber vielleicht können Sie uns noch ein paar weitere Angaben zu Frau Puttensen machen?«

      »Was für Angaben?«

      »Nun, was sie nach ihrem Urlaub vorhatte, zum Beispiel.«

      »Ich wusste ja nicht einmal, dass sie verreist ist!«

      »Oh«, machte Tork.

      Er hatte wohl nicht mit dieser Aussage gerechnet.

      »Dementsprechend kann ich Ihnen auch nicht sagen, was Tante Mariebelles Pläne für nach ihrem Urlaub waren«, fügte ich hinzu, vor Aufregung in schlechte Grammatik verfallend.

      »Vielleicht wollte sie Freunde aufsuchen? War sie Mitglied in einem Reiseclub? Oder ging sie einer Vereinstätigkeit nach?«

      Verdutzt fragte ich, was diese Nachforschungen zu bedeuten hätten. Sie schienen nichts mit Tante Mariebelles Verschwinden zu tun zu haben. Tork schielte kurz auf den Flachbildschirm, dann sah er wieder mich an.

      »Es wäre ja möglich«, lenkte er ein, »dass Ihre Patin dringende Termine hatte, von denen Sie etwas wussten.«

      »Hören Sie«, erwiderte ich und meine Ungeduld meldete sich zurück, »ich bin zur Polizei gekommen, um Antworten zu finden. Stattdessen fragt man mich hier Dinge, die ich gar nicht wissen kann – und würde ich sie wissen, bräuchte ich nicht erst zur Polizei gehen, sondern könnte selber nach Tante Mariebelle suchen. Verzeihen Sie, Herr Kriminalhauptkommissar, aber dieses Gespräch erscheint mir witzlos. Weshalb bin ich denn extra hierhergeschickt worden?«

      Tork ließ sich von meiner Aufregung nicht anstecken, sondern antwortete gleichbleibend freundlich:

      »Der Beamte, mit dem Sie unten sprachen, hat es nur gut gemeint. Er glaubte, über etwas gestolpert zu sein, was für die Kripo von Bedeutung sein könnte, aber dem ist nicht so. Sehen Sie es ihm bitte nach, Frau Endesfelder. Wir Polizisten führen eine Überprüfung lieber einmal zu viel als zu wenig durch.«

      Anders als Wolfgang von der Anzeigenerstattung war Torks Ton nicht gönnerhaft. Er sprach ernsthaft und ich fühlte mich respektiert. Das beruhigte mich und ich erinnerte mich daran, dass vorhin von einem Screenshot die Rede gewesen war. Hatte der Wachtmeister auf der Suche nach Tante Mariebelles Namen etwas in den Polizeidaten entdeckt, das ihm verdächtig vorkam? Was könnte das gewesen sein? Ich sprach Tork darauf an, doch der schüttelte bedauernd den Kopf.

      »Da war nichts von Belang, Frau Endesfelder.«

      Na, das glaubte ich ihm nicht! In dem Fall würde ich ja nicht im Kommissariat sitzen.

      Schneller, als Tork es erfassen konnte, sprang ich auf, beugte mich über seinen Schreibtisch und erhaschte einen Blick auf seinen Computerbildschirm. Was ich sah, ließ meinen Atem stocken.

      »Ich glaube es nicht!«, rief ich aus.

      »Frau Endesfelder, dieser Anblick war nicht für Sie bestimmt«, sagte Tork. »Setzen Sie sich bitte wieder hin!«

      »Das ist mir klar, dass ich sowas nicht sehen soll!«, gab ich zurück. »Aber genauso wenig sollten Sie… In Ihrer Dienstzeit… Und überhaupt!«

      Mir fehlten die Worte – beinahe.

      »Ich werde Ihre Vorgesetzten von dieser Ungeheuerlichkeit unterrichten«, drohte ich. »Wer ist das in Ihrem Fall, na?«

      »Das wäre Kriminaldirektor Hummel«, erwiderte Tork und sein Ton war plötzlich hart, »aber der…«

      Doch ich hörte ihm nicht weiter zu, denn ich war viel zu empört, um mich auf weitere Diskussionen einzulassen. Von wegen, ich würde respektiert! Mit einem ebenso harten Ton wie dem seinen wünschte ich ihm einen guten Tag, stürmte aus seinem Büro und verließ augenblicklich die Polizeidirektion.

      3. Ein unverhofftes Wiedersehen

      Okay, eines muss ich zugeben: Ich habe die Polizeidirektion mitnichten »augenblicklich« verlassen. Das war nämlich gar nicht möglich, man musste ja zunächst all die Gänge vom Kommissariat 1 bis hin zum großen Warteraum bewältigen, und weil die alle gleich aussahen, benötigte ich eine Weile, bis ich mich zurechtfand. Den Kriminaldirektor Hummel aufzusuchen, gab ich während dieser Odyssee auf.

      Als ich endlich draußen war, brauchte ich eine Minute, um zu verschnaufen. Die ganze Zeit über habe ich wohl unbewusst mit dem Kopf geschüttelt und vor mich hin geschimpft, denn auf einmal rief mir jemand zu:

      »Flo Endesfelder! Wie immer in Selbstgespräche vertieft! Über wen motzt sie wohl heute?«

      Ich sah auf und ein blonder Lockenkopf mit viel zu vielen Sommersprossen im Gesicht stand vor mir. Sein Grinsen war so breit, dass sich