Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski

Frequenzwechsel


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hohen Fieber, es bestand demnach kein Anlass zu einer Verlagerung des Fiebernden in das nächst erreichbare Krankenhaus. In der Todesnacht muss dann wahrscheinlich unbemerkt eine Krise eingetreten sein, der nach ihm schauende Deckswächter fand in den Morgenstunden den Mann tot in seiner Koje mit schwarz verfärbten Adern im Gesicht und an den Händen. Die abergläubischen Cru-Neger führten die Häufung der Unglücksfälle auf der NEW BRIGHTON auf eine „Untat“ deren Kapitäns zurück. Dieser soll – nicht nachprüfbar – vor einigen Reisen eine schwarze Katze eines cruboys grundlos bzw. als absoluter Katzenfeind eigenhändig über Bord geworfen haben, weshalb nun auf seinem Schiff ein Fluch laste. Der Aberglauben der black men mit seiner irrlichtigen Urteilstrübung ließ im Übrigen auf dieser meiner Reise einen cruboy in der Silvesternacht zweimal den erst kurz vorher verstorbenen Steward auf dem Schiff als wandelnden Geist sehen. Sein gellender Angstschrei jagte darob alle das Neue Jahr Feiernden, auch mich, an Deck. Einem weißen Besatzungsmitglied hat sich der Verstorbene allerdings nicht gezeigt, so sehr wir Weißen auch auf den verschreckten Aufstand der Farbigen hin nach der angeblichen Astralgestalt des allzu früh Verblichenen fahndeten. Jedenfalls war bei Rückkehr nach Hamburg auch für mich „Sense“ mit diesem „Geisterschiff“, weniger des vermeintlichen Bannstrahls wegen, als aus dem Wunsch heraus, hinfort auf deutschen Schiffen mein Glück zu versuchen. Schließlich wollte ich ja einmal ein deutsches Patent erwerben und sollte eigentlich schon deswegen die erforderliche, noch fehlende Fahrtzeit für den Schulbesuch auch auf deutschen Schiffen zu sammeln versuchen. Außerdem – vielleicht sogar das Hauptmotiv des geplanten Wechsels – war die nun dreimal genossene „hafenfeindliche“ Westküste Afrikas mit viel Anlaufhäfen und trotzdem wenig Landgangsmöglichkeiten. Fremde Küsten lösen eben auch Neugier zum Schauen an Land aus. Meist wird man zwar vom Landgang in primitiven tropischen Ländern saftig enttäuscht, hat dann aber zumindest den Durst der Neugierde gelöscht und trägt irgendwie neues Wissen um die Vielfalt menschlichen Daseins auf dem Erdenrund mit sich heim. Etwas bleibt von allem Erschauten immer im Gedächtnis, mal mehr, mal weniger, je nach Interessenlage, und wie man zu erschauen vermag.

      Vor dem Mast unter deutscher Flagge – 1928

      Angesichts der immer katastrophaler werdenden Arbeitslosigkeit in der deutschen Heimat war guter Rat für einen Job zwar ziemlich teuer, aber fast schien man auch jetzt wieder nur auf mich gewartet zu haben, denn nach relativ nur kurzer Landliegezeit wurde mir von der deutschen Heuerstelle der Vereinigten Reeder an den Vorsetzen in Hamburg eine Leichtmatrosenstelle auf dem deutschen Dampfschiff „MARGOT“ vermittelt. Weshalb kein anderer unter den vielen möglichen Bewerbern auf die MARGOT aufsteigen wollte und bei Zustimmung nach Harlingen / Holland per fremdbezahlter Bahnreise fahren sollte, ist mir wie damals so mancher Zufall unerklärlich. Leute mit mehr Erfahrung als ich witterten vielleicht bei diesem, dem Namen nach sonst unbekannten Kahn einen Haken, irgendeinen Typ von „never come back“-Schiff, zumal dieser seltsame Zossen in Hamburg sozusagen anonym von einem Korrespondenz-Reeder gemanaged wurde. Sei es darum wie auch immer, ich fand zumindest den Namen MARGOT schön und klangvoll und setzte mich, mit frommen Wünschen der Ein-Mann-Reederei ausgerüstet, am Morgen des 31.03.1928 erwartungsvoll in den Zug Richtung Groningen / Nordholland. Ziemlich spät abends traf ich in Harlingen ein und machte mich allsogleich auf die Suche nach meinem neuen Kahn. MARGOT fand ich dann auch glücklich und noch gerade ohne Vergrößerungsglas. Der erste Eindruck von diesem Sampan war nicht ausgesprochen ermutigend, zumal die mit ca. 700 BRT vermessene Schiffsdame MARGOT - tatsächlicher Eigner war oder waren der oder die Inhaber des großen Hamburger Nobel-Porzellan-Geschäfts Waitz / Neuer Wall - rein äußerlich ein ziemlicher Sonderling unter den üblichen Meerungeheuern war. Während des 1. Weltkrieges hatte man dieses Schiff in England als „submarine-catcher“ gebaut und verwendet. Merkmale derzeit: gleiches Aussehen des Schiffes vorn und achtern, damit auf die Schnelle niemand, also der böse Feind, erkennen konnte, in welche Richtung der Bursche eigentlich fahre, ferner mittschiffs gleichförmig hochbordig für Aufstellung von Geschützen, deren Vorhandensein durch Klappen getarnt wurde. Diese Klappen fielen, wenn in der Nähe ein deutsches U-Boot ahnungslos auftauchte, um den vermeintlichen Handelsfahrer zu kapern, also ein Prisenkommando auf ihn an Bord zu setzen. Das still liegende aufgetauchte U-Boot war dann für den ebenfalls stilliegenden Fänger ein lohnendes und sicheres Ziel für seine freistehenden Geschütze. Etliche deutsche U-Boote sind jedenfalls von diesen laut Kriegsrecht verbotenen U-Boot-Fallen (verboten 1864 und späteres Verbot 1906 in Genfer Konvention, einer internationalen Übereinkunft zur Humanisierung der Kriegsführung) versenkt worden. Das hier erwähnte aber nur so nebenbei, es sollte nur eine Erklärung zum Typ „Submarine-Catcher“ sein. Ein weiteres Kuriosum für MARGOT war ferner, dass sie drei Masten von etwa gleicher Höhe - wohl auch noch von ihrer Kriegsaufgabe her - besaß. Kurzum, der neue deutsche Eigner hatte dieses Vehikel nach dem Krieg vom Engländer gekauft und es dann wohl möglichst billig und so weit wie nötig zum kleinen Frachter umbauen lassen. Ansonsten zeigte sich dieser Eimer als gutes Seeschiff mit einer relativ starken Maschinenanlage im verlumpten Leib und primitiven Mannschaftsunterkünften für ein Dutzend people. Sein Einsatz dürfte im Übrigen recht einträglich gewesen sein, MARGOT lief in englischer Charter jede Woche die Tour Harlingen – Hull - Harlingen ab, stets voll beladen, hin mit Stückgut und Lebensmitteln - Butter, Fleisch, Käse etc. – zurück mit Kohle bis zur Halskrause. Die Bordverpflegung war gut, was etwa daran fehlte, wurde großzügig aus der Hinfracht entnommen, besser gesagt geklaut, wir waren eben eine eingeschworene Mannschaft, die dann und wann auch mal zwei oder drei junge englische Weibsen - natürlich außer Tarif und an sich strikt verboten - für die Dauer einer Rundreise mitnahm. Entsprach solch „blinder Passagier“ den Erwartungen der Seeleute, so blieb er gar zwei Rundreisen an Bord, länger auf keinen Fall, wir hatten dann die „Damen“ satt. Es war schon was los auf diesem „Huker“, ich war jedenfalls anfänglich perplex, als ich, vom ersten abendlichen Hull-Landgang heimkehrend, in meiner Koje, darauf unvorbereitet, ein völlig betrunkenes Mädchen in tiefem Schlaf liegend vorfand. In Holland, wo die girls moralisch blitzsauber waren, hatten wir jungen Kerle unsere „Angebetete“, in England, wer es wollte, die käufliche, gegebenenfalls gefährliche und darum nicht anzubetende Liebe. Nach meinen damals spärlichen Vergleichsmöglichkeiten schien es in Hull von leichten Mädchen geradezu zu wimmeln, ein Teil von ihnen außerdem geschlechtskrank zu sein - drei Männer von uns steckten sich innerhalb kurzer Zeit an‚ das bedenken- und rücksichtslose Handeln dieses Typs Frauen bereicherte jedenfalls beträchtlich meinen dementsprechenden Erfahrungsschatz sowohl für den Augenblick, als auch für die Zukunft. Das an sich seitens Polizei und Hafenbehörden streng verbotene Anbordkommen leichter Mädchen erleichterte das Liegen von MARGOT in den zutrittfreien Stadtdocks von Hull, die Kontrolle durch einzelne Polizisten geschah selten, im Übrigen sah sie der Wachmann bei ihrem Anmarsch à cto deren Uniform „meilenweit“, ich muss es wissen, denn ich spielte oft den Warner als „Nachtwächter“. Alles in allem, so positiv meine Erfahrungen auf meinen gehabten englischen Schiffen gewesen waren, so negativ waren umgekehrt meine Eindrücke in verschiedener Hinsicht in England selber, vor allem in puncto Hygiene und Sauberkeit, Moral und für den Betrachter sichtbarer britischer Daseinsgestaltung. Die nähere Umgebung von Hull, das „flache Land“ bot wenig Anreiz zu anderer vorteilhafter Einschätzung. Natürlich sah ich damals als junger Kerl manches mit anderen Augen, als es heute geschähe, mit anderen Interessen als nur solchen für irgendwie billige Unterhaltung, Kinos und etwa erreichbare Mädchen. Für gewöhnlich kann ein junger Seemann im Ausland ohne einen Familienanschluss ein besseres Mädchen als ein „leichtes“ nur sehr schwer kennen lernen, eher schon, wenn er bereits ein Schiffsoffizier mit entsprechender Haltung und genügender Fremdsprachenkenntnis ist. In reichlich verkleinertem Maßstab versuchte ich das damals in Hull - Holland war darin viel problemloser als „Merry Old England“ - auf andere Art. Also steckte ich mir just wie meine lockeren, üblen Bordkameraden vorbereitete Zettelchen mit freundlich fixierten Bekanntschaftsangeboten darauf bei Landgängen in Hull in die Tasche, um selbige in Kaufhäusern bei getätigten nichtigen Einkäufen zusammen mit der geforderten Zahlsumme einer mir sympathisch erscheinenden Verkäuferin in die Hand zu drücken. Dieses Bekanntschaftsersuchen war derzeit in England gerade in Mode, und mitunter klappte sogar eine solche „geschäftliche“ Verabredung, meist war es Fehlanzeige, und das Mädchen reichte einem den Zettel, ohne ihn überhaupt gelesen zu haben, wieder zurück. Ich fand dieses Buhlen um die Gunst einer Schönen zumindest interessant