Wolfgang Cremer

Eine Insel in 650m Höhe


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wohl zutreffend war und wie die Chancen sein könnten, dass mich hier jemand findet.

      Ich hatte gut geschlafen und wachte nahezu ohne Kopfschmerzen auf. Die Sonne schien auf meine kleine Unterkunft und ich genoss die Wärme die sich schnell in dem Zelt bemerkbar machte. Die Vögel sangen bereits wieder ihre unendliches Lieder und es war als wäre nichts geschehen. Ich schälte mich aus dem Schlafsack und öffnete den Eingang. Es war nicht mehr so früh denn die Sonne stand bereits weit am Himmel. Ich versuchte aufzutreten und der Schmerz kam sofort. So ging es also nicht. Nun zog ich den Wanderschuh an und versuchte es noch mal. Ganz vorsichtig erhöhte ich den Druck in dem ich das Gewicht verlagerte. Erheblich besser als gedacht funktionierte das und ein Glücksgefühl durchströmte mich. Nun konnte ich es kaum noch abwarten. Die morgendliche Toilette an dem schon merklich kleineren Rinnsal und ein karges Frühstück wurden schnell erledigt. Ich hatte es plötzlich sehr eilig und verstaute alles an meinen an einigen Stellen doch stark angeschlagenen Rucksack. Mit dem Stock als wertvolle Stütze verabschiedete ich mich still aber mit dankbarem Blick von meinen felsigen Lebensretter. Der Blick auf das Ziel, den Laubwald in rund 500 Meter gerichtet ging ich vorsichtig los. Mit dem schweren Rucksack war diese Strecke eine wirkliche Tortur. Immer wieder musste ich um gestürzte Bäume herumklettern und ständig war etwas im Weg. Mein Körper meldete sehr oft Ruhezeiten an die ich ihm auch gab. Ich hatte nur das Ziel den Laubwald vor Anbruch der Dämmerung zu erreichen und diese Etappe war nicht einfach. Doch es gelang. Es mochte schon später Nachmittag sein als ich den Laubwald erreichte. Man konnte weit hineinsehen und so stellte ich fest, dass hier erheblich weniger Schäden waren und der Boden recht frei von Gewächsen und Unterholz. Hier beendete ich den ersten Tag, denn ich wollte unter keinen Umständen meinen Fuß überlasten. Er hatte mich zwar widerwillig und mit ganz ordentlichen Stichen bis hierher gebracht, aber ich wusste nicht wie weit er noch in den nächsten Tagen gequält werden würde. Also suchte ich mir einen weichen mit Moos bedeckten Platz aus und richtete mein Lager ein. Entspannt und beruhigt durch diesen Erfolgreichen Tag bereitete ich mein Abendessen und legte mich dann sofort ins Zelt. Ich wollte den nächsten Tag ausgeruht und möglichst fit sein.

      Nach einer ruhigen Nacht wachte ich wirklich ausgeruht am nächsten Morgen auf. Die Kopfschmerzen waren endgültig verschwunden und die gestrige Strapaze hatte meinem Fuß glücklicherweise weniger zugesetzt als ich befürchtet hatte. Es war stark bewölkt aber zumindest trocken. Da ich nicht wusste, wie lange ich noch unterwegs war und was mich in den nächsten Tagen alles erwartete, schränkte ich meinen Lebensmittelverbrauch etwas ein. Zwei Müsliriegel mussten erste einmal ausreichen. Ich baute mein Lager ab und verstaute alles im und am Rucksack. Irgendwie erschien er mir schon immer schwerer statt leichter und ich hatte auch einige Druckstellen bemerkt. Nach einer halben Stunde einstellen und neu probieren hatte ich dann wohl eine Haltestellung gefunden mit der ich glaubte die nächste Zeit überstehen zu können. Und so startete ich meinen Weg auf die Suche nach dem nächsten Ort bzw. einfach nach dem nächsten Menschen. Diese völlige Ungewissheit über die Auswirkungen des Bebens war anfangs sehr beklemmend gewesen. Nun aber wo ich den relativ gut erhaltenden Laubwald vor mir hatte und die Tier- und Pflanzenwelt wieder ein scheinbar ganz normales Leben führten, war ich schon guter Hoffnung das ich vielleicht sogar genau in einem eng bemessenen Zentrum gewesen sei. Natürlich die Vulkaneifel war ja nicht weit weg und ich konnte mich gut erinnern, dass es immer wieder geheißen hatte, dass es an irgendeiner Stelle jederzeit zu einer Verwerfung kommen könne. Nun, diese Stelle war vielleicht genau da gewesen und hatte mich voll erwischt. Ich konnte schon die erstaunten Gesichter der Leute sehen, wenn ich sie nach den Auswirkungen des Bebens fragte und sie erstaunt nachfragten: „welches Beben denn“.

      Man würde denken, dass jemand der Mutterseelen alleine mit einem riesigen Rucksack aus dem Wald kommt und sicherlich nicht gerade frisch und gepflegt aussieht schon einen an der Klatsche haben sollte. Aber ein Beben. Das musste schon ein größerer Dachschaden sein. Ich würde lächeln, mir ein kleines Hotel suchen mich mit einem umfangreichen warmen Essen auf mein Zimmer zurückziehen und in einer gut beheizten Badewanne die nächsten Stunden verbringen. Vielleicht heute Abend schon, also Abmarsch. Der weiträumige Laubwald war erwartungsgemäß sehr schnell durchquert und wurde zunächst von einem Mischwald und dann von dem typischen Nadelwald abgelöst. Ich kam sehr viel langsamer voran als gedacht. Immer neue Verwerfungen lagen auf meiner Route. Mal eine schmale Spalte von 1-2 Meter Breite die aber schätzungsweise 10 oder 15 Meter tief war und mich zwang, solange an deren Rand vorbei zu gehen bis ich eine Stelle fand, die entweder so schmal war das ich überspringen konnte oder aber so in der Gestaltung das sie flacher an den Rändern war und dafür viel breiter so dass man hier hinunterklettern und an der anderen Seite wieder hochkam. Umgekehrt gab es aber auch Verwerfungen an denen der Boden mehr als 3 Meter fast senkrecht nach oben gehoben worden war und auch hier blieb nichts anderes übrig als in eine Richtung so lange zu gehen bis die Steigung überwunden werden konnte. Ich versuchte mich an der Sonne zu orientieren um zumindest halbwegs eine Gerade zu gehen. Es wäre eine Katastrophe wenn ich unbeabsichtigt einen weiten Kreis gehen würde und mich dann völlig erschöpft nach Tagen an der Ausgangsstelle wiederfände. Das durfte keinesfalls geschehen und so achtete ich sehr auf meine Richtung.

      Seit dem Beben schien es mir, als ob viele der Waldbewohner sich in diesem Gebiet aufhielten. Es verging kaum eine halbe Stunde ohne dass sich ein größeres Rudel an Rotwild zeigte. Manchmal zählte ich mehr als 10 Stück. Aber auch Wildschweine, die in der Regel nur nachtaktiv sind gab es reichlich zu sehen. Dachse, Füchse, Marder und selbst Vögel schien es im Überfluss zu geben. Ich will nicht sagen die Tiere wirkten zutraulich, nein aber irgendwie kam es mir doch so vor als ob die vorherige natürliche Scheu sich verringert hätte und auch die Fluchtdistanz schien mir geringer zu sein als sonst. Aber das konnte natürlich auch alles nur eine Täuschung meiner Phantasie sein. Der Wald wurde dichter und die umgestürzten Bäume behinderten meine Wanderung zunehmend. Zu allem Überfluss meldete sich mein Fuß mit stärkeren Schmerzen und obschon ich mir große Mühe gab ihn zu entlasten, wurden die Schmerzen nicht besser. Zudem grummelte der Boden immer noch oder besser gesagt immer wieder und es war nicht wie ein Beben, aber immer ein unregelmäßiges Zittern des Bodens. Manchmal kaum spürbar und manchmal so stark das sich nicht nur die Blätter sondern auch die Zweige und teilweise sogar die Äste bewegten. Nicht wie bei uns wo die Nadelbäume fast bis zur Krone licht sind, waren diese Bäume fast bis in Bodennähe dicht bewachsen. Das dichte Unterholz übernahm dann den Sichtschutz bis zum Boden. So mochte ich etwa vier Stunden gekämpft haben und realistisch vielleicht höchstens vier Kilometer zurückgelegt haben, als sich der Wald wieder etwas lichtete und ich eine größere Lichtung vermutete.

      Die Straße

      Und dann stand ich plötzlich vor einer geteerten und für zwei nebeneinander fahrende Autos ausgebaute Straße. Total überrascht hielt ich inne und konnte es noch nicht glauben. Wie aus dem Nichts, aber wie hätte sich die Straße auch ankündigen sollen. Klar, im normalen Leben konnte man die vorbeifahrenden Fahrzeuge schon mehrere hundert Meter vorher hören. Völlig erschöpft sank ich auf die Knie und schnallte den Rucksack ab. War das die Rettung? Brauchte ich jetzt nur noch auf ein vorbeifahrendes Auto warten um mich in die nächste Stadt fahren zu lassen? Doch diese Hoffnung wurde sehr schnell zunichte gemacht. Zwar hatte die Straße dem Beben etwas mehr Widerstand geleistet, aber nach rechts war der erste Bodenspalt bereits in etwa 40m sichtbar und auf der linken Seite eine größere Verwerfung von etwa eineinhalb Meter Höhe in vielleicht 200m auszumachen. Auf dieser Straße würde in der nächsten Zeit mit großer Sicherheit kein Auto, kein Motorrad und kein Fahrrad mehr fahren. Also konnte man nicht von Rettung oder Entwarnung reden sondern die Straße war für mich lediglich eine Richtungsvorgabe. Man konnte statt orientierungslos durch den dichten Wald zu irren eine der beiden Richtungen einschlagen und brauchte nur noch dieser Straße folgen um zu einem bewohnten Ort zu kommen. Die Straße kam von einem Ort und führte auch wieder zu einem Ort hin. Und wo ein Ort war, befanden sich auch Menschen und somit Hilfe und Unterstützung. Natürlich würde auch diese neue Wandermöglichkeit sicherlich nicht so einfach sein. Mit großer Sicherheit würde man eventuell große Umwege gehen müssen um bei einer Verwerfung oder einen Spalte wieder auf die Straße zurückzukommen, aber die riesengroße Gefahr des Rundlaufens im dichten Wald war zunächst gebannt und schon das war ein Grund zur Freude. Die Straße war das erste Zeichen, der erste Weg und die erste Möglichkeit