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Paulo wird Studienrat und reist (2)


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in der Endphase der Weimarer Republik“). Dazu kamen natürlich noch zwei Kolloquien von jeweils fünfundvierzig Minuten. Ich besuchte kaum noch Veranstaltungen an der Hochschule, alles war auf das Examen ausgerichtet. Meine Semesterwochenstunden hatte ich zusammen. Im Studienbuch standen Seminare und Vorlesungen aus allen möglichen Bereichen. Ich rief gelegentlich die Dozenten an, um letzte Fragen für die Kolloquien zu klären. In Geschichte kamen die Themen „Didaktik der Geschichte bei Annette Kuhn“ und „Römer und Germanen“ und in Sozialwissenschaften „Soziologie der Familie“ und „Demokratietheorien“ dran. In Geschichte bestand ich mit Bravour, in Sozialwissenschaften nicht so gut. Jedenfalls hatte ich im Mai alles hinter mir.

      Die Ehemaligen aus der Wohngemeinschaft wohnten über ganz Siegen verteilt. Uwe wohnte mit Familie in der Nordstraße, Alice wohnte mit den Kindern und Ulli in der Sandstraße, Lutz, Dieter und Henni irgendwo. Für mich fing mit dem neuen Schuljahr ein neuer Lebensabschnitt an, ich musste ein Referendariat absolvieren.

      Dazu bewarb man sich beim Regierungspräsidenten in Düsseldorf. Ich bekam dann irgendwann Bescheid und musste nach Kleve zum Studienseminar für Gymnasien. Kleve am Niederrhein war ein Ort, an dem ich in meinem ganzen Leben bis dahin noch nicht gewesen war. Man kam auch sehr schlecht dahin. Die Autobahn 57 gab es erst in Teilstücken. Vom Studienseminar Kleve aus wurden verschiedene Gymnasien in der Umgebung betreut. Dazu gehörte natürlich Kleve selbst, Emmerich, Goch, Rees-Haldern, Kalkar, Kevelaer, Geldern und Rheinberg. Tina und ich wollten zusammenziehen und suchten schon mal eine Wohnung in Goch. Wir fanden eine in der Bahnhofstraße über einer Pizzeria. Die Wohnung gehörte einem Tierarzt aus Gelsenkirchen, der mit uns sofort einen Mietvertrag abschloss. Die Wohnung hatte Dachschrägen, war aber mit hundert Quadratmetern recht groß. Ich hatte eine Zeit lang allein in der Wohnung gelebt. Tina kam im September nach, sie war MTA und hatte eine Stelle in Wesel angenommen. Ich musste zum Amplonius-Gymnasium nach Rheinberg. Wir hatten beide ungefähr achtunddreißig Kilometer zu fahren. Das war schon allerhand!

      Ich hatte mir einen gebrauchten „Renault 12 TS“ gekauft, der hatte fünfzigtausend Kilometer gelaufen und kostete zweitausendfünfhundert DM. Tina hatte einen „Renault 4 TL“. Die Autos taten beide lange ihren Dienst. Im schlimmen Winter 1978/79 legte Tina ihren R 4 aufs Dach. Sie war in einer Schneewehe weggerutscht. Der Wagen hatte eine kleine Beule auf dem Dach, Tina war nichts passiert, ihr steckte allerdings ganz schön der Schreck in den Gliedern. Als ich mit meinem Wagen bei Ulli und Alice zu Besuch in Siegen war, bog ich oberhalb des Marienkrankenhauses in eine steile Kopfsteinpflasterstraße ein und wollte sie hinunterfahren. Leider war sie völlig vereist, so dass das Auto zu rutschen anfing, und ich als Fahrer überhaupt keinen Einfluss mehr auf das Geschehen hatte, weder Kuppeln, noch Bremsen oder Lenken hatten eine spürbare Wirkung. Der Wagen rutschte immer schneller werdend auf einen Opel Rekord, der sich mit eingeschlagenen Rädern am Bordstein hielt. Ich war eigentlich froh, zum Stehen gekommen zu sein, wer weiß, wo ich hingerutscht wäre, beim Anblick der Beulen aber, die entstanden waren, wurde mir doch ganz anders. Ich brauchte einen neuen Kotflügel, eine neue Haube und einen neuen Reflektor. Allein der Reflektor kostete damals hundertachtzig DM. Der Schaden am Opel Rekord wurde von meiner Haftpflichtversicherung beglichen. Das alles passierte kurz vor Weihnachten. Ich reparierte meinen Schaden so gut es ging selbst. Ich feierte Heiligabend bei Alice, Ulli und den Kindern. Legendär ist heute noch, dass Ulli und ich als Indianer verkleidet versuchten, mit Gummipfeilen aus Blasrohren Markus einen Apfel vom Kopf zu schießen. Markus stand da in Unterhosen. Ließ sich der Kuckuck aus der Wanduhr blicken, bekam auch er einen Pfeil ab. Schließlich stellten wir die Uhr auf kurz vor zwölf und lauerten auf den Kuckuck. Tina feierte in Dillenburg mit ihrer Familie, so gut waren die Beziehungen noch nicht, dass ich da hätte mitfeiern können.

      Auf der Rückfahrt nach Goch lag dermaßen viel Schnee auf der Autobahn, dass wir nur im Schritttempo fahren konnten. Wir brauchten vier und eine halbe Stunde!

      Goch Referendariat

      Irgendwann kamen Tinas Eltern mit Oma Lilli und Till zu Besuch. Sie schliefen alle im Hotel. Wir machten einen langen Spaziergang und gingen abends essen. Goch war eine angenehme kleine Stadt am Niederrhein. Die Hauptgeschäftsstraße war die Voßstraße. An deren Anfang lag die „Buchhandlung Fingerhut“, wo ich immer im modernen Antiquariat rumsuchte und mir billige Bücher zulegte. Frau Fingerhut war sehr belesen und versiert. Die einschlägigen Geschäfte lagen alle auf der Voßstraße, und an deren Ende lag „Haus Huck“, ein gemütliches Restaurant mit bürgerlicher Küche. Bog man dort ab in die Bahnhofstraße, kam man durch das „Steintor“, dem Wahrzeichen Gochs. Hinter unserer Pizzeria zweigte von der Bahnhofstraße die Feldstraße ab, wo es ein Kino gab. Ein Stückchen weiter Richtung Stadtmitte lag Gochs zweites Kino. Am Ende der Feldstraße wohnten drei Referendarskollegen, zweimal Michael und Andrea. Michael I und Andrea waren verheiratet. Sie waren am Gymnasium Goch und in Kevelaer untergebracht. So weit wie ich hatte es niemand.

      Der Gocher Bahnhof existierte bei „Faller-Modellbau“ als Original Nachbildung.

      Wir mussten einmal pro Woche nach Kleve zur Hauptseminarsitzung, sonst fuhr man da kaum mal hin. Das Seminar lag in Kleve-Kellen. An Kleve war vielleicht die „Schwanenburg“ ganz interessant, ansonsten war dort nicht viel los. Das galt aber auch für Goch. Man musste schon was losmachen! Wir lernten während der Referendarzeit jede Menge Leute kennen. Am Gymnasium in Rheinberg Gabi, Jürgen, Walter, Julia, Joach, Georg u.a. Mit denen traf man sich auch privat, zum Teil bis heute. Als Referendarskollegen kamen außer den Gocher Bekannten gar nicht so viele in Betracht. Die Gocher hatten in der Feldstraße über der landwirtschaftlichen Genossenschaft eine Zweihundert-Quadratmeter-Wohnung gemietet. Da gab es sogar einen Tischtennisraum. Wir hatten dort mal eine große Fete gefeiert. Die beiden Michaels und Andrea waren waschechte Kölner. Michael I war groß und wurde „der Lange“ genannt. Er war ein ganz lustiger Typ, Kölner eben. Seine Frau Andrea machte auf emanzipiert, klopfte Sprüche, war aber auch ganz umgänglich. Mit ihr hatte ich das Fachseminar Geschichte in Xanten. Michael II war ein sehr ruhiger kölnuntypischer Pfeifenraucher, der seine Unterrichtsvorbereitungen beim Hören von WDR 3 schrieb. Er wurde „Hüppeler“ genannt, ich weiß nicht waum. Andrea hatte einen alten „Käfer“. Wir wechselten uns beim Fahren zum Fachseminar ab, „Hüppeler“ und ich hatten das Fachseminar Sozialwissenschaften zusammen, auch in Xanten. Durch Goch floss die Niers, ein klarer, langsam dahinströmender Fluss, in dem ich nie einen Fisch sah. Es hieß, das Wasser wäre nicht von guter Qualität, weil es Einleitungen aus der Landwirtschaft gab. Das Ausflugslokal „Jan an der Fähr“ lag an der Niers. Dort gab es eine kleine Personenfähre mit Handbetrieb: man kurbelte sich an Drahtseilen entlang über den Fluss. „Jan an de Fähr“ wurde schon damals von Bussen angesteuert, in denen zum Beispiel Kegelklubs saßen, die sich einen feuchtfröhlichen Nachmittag machen wollten. Richtung Kleve führte die B 9. Man kam zuerst durch Bedburg-Hau mit seinem großen Landeskrankenhaus. Dann schloss sich das riesige Gebiet des Reichswaldes an. Der Reichswald war künstlich angelegt und von einem schachbrettartigen Wegenetz durchzogen, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde im Reichswald noch heftig gekämpft. Andere Gocher Bekannte waren Ulla, Karl-Heinz, Hilla und Fritz, Ria, Maria. Das waren Gocher Originale mit dem typischen Sing in der Stimme, nach dem Motto: „Kann ich Sie helfen, oder werden Sie schon geholfen?“ (aus einem Gocher Schuhgeschäft)

      Ulla war Primarstufenlehrerin, Karl-Heinz war Jurastudent, Fritz studierte Sport, Hilla war S II-Lehrerin am Gocher Gymnasium, Ria war Sonderschullehrerin und Maria war Steuerberaterin.

      Meistens gingen wir, wenn wir uns mit diesen Leuten trafen, zu „Lucy“, das war eine sehr nette Kneipe „Hinter der Mauer“. Neben uns gab es in der Bahnhofstraße das Radio- und Fernsehgeschäft „Thonnet“. Bei „Thonnet“ kaufte ich mir einen „Telefunkenreceiver“ und einen Plattenspieler (direktgetrieben) von „Aiwa“. Irgendwann kaufte ich von Willi die Boxen, die er selbst gebaut hatte. Das waren meine ersten HiFi-Bausteine. Ich tauschte mich in diesen Dingen immer mit Jürgen vom Rheinberger Gymnasium aus, der war absolut fit in diesem Metier. Ich fuhr sogar mal zum Boxentest zu ihm nach Krefeld. Wir schlossen dann die Boxen an seine Anlage an und testeten sie mit einer Test-CD.

      Jürgen war ein kauziger Typ, unglaublich intelligent, er unterrichtete Sozialwissenschaften, Philosophie und Geschichte. Er hatte ein Fahrrad