Ana Marna

Seelenmalerin


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Hannah. Wir teilen uns die Kiste, da wird er zufrieden sein. Aber Sie müssen sich nicht jedes Mal mit sowas bedanken. Wir helfen gerne.“

      „Ich werd’s mir merken.“

      Er nickte in Richtung des Wagens.

      „Großeinkauf?“

      „Nur das Allernötigste“, lächelte sie. „Was man als Frau halt so braucht: Sprit und Werkzeuge. Putzmittel und Bettwäsche.“

      „Na, dann mal viel Spaß im Sternehotel.“

      „Werde ich haben.“

      Sie zwinkerte ihm zu und schwang sich auf den Fahrersitz.

       *

      Theo sah ihr feixend hinterher. Er wusste, dass Tucker wieder einen Anfall bekam, wenn er hiervon erfuhr. Diese Frau brachte jetzt schon Leben ins triste Dorfleben. Das würden interessante Wochen werden, da war er sich sicher.

      Eine erste Wanderung

      

       Tag 4

       Nördliche Wälder, Minnesota

      Hannah stand auf der hochgelegenen Felsformation und blickte über die Bäume hinweg nach Norden. Vor ihren Augen erstreckte sich Wald über Wald in einer hügeligen Landschaft.

      Beglückt lachte sie auf. Ihr Atem ging noch etwas schwer vom Klettern, aber die Aussicht war es wert. Zufrieden langte sie an ihren Rücken und zog die Wasserflasche aus der Seitentasche des Rucksacks. Sie war jetzt drei Stunden unterwegs, aber der Rückweg würde wohl kürzer werden. Bergab und geradlinig sparte Zeit.

      Zeit, die sie jetzt für etwas anderes nutzen konnte.

      Auf einem Felsbrocken, der genau in der Sonne lag, fand sie die richtige Sitzposition und zog aus dem Rucksack einen Skizzenblock und Stifte heraus. Dann vertiefte sie sich in die Landschaft und fing an zu zeichnen.

      Immer wieder schweiften ihre Augen umher und suchten nach neuen Details, nach Farbeindrücken, die sie in sich einsaugte. Zwei Stunden lang kratzten ihre Stifte über das Papier, bis sie sich schließlich erhob und streckte. Es brauchte nur wenige Handgriffe, dann war sie wieder abmarschbereit.

      Gut gelaunt trat sie den Rückweg an.

      Sie sah ihren Begleiter nicht wirklich. Er war wie ein Schatten, der lautlos durch das Unterholz glitt. Mal vor ihr, mal an ihrer Seite, mal auch hinter ihr.

      Hannah nahm nur manchmal aus den Augenwinkeln eine schnelle Bewegung wahr. Aber sie hatte schon recht früh auf ihrer Wanderung das Gefühl gehabt, nicht allein zu sein. Doch so sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte keinen eindeutigen Blick auf ihren Verfolger erhaschen.

      Es beunruhigte sie nicht sonderlich. Ein Mensch war es nicht, eher ein großes, geschicktes Tier. Doch welches Tier besaß eine solche Ausdauer, einen Menschen zu verfolgen? Und vor allem, was war seine Motivation? Nach den ersten zwei Stunden war sie sich sicher, dass ihr wohl keine Gefahr drohte. Sonst wäre sie schon längst angegriffen worden. Möglichkeiten dazu hatte es zahlreiche gegeben. Also ignorierte sie ihren Begleiter und tat, als wüsste sie von nichts. Vielleicht hatte sie ja doch irgendwann Glück und konnte ihn erspähen.

      Doch es gelang ihr nicht. Als sie die Jackson-Hütte erreichte, warf sie einen schnellen Blick nach hinten, doch da waren nur Bäume und Unterholz.

      Okay, sie hatte Geduld. Falls dieses Tier sie in den nächsten Tagen wieder begleitete, würde sich bestimmt eine Gelegenheit ergeben.

       Dark Moon Creek

      „Sie hat was gemacht?“

      „Stundenlang auf einem Stein gesessen und gezeichnet.“

      „Mehr nicht?“

      „Ne, aber zumindest schien sie zu wissen, wo es lang ging. Ob sie genau zu dem Punkt wollte, weiß ich nicht, aber den Rückweg hat sie problemlos gefunden.“

      „Also doch kein Stadtblümchen?“

      Theo hob die Schultern.

      „Den Kompass konnte sie zumindest bedienen und Ausdauer scheint sie auch zu haben. Sie war ganz schön flott auf den Beinen.“

      „Hat sie dich gesehen?“

      Theo zögerte. Tucker O’Brian runzelte die Stirn, wartete aber ab.

      „Ich glaub nicht“, meinte Theo schließlich. „Ein paar Mal hat sie in meine Richtung gesehen, aber sie hat nicht einmal Angst gehabt oder sonst irgendwelche Aufregung gezeigt.“

      „Dann sorg dafür, dass das auch so bleibt. Mit wem wechselst du dich ab?“

      „Mit Cody, Cain und Eden. Cain und Eden teilen sich heute die Nachtwache. Und Cody übernimmt den morgigen Tag.“

      „Nimm Joseph und William noch mit dazu. Ich will nicht, dass ihr zu lange daran gebunden seid. Verdammt, als hätten wir nicht noch anderes zu tun.“

      Theo grinste breit.

      „Keine Sorge, das machen wir doch gerne.“

      „Kann ich mir denken“, knurrte Tucker. „Aber den ganzen Tag im Wald herumzuturnen, zählt als Freizeitvergnügen. Ihr bekommt keine Arbeitsstunden erlassen, nur damit das klar ist.“

      „Also Tucker, das ist aber ...“

      O’Brian warf ihm einen Blick zu, der Theo sofort die Augen senken ließ.

      „Äh ... in Ordnung. Ich geb das dann mal so weiter.“

      Eine miese Falle

      

       Tag 12

       Nördliche Wälder, Minnesota

      Fast zwei Wochen waren seit Hannahs Ankunft vergangen, und sie fühlte sich mittlerweile pudelwohl in der Hütte. Auf ihrem zweiten Ausflug in die Stadt hatte sie weitere Gerätschaften erworben, die ihr das Leben angenehmer gestalteten, hauptsächlich für die Küche. Außerdem hatte sie sich zwei warme Decken besorgt, da die Nächte langsam schon kühler wurden.

      Bereits nach wenigen Tagen fand sie ihren Rhythmus. Morgens erledigte sie die Hausarbeit und wanderte dann los. Das Wetter hatte bisher mitgespielt, so dass sie ausreichend Gelegenheit fand, ihren Skizzenblock zu füllen. Auf jeder ihrer Wanderungen hatte sie das Gefühl, nicht allein zu sein, doch immer noch konnte sie keinen richtigen Blick auf das geheimnisvolle Tier werfen.

      An diesem Tag war sie ehrlich gespannt, ob sich das heute ändern würde. Wie immer schloss sie morgens die Hütte hinter sich ab und lief mit dem Rucksack auf dem Rücken los.

      Doch anders als sonst blieb sie neben dem Wagen stehen und stieg ein. Ohne zu zögern, startete sie und fuhr los.

      Eine halbe Stunde später bremste sie auf einem Seitenweg und parkte den Wagen so, dass er gut gesehen werden konnte, aber niemanden behindern würde. Dann wanderte sie los.

      An diesem Tag lief sie wieder auf unbekanntem Gebiet und musste sich neu orientieren, aber das war ja auch ihre Absicht gewesen.

      Mit wachen Sinnen durchquerte sie den Wald. Und zum ersten Mal fühlte sie sich tatsächlich allein.

      Sie grinste zufrieden in sich hinein. Offensichtlich hatte ihr Verfolger nicht mit diesem Schachzug gerechnet. Sie war gespannt, ob er sie aufspüren würde.

      Sie war etwa eine Stunde unterwegs, als sie aufhorchte. Ein seltsames Geräusch drang an ihr Ohr. Gespannt lauschte sie. Da war es wieder. Es klang wie ein Winseln. Fast wie Weinen.

      Vorsichtig