HaMuJu

Paulo wird Studienrat und reist (2)


Скачать книгу

einem Fahrrad gesehen.

      Gabi war manchmal wie versteinert, ich hatte nie richtig zu ihr durchgeblickt. Sie unterrichtete nur Biologie und war aktiv in der GEW, Mitglieder in der GEW waren wir alle.

      Julia war die Ex-Frau von Jürgen und die Freundin von Walter. Julia war sehr nett, ein bisschen füllig und konnte sehr gut kochen. Wir hatten bei ihr die erlesensten Dinge gegessen.

      Walter kam aus Brachbach, er war also Siegerländer. Walter war ein echter „Kalle“, wie man im Siegerland so sagte. Er wohnte zusammen mit Julia in Mülheim.

      Joach war seit einem Jahr an der Schule. Er gab Französisch und Sport. Er war mit Bandu verheiratet, sie ließen sich aber kurze Zeit später scheiden. Joach streckte seine Fühler überall hin aus. Er war ganz in Ordnung. Ich machte mit ihm in den Achtzigern eine Fahrradtour nach Aix-en-Provence.

      Georg war ein Kölner Urgewächs und machte auch keinen Hehl daraus.

      Wir kannten inzwischen viele neue Leute.

      Im Jahre 1979 feierten wir in unserer schönen Wohnung eine große Fete, zu der sogar mein Bruder aus Holland anreiste. Jede Menge Bekannte kamen aus Siegen. Bis heute ist das warme Bier überliefert. Ich hatte keine Möglichkeit, das Bier zu kühlen. So stellten wir die Getränke einfach auf den Speicher nebenan. Der war im Sommer natürlich schön warm, entsprechend warm war das Bier. Dennoch war die Fete klasse. Nachts waren wir an der Niers und waren mit nacktem Hintern im Wasser. Ich musste meinem Bruder eine neue Hose von mir geben. Ein anderes mal waren wir mit Stefans VW-Bus in Holland. Als wir an der Grenze unsere Ausweise zeigen sollten, konnte der Siegener Klaus nur seinen Führerschein vorweisen, er kam aber trotzdem rüber.

      Unmittelbar hinter der Grenze gab es eine Heidelandschaft mit richtigen Sanddünen. Das war toll da. Wir fletzten uns in den Sand und tranken Bier.

      In unregelmäßigen Abständen hatte ich mit Georg und dem „Langen“ in Hülm, einem Stadtteil von Goch, Fußball gespielt. Der Platz glich mehr einem Acker als einem Fußballplatz, prompt hatte ich mir den Knöchel verstaucht. Das Fußballspielen war sehr anstrengend, es schlauchte und erforderte ziemliche Kondition. Auch in Rheinberg hatten wir ab und zu gegen Schüler gespielt, da machten dann Walter, Jürgen, Georg und Joach mit.

      Das Referendariat war die notwendige Zwischenstufe für den Staatsdienst. Die organisatorische Struktur und die hierarchischen Ausprägungen waren katastrophal. Aber so war der Staatsdienst eben, man hätte ja nicht antreten müssen! Im Seminar wurde man sofort Mitglied der DeBeKa. Da gab es nicht soviel zu überlegen. Es wurden Einführungsveranstaltungen abgehalten zu Themen wie Trennungsgeld, Besoldungsgruppen, Urlaubsregelung, Fahrtkostenerstattung. Diese Veranstaltungen waren naturgemäß sehr trocken und man ließ sie widerwillig über sich ergehen. In der Schule gab es eine einführende Hospitationsphase, das hieß, man saß hinten in der Klasse und beobachtete den Unterricht. Das war für den unterrichtenden Lehrer nicht gerade sehr angenehm. Nach und nach entwickelte sich aber ein freundschaftliches Verhältnis zu den Lehrern, und wir gingen nach der Schule oft ins „Cafe Rose“.

      Als man dann selbst vor einer Klasse stand, war das schon etwas ganz anderes. Man hatte anfangs eine große Angst, nicht so sehr vor den Schülern, vielmehr Versagensangst. Eine Unterrichtsstunde dauerte fünfundvierzig Minuten, und man saß manchmal Tage an ihrer Vorbereitung. Als käme es darauf an! Das wichtigste war es doch, den Schülern etwas beizubringen. Es konnten Dinge den Unterricht beeinflussen, die sich situativ ergaben, die nie in einem Unterrichtsentwurf stehen könnten. Unwägbarkeiten eben, Versagen technischer Geräte zum Beispiel. Es konnte ja die Birne im Overheadprojektor kaputtgehen! Auf diesen Einwand hin bekam ich einmal zu hören, dass man für solche Fälle immer eine Reservebirne bei sich zu tragen hätte! Eigentlich musste ein Unterrichtsentwurf eine solche Eventualität berücksichtigen und einen alternativen Stundenverlauf vorsehen. Missratene Unterrichtsstunden, sei es nun, dass das Stundenziel nicht erreicht wurde, dass das Tafelbild nicht gut war, dass das Bearbeitungsmaterial nicht bewältigt werden konnte etc., waren immer ein Zeichen von nicht gut vorbereitetem Unterricht. Selbst im Nachhinein denke ich, dass die Unterrichtsplanung durchaus Sinn macht. Sie ist ja nichts anderes als eine Reflexion aller den Unterricht beeinflussenden Faktoren. Ich muss mir vor der Durchführung einer Unterrichtsstunde selbstverständlich im Klaren darüber sein, was konkret diese Stunde erreichen soll, das heißt, ich muss mir überlegen, wem will ich etwas vermitteln, was ist der fachliche Hintergrund des Themas, warum ist dieses Thema für die Schüler wichtig, wohin soll der Unterricht führen, wie gehe ich vor, und warum wähle ich diese Schritte?

      Sofort wird klar, dass nicht jede Unterrichtsstunde so geplant werden kann, besonders nicht in der späteren Praxis mit vierundzwanzig Wochenstunden. Es spielt sich da aber eine Routine ein, was nicht heißen soll, dass man dann die alten Schienen langfährt, sondern dass sich eine Sicherheit beim Lehrenden im Umgang mit Schülern herausbildet, dass man quasi automatisch seinem Unterricht eine Motivationsphase vorausstellt und Interesse am Unterricht weckt. Dass man Methodenwechsel betreibt, dass man die Schüler auch fordert.

      Das sind Dinge, die sich erst in der eigenen Unterrichtspraxis ergeben. Die Routine gibt einem Festigkeit und Stabilität. Es gibt dann kein Ereignis mehr, das eine Unterrichtsstunde scheitern lassen kann. Selbst manifest opponierende Schüler können abgefangen und zumindest ruhig gestellt, notfalls vor die Tür verwiesen werden. Der Prozess, innerhalb dessen man sich eine solche Routine zu eigen machen sollten, war auf zwei Jahre angelegt. Höhepunkte der Referendarausbildung waren die Lehrproben. Das hieß, dass einen der Fachleiter im Unterricht besuchte und nach einem Unterrichtsgespräch bewertete. Von solchen Lehrproben musste ich in jedem Fach acht absolvieren. Meine Güte, wie war man da nervös, wie hatten die Leute im Vorfeld solcher Lehrproben gelitten! Man musste jeweils einen kompletten Unterrichtsentwurf abgeben, der natürlich im Unterrichtsgespräch auseinandergenommen wurde. Man hatte ja den konkret gelaufenen Unterricht vor Augen und konnte den wunderbar mit dem Entwurf vergleichen, Abweichungen ausfindig machen, sehen, wo Ziele nicht „gegenlesbar“ waren.

      „An dieser Stelle hätten sie anders verfahren müssen!“, „Die Motivationsphase war nicht stimmig!“, „Sie hätten in der Schlussphase den Hausaufgaben mehr Raum geben müssen!“, „Die Ergebnissicherung war so nicht fest genug!“, solche oder ähnlich Statements gab es dann zu hören. Wie hasste ich es, so auf dem Präsentierteller serviert zu werden!

      Die theoretischen Grundbestandteile der Unterrichtsstunden wurden in den Fachseminaren vertieft. Weil eben alles theoretisch erörtert wurde, gab es da oft ein heilloses Geschwafel. Man fuhr dann mit einem Groll im Bauch wieder nach Hause.

      Besonders wurde natürlich nach Unterrichtsbesuchen auf den Fachseminarleiter geflucht. In der Regel ließ er kaum eine gutes Haar an den Unterrichtsstunden.

      Die Referendarzeit war insgesamt eine harte Kost. Man bekam aber ein für damalige Verhältnisse ganz annehmbares Gehalt und war insofern besser gestellt, als als Student.

      Das Referendariat wurde damals von allen mir bekannten Referendaren massiv kritisiert. Man stand als Referendar zwischen allen Fronten und durchlebte emotionale Ausahmesituationen. Das Schlimmste aber war die Behandlung nach Gutsherrenart.

      Die Fachleiter waren keine sonderlich geschulten Lehrer, man wurde zum Fachleiter berufen.

      Gleichwohl waren sie in dem Hierarchiesystem mit denkbar großer Machtfülle ausgestattet, die sie praktisch unkontrolliert ausüben konnten. Insofern ergab sich ein großer Widerspruch zwischen der Ausbildungssituation und den zu vermittelnden Unterrichtsinhalten. Es kam vor, dass Hauptseminarleiter den Unterricht ohne auch nur den leisesten Schimmer von der Materie besuchten. Sie waren in ihrer Selbstherrlichkeit unangreifbar. Ich denke, dass da eine Menge Reformbedarf in der Referendarausbildung besteht.

      Das Staatsexamen war eine ganz besondere Prüfung: man hielt zwei Unterrichtsstunden vor einem Prüfungskollegium aus einem leitenden Regierungsschuldirektor, den Fachseminarleitern und den Fachlehrern. Die Nervosität war unbeschreiblich. Ich hatte niemals im Leben wieder so einen Druck verspürt wie beim zweiten Staatsexamen. Es schloss sich ein circa einstündiges Kolloquim an.

      Ich bestand die Prüfung und fühlte einen riesigen Felsbrocken vom Herzen fallen. Es machte sich eine nie gefühlte Erleichterung