Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski

Frequenzwechsel


Скачать книгу

der deutschen Republik ein möglichst breites schwarz-rot-goldenes Band - analog den getragenen Couleurbändern der Studentenverbindungen - auf der schmalen Brust prangen zu lassen. Wie die Erwachsenen dies aufnahmen, weiß ich nicht, gewiss mit einiger Skepsis oder auch stiller Ablehnung, aber ihr Kaiser kehrte darum trotzdem nicht wieder nach Deutschland zurück, um die ihrer Meinung nach verfahrenen Verhältnisse ins Lot zu bringen oder die erlittene Niederlage nachträglich in einen Sieg zu verwandeln. Wenn ich nun in der Folge den während meiner Jugendzeit vielfarbigen politischen Entwicklungen und Geschehnissen relativ viel Betrachtung und Raum widme, so geschieht es darum, weil die bewusst durchlebten jungen Jahre mit ihren vielschichtigen Einflüssen für die charakterliche Formung eines Heranwachsenden eine überaus wichtige und entscheidende Epoche in seinem Leben darstellen. Der politische Umbruch machte sich also für uns Schüler im eher konservativ gebliebenen Ostpreußen während der ersten Jahre der Weimarer Republik - in Weimar 1919 erste Regierungsbildung und die Verfassungsgebung der demokratischen Republik Deutschland - tatsächlich nur irgendwie in Randzeilen bemerkbar, eines wurde aber für uns recht bald ersichtlich: Wer in Zukunft einmal im Leben weiterkommen wollte, der musste in der „Penne“ genau so büffeln und pauken oder sogar noch intensiver „strebend sich bemühen“, wie im ehemals kaiserlichen Reich. Eines wurde allerdings allmählich besser: die Ernährung. Da ich an sich von allem Anfang an ein leichtgewichtiges, schwächliches und vielleicht auch sehr sensibles Kind gewesen war, bedurfte es nach der Hungerkur im Krieg Jahre, bis ein leidlich stabiler Junge aus mir wurde. Wie bereits erwähnt, an Lerneifer fehlte es bei mir nicht, und ich zählte auch nach der inzwischen erfolgten Verabschiedung der Klassenrangordnung weiterhin zum ersten Garnitur-Ensemble meiner Klasse, aber die Antipathie gegen die Schule wuchs von Stufe zu Stufe mehr an. Die Gründe dafür suche ich noch heute. Meine Vorliebe für die so genannten germanistischen Fächer wurde auf Untertertia noch durch das neu hinzugekommene Latein bereichert. Dem Genre meiner Lieblingsfächer nach ließe sich möglicherweise folgern, dass vielleicht das Realgymnasium für mich nicht die richtige Schulform gewesen war, mir also der Unterrichtsinhalt eines humanistischen Gymnasiums mehr zugesagt hätte. Zum anderen könnten gut und gerne die gestrengen Erziehungsmethoden, mit denen ich mich in Elternhaus und Schule konfrontiert glaubte, meinen stillen Widerstand und Widerspruch gegen diese meiner Meinung nach unmotivierte Unterdrückung ausgelöst haben. Folglich sollte dafür, wenn schon nicht der Vater, so zumindest die Schule mit wachsender Abneigung meinerseits gestraft werden. Erst in den beiden letzten Schuljahren war ich zu einer Art von Kompromissbereitschaft fähig. Heute im Rückblick kommt mir zum anderen zum rechten Bewusstsein, dass mein damaliges Weltbild, das sich Jugendliche im allgemeinen neben einer Menge Phantasie aus erworbenen eigenen Realerkenntnissen zu machen pflegen, anderes war, als das meiner Schulkameraden. Die Kriegs- und Nachkriegs-Wehen waren eben doch nicht so spurlos an den Kindern damals vorübergegangen. Auch sie versuchten sich wie ihre Eltern und alle Erwachsenen nach Abklingen der ersten „Begeisterung“, mehr unbewusst als bewusst, mit der Demokratisierung im enger und kleiner gewordenen Vaterland und den im Friedensvertrag von den Alliierten auferlegten Einschränkungen und den von den meisten Deutschen als ungerecht empfundenen Reparationen und Repressalien auseinanderzusetzen. Mindestens die Hälfte aller Deutschen hatte von vornherein schon der durch die Revolution erfolgten staatlichen Umwandlung ablehnend gegenübergestanden. Sie ließen es die nach mancherlei Geburtswehen und Schwierigkeiten - etliche dilettantische Putschversuche Rechter, kommunistische Aufruhraktionen, Generalstreiks usw. - ehrlich um die deutsche Selbstbehauptung und internationale Anerkennung bemühte Weimarer Republik (bzw. deren politisch Verantwortliche) zeit ihres Bestandes mit Lieblosigkeit ihr gegenüber entgelten. Je nach diesbezüglicher Einstellung im Elternhaus und in der Lehrerschaft und gemäß etwaiger eigener Motivation empfanden auch wir Schuljugend die neue Zeit, waren ihr verständlicher Weise eher und mehr verhaftet, als die bedächtigeren Alten und Älteren und schufen uns, eben soweit wir es verstanden, ein eigenes modernes oder neues Weltbild, zum Teil mit starker Betonung und Einschluss persönlicher Ambitionen. Wenn ich selber derzeit in puncto Historie und Geographie bei beiderseitigem Zusammenspiel auch eine Menge unklarer, verschwommener Begriffe gehabt haben mag, so empfand ich zumindest die laut Friedensvertrag erfolgte Isolierung Ostpreußens vom Reich, den polnischen Korridor also, als widersinnigen Trennfaktor, den Verlust sämtlichen ehemaligen Kolonialbesitzes in Afrika, Fernost und Südsee und den Schwund der früheren deutschen Seegeltung geradezu als persönlichen Schmerz. Meine Welt hatte plötzlich eng gezogene, unüberschreitbare Grenzen bekommen, nicht nur räumlich gesehen, sondern auch hinsichtlich meines Denkens. Es war zum anderen schwer, unter den eigenen Kameraden in der Schule Gesprächspartner mit in jeder Beziehung gleich lautender Problematik in ihrer Gedankenwelt zu finden. Die interessierten sich zumindest kaum für das Maritime, für das Abenteuer in der Ferne, sie waren als größtenteils Kinder vom Land innerlich weitaus mehr und enger als ich mit der heimatlichen Scholle und deren „Mikrokosmos“ verbunden. Meine Spaziergänge am Memelufer und durch die Wiesen-Niederung nördlich des Stromes - letztere den weiten Marschländereien Schleswig-Holsteins vergleichbar - fanden vielleicht ein- oder zweimal einen Begleiter, ich erwanderte sie meistens ganz allein. Umgekehrt waren oder bedeuteten mir ihre Interessengebiete, Sport und Sportplätze, nicht sonderlich viel, aber vielleicht gab es eben darum zahlreiche großartige Turner und Leichtathleten unter meinen Mitschülern. Gemeinsam hatten wir allerdings fast alle ein gesteigertes Interesse am politischen Tagesgeschehen, auch wenn dabei nicht alle in die gleiche Richtung zogen. Die Schule mit ihren Belangen einte uns selbstverständlich allesamt - schließlich waren ja die Lehrer unsere eigentlichen Kontrahenten, und die Kameradschaft untereinander, zumindest im schulischen Bereich, war trotz unterschiedlicher Neigungen gut. Mit dem Erreichen jeder höheren Klasse rutschte ich im übrigen à cto dazugekommener neuer Fächer langsam aber stetig in die Mittelmäßigkeit ab. Bei anderen ehemals guten Mitschülern war es ähnlich, sie wurden genau wie ich in ihren Leistungen von Spätentwicklern und Strebern überholt. Allround-Genies gab es unter uns nicht, gesteigerte Anforderungen und private Ambitionen forderten eben auch derzeit ihre Opfer. Ganz allmählich und mehr oder weniger gerieten nach einigen Nachkriegsjahren meine Jahrgänge außerdem in den anfänglich sanften und noch wenig bemerkbaren Strudel der so genannten nationalen Selbstbesinnung des Volkes. Vorlage dafür war einerseits der zu plötzliche und abrupte Übergang von der Monarchie zur Republik, andererseits eine Revolution, die für die breite Allgemeinheit der deutschen Bevölkerung allein als reine proletarische Reaktion auf angeblich gehabte Ausbeutung und Knechtschaft der Arbeitermassen und den seitens der Monarchie propagierten Standesdünkel und stark legitimierten Hurra-Patriotismus sichtbar gewesen war. Dazu kam, dass sich die Weimarer Republik - bzw. deren Protagonisten – wegen ihrer an die Partei-Maxime eng gebundenen Dogmen zweifellos schlecht verkaufen ließ, zumindest verstand sie das nicht von allem Anfang an. In ihren Anhängerreihen fehlten einfach genügend geniale Köpfe und eine umfangmäßig starke Unterstützung durch breite Kreise der Intellektuellen. Einer gesunden, kontinuierlichen Selbsterholung der jungen Republik standen im übrigen die im Ansatz zarte Wirtschaftsbelebung zurückwerfende Streiks, weltweiter Boykott deutscher Exporte, eine einsetzende Inflation, die Rheinland-Besetzung durch französische Truppen wegen unmöglicher Ableistung der von den Alliierten in Versailles geforderten Reparationsleistungen und dort aufkommende separatistische Tendenzen entgegen. Die deutsche Regierung - das sei zur Ehre der damaligen sozialdemokratischen Machthaber im Reich gesagt - bäumte sich energisch gegen speziell französische Rachsucht und Willkür auf, trotzdem waren derlei Vorgänge für den wieder aufwachenden alten deutschen Nationalismus und seine Vertreter Wasser auf ihre Mühlen. Geschehnisse geschilderter Art waren nur dazu angetan, die Front der Republikgegner zu stärken und ihren Thesen vom den Kriegsausgang entscheidenden „roten Dolchstoß“ und von der neu-deutschen Leichtgläubigkeit an das von Amerikas Präsident Wilson aufgestellte 14-Punkte-Friedensprogramm neue Nahrung zu geben. Sicher war nicht alles falsch, was die Nationalisten oder Rechten sagten, aber auch durchaus nicht alles richtig, es klang nur in vieler Ohren gut und zur eigenen Rechtfertigung erwünscht. Für die politische und wirtschaftliche Existenz meiner Heimatprovinz Ostpreußen waren im Übrigen bestimmt erschwerende Fakten das Losgelöstsein vom übrigen Reich, die Abhängigkeit von den Launen der Polen á cto Korridor und die immer zweifelhaft gewesene Haltung der Russen, deren Sowjetunion wahrscheinlich nicht nur für den Frieden gewaltig aufrüstete. Kurzum, es erfolgten die ersten Ansätze und Atemzüge des später so verhängnisvoll werdenden „deutschen Erwachens“ nun auch in Ostpreußen, da allerdings später, als im Reich selber und in