Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski

Frequenzwechsel


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zu meiner Bordzeit auf diesem AUGUST kann ich jedenfalls vermelden, dass ich während ihres Ablaufs viel gesehen und dazugelernt habe, für mich besonders wichtig darin war meine Ummusterung zum Matrosen, ich glaubte zumindest, meinem Endziel wieder ein ganzes Stück Weg damit näher gekommen zu sein. Dass ich mit meiner Abmusterung von AUGUST LEONHARDT (Hamburg, 9.02.1930) den unglückseligen Start in eine böse Zeit langer Arbeitslosigkeit tat, war mir anfänglich natürlich nicht bewusst, anders wäre ich diesem Schiff vermutlich noch eine weitere Reise lang treu geblieben. Wer konnte damals aus der Ferne und ohne aufklärende Unterrichtung durch Radio und Zeitung die Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Lage in der Heimat schon treffend beurteilen? Der auf dem Spielfeld der weltbewegenden Politik im Abseits stehende Seemann vermochte das bestimmt nicht, er hatte - zumal als junger Mensch eher für seine Zukunft optimistische Visionen übrig, als etwa ein vages Träumen vom persönlichen Sein oder Nichtsein.

      Ich machte also erstmals einen sicher wohl verdienten Urlaub und ließ derweil den lieben Herrgott einen guten Mann sein. Diesmal gefiel mir im Übrigen das kleine ostpreußische Angerburg besser, als zuvor beim ersten Kennenlernen des Städtchens. Wahrscheinlich war ich auch des inzwischen à cto beruflicher Erfolge gesteigerten Selbstbewusstseins wegen kontaktfreudiger als zuvor geworden, ich lernte jedenfalls in Bälde viele Altersgenossen beiderlei Geschlechts kennen, verliebte mich in eine Primanerin der dortigen höheren Schule „unsterblich“ und ließ mich willig als interessanten Weitwanderer bei alt und jung herumreichen. Das steigerte meinen persönlichen, an sich illusorischen Wert und verbannte fürs erste langsam aufkommende Zweifel an einer positiv geladenen Zukunft, denn letztere blieb angesichts des realen Zeitbildes zwangsläufig nicht aus. Die Weltwirtschaftskrise steuerte, für jeden sichtbar, mit Macht ihrem Höhepunkt zu, die Zahl der Arbeitslosen und geschäftlichen Konkurse wuchs und wuchs von Tag zu Tag üppiger denn je, und die Menschen in der Weimarer Republik zeigten sich mehr denn je uneinig in allen ihren Stämmen und Volksschichten und befangen in politischen Dogmen und Illusionen. Die von allem Anfang an beim Gros der Deutschen ungeliebte Republik, die ihren Bürgern irgendwie das Paradies auf Erden schaffen wollte, aber nur chaotische Zustände schuf, zerbrach an ihrer Schwäche und an der geringen Überzeugungskraft ihrer Thesen vom Bessermachenkönnen. Sie verlor zudem ihre Glaubwürdigkeit durch skrupellose Protektion ihrer Günstlinge mit rotem Schlips, Finanz- und Korruptionsskandale und andere undurchschaubare Manipulationen. Zweifellos gab es auch in den Führungsgremien der Weimarer Republik Männer von Ehre und ausgeprägter Redlichkeit, aber diesen fehlte wahrscheinlich entweder der genügend große Anhang von Getreuen oder die ausreichende Robustheit, sich durchzusetzen bzw. dem demokratischen Gedankengut Form und Inhalt zu geben. Die gehabte Institution Monarchie war noch längst nicht verdaut, deren negative Seiten schon, aber die positiven sahen in nostalgisch verklärtem Licht, und gerade diese hatten ja irgendwelche Irrlichter 1918 im November rücksichtslos „erdolcht“. Ergo fand die Dolchstoßlegende immer mehr Gläubige, deren Zahl in gleichem Maß parallel zu der der Arbeitslosen zunahm. Letztere wiederum der jungen, unfertigen Dame Republik anzulasten, war ungerecht, denn die Arbeitslosigkeit jener Jahre war weltweit vorhanden und keineswegs hausgemacht. Das aber sahen viele Menschen im deutschen Vaterland nicht oder wollten es nicht sehen. Ich gehörte nicht zu den Blinden, auch nicht zu den stillen Anbetern des monarchischen Zeitalters, war vielmehr der Ansicht, dass jedes Ding auf Erden seine guten und schlechten Seiten hat und es überall demnach auch gute und schlechte Menschen gibt.

      Als ich im April 1930 nach Hamburg zurückkehrte und mich bei der Heuerstelle der Vereinigten Reeder als Bewerber um eine Matrosenstelle meldete, erhielt ich als Nachsuchender eine hohe Wartenummer, die ein langes Pausieren bis zu meinem Wiedereinsatz in der Seefahrt voraussehen ließ. Gleichzeitig meldete ich mich - in meinem Leben zum ersten Mal - beim Arbeitsamt als Arbeitsloser und hatte nun die Anwartschaft, 2 Wochen lang im Höchstfall Stempelgeld zu erhalten. Daheim in Angerburg hatte ich einen Herrn kennen gelernt, dessen Schwester in Hamburg bei einem Kunstmaler-Ehepaar als Haustochter tätig war. Diese junge Dame suchte ich bei Gelegenheit in ihrem Domizil in Harvestehude auf, verstand mich mit dem netten, natürlichen Mädchen – etwas älter als ich - sozusagen auf Anhieb und wurde bei einem der nächsten Besuche ihrem Dienstherren Kunstmaler vorgestellt. Dieser Herr F. wiederum, ehemaliger Berufsoffizier, war mit Direktor Heilweg - oder so ähnlich sein Name - von HAPAG vom Krieg 1914/18 her bekannt und stellte mich eines Tages genanntem hochvermögendem Gentleman vor. Erfolg: zwei Tage später musterte ich per HAPAG-Heuerstelle am 21. Juli 1930 auf HAPAG-Dampfer „GRUNEWALD“ als Matrose an. Mir war der ganze Klimbim, der vielleicht in redlicher Absicht vom Mädchen Aenne initiiert war, nicht nach meinem Geschmack. Es widersprach meiner Auffassung, ein Protektionskind ohne entsprechende Vorleistung meinerseits zu sein, und diese meine abwertende Einschätzung wurde, wenn auch ohne mein Verschulden, bereits wenige Tage später schicksalhaft gerechtfertigt. Bei Arbeiten am Ladegeschirr des Schiffes nach Auslaufen Antwerpen und Absetzen des Schelde-Seelotsen fiel à cto Unvorsichtigkeit eines Matrosen ein größerer Schäkel aus Salinghöhe an Deck herunter, prallte beim Aufschlag unten federnd ab und traf mich am linken Bein, oberhalb des äußeren Fußknöchels. Das bewirkte nach Feststellung des Bordarztes einen glatten Knochen-Anbruch bzw. ein Aus für meine Reise nach Karibik und Ostküste Mittelamerikas. Ich wurde nach tatenloser Atlantik-Überquerung im ersten Hafen drüben, Port of Spain / Trinidad, als leichter Invalide ins britische Seemannsheim - oder was es sonst gewesen sein mag - gesteckt und schließlich als kranker Seemann im Hospital des HAPAG-Passagier-Motorschiffes „MAGDALENA“ nach Hamburg heimbefördert. In Hamburg hinkte ich noch mit Gipsverband und auf Pantoffeln zwei oder drei Wochen lang durch die Straßen und bereicherte hernach erneut mit meiner wenig geschätzten Gegenwart das große Heer der Arbeitslosen. Aenne oder den Kunstmaler weiter „heimzusuchen“, verbot mir mein sicher falscher Stolz, ich hatte wegen der in meinen Augen mich beschämenden HAPAG-Episode keine gesteigerte Lust dazu, bezweifelte außerdem, dass die „kleine“ Aenne noch bei Familie F. - sie fühlte sich dort nicht besonders wohl - weilte. Eine gescheiterte Verlobung hatte das Mädchen in Trotz-Reaktion die Haustochterstelle in Hamburg annehmen lassen. Mir war zum anderen am Fahren bei „HAPAGs“ nach einigen Erkenntnissen während meiner kurzen Stippvisite auf der GRUNEWALD nicht viel gelegen. Die HAPAG schien mir kein rechter Rahmen für ein Vorwärtskommen meiner Person zu sein, „viel Geschrei und wenig Asche“ dort nach meiner damaligen unmaßgeblichen Ansicht. Wovon ich Gegner war? Ein gut gepflegter Protektionismus schien derzeit wohl bei allen großen deutschen Reedereien gang und gäbe zu sein, und er ist bei Notwendigkeit einer gezielten Elite-Auswahl von Arbeitskräften sogar eine verständliche und durchaus zu bejahende Maßnahme des Arbeitgebers. Aber gegen den unmotivierten und unqualifizierten Gefälligkeits-Protektionismus (à la Ämter-Patronage und Parteibuch-Verfilzung im politischen Wechselspiel) opponiere ich entschieden und hätte das im geschilderten eigenen Fall - so unbedeutend er auch gewesen sein mag - von allem Beginn an tun müssen. Es schafft nur Abhängigkeit von anderen, wenn jemand zu einfach in den Sattel gehoben wird. Jedenfalls war ich um eine Erfahrung reicher geworden. Was sich zu diesem Zeitpunkt zur Hauptsache wegen der immer misslicher gewordenen Wirtschafts- und Beschäftigungslage in Deutschland tat, das zeigten vielleicht am deutlichsten die in den Großstädten immer öfter auflodernden Straßenschlachten zwischen den Kampfverbänden von Nationalsozialisten und Kommunisten, deren Opfer hinterher zu wahren Helden stilisiert und als unabdingbarer Tribut im Ringen um des Reiches Freiheit geehrt wurden. Mit dem Begriff „Freiheit“ ist es ein eigen Ding, er ist so unendlich dehnbar, dass er in keine feste Form einzuordnen ist, zum anderen von niemand so oft in den Mund genommen wird, wie gerade von „Politikern“ und solchen, die sich dafür halten, aber, recht gesehen bei vielen von ihnen, sture Wirrköpfe sind. Es gibt auf unserem mehr oder weniger ehrbaren Planeten leider keine Vollkommenheit, zumindest nach menschlichem Ermessen nicht, es sei denn, wir billigen sie dem Walten der Natur zu, ergo ist auch alle Politik mit Freiheitsidealen fehlerhaft und „mangelt des Ruhms“. Wer sich im Übrigen nach meiner Meinung irgendwelchen Ideen verschreibt, der ist also darum schon unfrei, weil er sich dieser seiner Idee unterwirft, diese folglich Macht über ihn hat.

      Im November 1930 bot sich mir unerwartet noch einmal eine Gelegenheit zu beruflicher Tätigkeit. Eines Abends zu später Stunde erschien Herr Suhr, der damalige Heuerbaas der Hamburger Bergungs-AG in meiner Privatbleibe und erfragte meine etwaige Bereitschaft zum sofortigen Einstieg auf Hebeschiff „WILLE“. Das Sofort ergab sich wegen eines Seeunfalls vor der Ostemündung (Unterelbe), wo aus mir unbekannten