Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski

Frequenzwechsel


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Misère am Arbeitsmarkt erhielt ich bereits zwei Wochen nach Abmusterung von AUGUST SCHULZE meinen zweiten August in Gestalt der „AUGUST LEONHARDT“, eines handigen Massengutfrachters von etwa 4.000 BRT der Hamburger Reederei Leonhardt & Blumberg, leider wieder als Leichtmatrose. Meine Hoffnung auf eine Anmusterung als Matrose à cto meiner langen Junggrad-Fahrtzeit erfüllte sich zu meinem Bedauern nicht, man übersah schlechtweg meine ersprießlich gewesenen Aufbauzeiten auf den englischen Schiffen. Im Nachhinein erwies sich mein rascher Entschluss, die Leichtmatrosen-Chance einem ungewissen Warten auf einen Matrosen-Job vorzuziehen, als durchaus richtig, denn nach etwa halber Reise von insgesamt 11 Monaten „wilder Fahrt“ wurde ich auf diesem zweiten August zum Matrosen umgemustert. Außerdem, obwohl sie zweifellos auch kein Renommierschiff darstellte, gefiel mir diese AUGUST LEONHARDT, was nicht in letzter Linie ihr interessanter Trampeinsatz im Hin- und Herpendeln zwischen Europa und Nord-Amerika bedingen mochte, zum anderen die geschicktere Menschenführung der auf diesem August eingeschifften Offiziere - im Gegensatz zu der des anderen - begründete. Sein Kapitän, Herr A. war in meinen Augen in seiner Haltung und seinem Auftreten ein weltgewandter Mann und rechter Vertreter seiner Sparte, und die ganze Besatzung stellte nach einigem Hinsehen eine gute Mischung von seefahrendem Volk dar. Wir ertrugen die Mängel der AUGUST LEONHARDT in puncto Verpflegung, von öfteren diesbezüglichen Beschwerden abgesehen, mit Elan und Würde, es war im Übrigen verständlich, dass manche von uns die lange Dauer der Reise und deren scheinbare Ziellosigkeit dann und wann kräftig verschnupfte. Mich als jungen Kerl erschütterten die uns Mannen konfus erscheinenden Zielwechsel herzlich wenig, im Gegenteil, sie stillten eher meinen Hunger nach Aufnahme immer neuer Reiseeindrücke. Wen es interessieren sollte, der mag die einzelnen Stationen dieser meiner längsten, ununterbrochenen Reise auf dem Globus nachverfolgen: Hamburg (Ausgang) Antwerpen – Oran (Bunkern) - Smyrna - Konstantinopel – Galatz / Rumänien – Oran (Bunkern) - Jacksonville - Tampa - Houston – Galveston – Norfolk (Bunkern) – Bergen (Bunkern) – Tromsoe - Murmansk - Archangelsk – Harstad (Bunkern) - Loedingen – Louisburg (Bunkern) – Sydney / Canada (Bunkern) – Norfolk (Bunkern) – New Orleans - New Brunswick - Savannah – Norfolk (Bunkern) – Ardrossan / Schottland (Bunkern) - Murmansk - Kirkenes – Jakobsnes – Harstad - West Hartlepool (Bunkern) – London – Hamburg (Eingang). Zugegeben, das war oder ist eine bunte Palette von Häfen, auch wenn ein Drittel davon nur zwecks Bunkerns angelaufen wurde mit knapper oder gar keiner Landgangsmöglichkeit. Anders oder weniger wechselhaft als damals ist die heutige Trampfahrt auch nicht, im übrigen fuhren wir für die Trampreederei L & B, welche Buchstaben der deutsche Seemann damals mit „Lumpen und Blei“ interpretierte, wir fuhren also viele Ausnahme-Ladungen und Ausnahme-Touren, die obiger Interpretation irgendwie gerecht wurden. Das mag jedoch nichts über den wirklichen Wert oder Unwert des genannten Reeders und seiner Schiffe aussagen. Hein Seemann ist leicht indigniert (unwillig, entrüstet) und in seinem Urteil abfällig, wenn ein Schiff und dessen Reiseroute irgendwie nicht seinen Erwartungen entsprechen, er, der in vielen Fällen die etwa kargen Fleischtöpfe an Bord dem damals oft langen Mangelleben an Land immerhin noch vorzog, schimpfte allein oft des reinen Schimpfens wegen, weil eben mancher Schreihals damit sein angekratztes „image“ aufzupolieren trachtete. Es entzog sich im Übrigen damals meiner Beurteilung, wie weit die oft falsch verstandenen Thesen der Gewerkschaften einzelne Geister in ihren Ansichten und deren Ausdrücke beeinflussten bzw. Impuls für vieles Jammern und Klagen waren. Heute neige ich der Ansicht zu, dass derzeit wahrscheinlich „vieles faul im Staate Dänemark“, also allgemein in der Seefahrt war. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass der unglückliche Kriegsausgang die deutschen Reeder zumindest empfindlich zur Ader gelassen hatte, der Wiederaufbau ihrer Flotten à cto Inflation, Diktat und des wieder erwachenden Neids der ehemaligen Kriegsgegner auf den trotz seiner Niederlage infolge seiner deutschen Gründlichkeit wieder erstarkenden Konkurrenten äußerst risikoreich und schwierig war. Mithin hatten die deutschen Schiffseigner nicht nur ein neues image, sondern gleichzeitig auch mit knappen Kriegsentschädigungen und hohen Fremdkrediten eine neue Flotte aufzubauen. Vieles entstand dabei gewissermaßen aus dem Nichts, das langsam Aufgebaute war in der Folge, wenn es Bestand haben sollte, nur mit größtmöglicher Sparsamkeit und gegebenenfalls kleinsten Gewinnmargen zu halten und erhalten. Das galt natürlich auch für „Lumpen und Blei“. Trotz allen Sparens erfüllten sie aber ohne irgendwelchen Zweifel die Forderungen von Seemannstarif und Speiserolle. Im Ausland gekaufter Proviant war jedoch teuer und oftmals schlecht, große Mitnahme von Lebensmitteln aus der Heimat für eine längere Reisedauer war wegen fehlenden Kühlraums an Bord zum anderen nicht möglich, ergo wurde mit jedem Mehrmonat einer Reise der „Fraß“ auf einem Tramper knapper und schlechter, dazu kam, dass der Schiffskoch S. und sein Sohn, der Bäcker, nicht gerade Meister ihres Fachs waren. Schwierigkeiten machte auch die Bunkerei, obwohl die dafür installierten Bunker für mehrere tausend Seemeilen Dampferzeugung Kohle aufnehmen konnten. Ein Teil des Bunkerraums wurde jedoch oft zweckentfremdet, weil man entweder mehr an Fracht mitnehmen wollte oder aber die einzelnen erhältlichen Ladungspartien mehr Frachtraum beanspruchten. Wie dem auch gewesen sein mag, wir waren eigentlich immer knapp an Bunkers, versuchten daher, nach Möglichkeit nur in den billigsten Bunkerplätzen unseren Kohlebedarf zu decken. Darum konnte es auf Atlantik-Überquerung von Harstad nach Louisburg tatsächlich passieren, dass wir einen halben Tag vor Kanadas Küste trotz wetterlich ruhiger Reise mit unseren Kohlen bis auf einen spärlichen Rest ausverkauft waren. Kapitän A. war an dieser Misere nur bedingt schuldhaft, hatte vielmehr rechtzeitig die Reederei in Hamburg zur Zwischenbunkerung in Rejkjavik / Island zu überreden versucht. Nun war es plötzlich kritisch geworden, für die restlichen 40 oder 50 Seemeilen bis zum nächst erreichbaren Hafen fehlte der Stoff, mit dessen Hilfe man Wasser in Antriebsdampf umsetzen kann. Also mit all hands ran an alles vorhandene Holz - hauptsächlich große, an Deck aufgestapelte Mengen Stauhölzer von der vorangegangenen Reise mit full ship Baumwolle. Falls alle Stränge reißen sollten, das Holz mit geringer Kohle-Anreicherung nicht ganz ausreichen würde, hatten wir gegebenenfalls noch einen weiteren Trumpf in Händen, die in Archangelsk full ship eingenommene Massenladung von luftgetrockneten, ausgebleichten Knochen. Aber das Holzzeug, dessen längste Stücke wir mit Schwung an den Festmacherpollern zerbrachen oder einfach zersägten, langte gerade, um noch einigermaßen majestätisch und kraftprotzig trotz blitzblank leer gefegter Bunker im Schiffsleib in Port Louisburg an die Kohlenkippe zu gehen. Es war auch höchste Zeit damit, Petrus hatte nämlich inzwischen still und leise einen starken, ablandigen Wind wehen lassen, der uns möglicherweise letzten Endes noch zu einem Bergungsfall hätte werden lassen. Das viele Bretterholz mang den restlichen verbrannten schwarzen Diamanten gab der AUGUST LEONHARDT nebenbei gesagt, drum rum einen Duft, als führe da eine Großbäckerei durch die Gegend. Da sich eine Begebenheit wie die geschilderte selten ereignet, fand ich sie damals sehr interessant und erinnerungswert. Es gab an Bord in dieser Situation einer bedingten Notlage keinen einzigen Mann, der über die unbezahlte Mehrarbeit schimpfte oder irgendwie meuterte, abgesehen allerdings von den unzähligen saftigen Flüchen beim Brechen des resistenten Holzes. Mit welcher Begeisterung die Heizer vor den Feuern das ihnen zugeworfene Holz empfingen, weiß ich leider nicht zu berichten. Die erwähnte Knochenfracht in allen Laderäumen, auch das sei noch gesagt, ging nach New Orleans, wo das weißgraue Tiergebein von Gäulen und Rindern restlich in zermahlenem Zustand als Knochenfilter bei der Zuckerraffinerie verwendet werden sollte - zur gefälligen Beruhigung von Zweiflern: Menschenknochen als Rückstand einer seitens der sowjetischen GPU durchgeführten „Generalreinigung“ waren unter Garantie nicht dabei. Auf Rückreise USA - Murmansk geriet AUGUST LEONHARDT, wieder mit einer seltsamen Massenfracht, Kolophonium (Baumharz) in Fässern im Bauch im Nordatlantik in einen schweren Sturm. Erstmalig erlebte ich da, was dieses Seegebiet gegebenenfalls an Seegang zu bieten vermag. Die Wellenberge waren so unverschämt lang und hoch, dass unser ehrsamer „Pudel“, beigedreht (Bug in Richtung der ankommenden See) in diesem Hexenkessel treibend, seiner ganzen Länge nach entweder im tiefen Tal oder hoch oben auf dem Wellenberg herumritt. Etwa zwei Tage auf solcher Luftschaukel decken jeden Bedarf an Bewegung, die jemand für sein Wohlbefinden bedarf. Jan Maat gewöhnt sich normalerweise recht rasch an solche Schaukelei, wichtig dabei für Schiff und Besatzung war allein, das wild herumjumpende Gefährt nicht in Dwarslage (Querlage zu den Wellenbergen) kommen zu lassen, was unter Umständen zu Wassereinbrüchen oder aber zum Kentern der Arche hätte führen können. Auf das Ruder (Steuer) musste daher riesig aufgepasst, nötigenfalls die wellengerechte Schieflage durch mehr oder weniger Umdrehungen der Schiffsschraube ausbalanciert werden.