Wolfgang Cremer

Eine Insel in 650m Höhe


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doch nicht sein. Ich hätte es doch gewusst wenn es in diesem Wandergebiet einen derart großen See gegeben hätte. Mein Gott das Wasser reichte ja eventuell bis zum Horizont. Es war zu diesig um das genau zu beurteilen. Ich ging weiter bis ich mit den Schuhen am Wasser stand. Nein, das konnte doch nicht sein, Wasser soweit man sehen konnte. Nicht nur nach vorne sondern auch nach rechts und links. Das war kein See, das war ein Meer. Fassungslos bückte ich mich und tauchte meine rechte Hand ins Wasser. Es war sehr kalt und als ich mit der Zunge wenige Tropfen ableckte stockte mir der Atem. Ich schmeckte eindeutig Salzwasser. Zwar mit sehr vielen Dreckpartikel aber dennoch gab es keinen Zweifel an dieser Tatsache. Wie konnte das sein, ich musste mich doch in mindestens 600m Höhe über dem Meeresspiegel befinden. Natürlich hätte durch das Beben ein Tsunami ausgelöst sein können. Natürlich hätte es eine riesige zerstörerische Welle geben können die auch eventuell recht hoch gewesen sein mochte. Aber doch niemals über 500m und selbst wenn, wäre das Wasser doch längst wieder abgeflossen und das Werk der Zerstörung freigelegt. Immer wieder schaute ich voller Verzweiflung nach beiden Seiten und obschon ich fast 180° Sicht hatte, blieb nichts außer Wasser. Was konnte ich jetzt tun? Am Wasserrand vorbei wandern erschien sowohl nach rechts als auch nach links kaum realisierbar. Das Wasser reichte ja bis ins Dickicht. Das bedeutete einen Marsch quer durch teilweise kaum durchdringbare Ranken und reißfeste Pflanzen die mit altem Gehölz jeden Schritt zur Qual machten. Nein, das war nicht die Lösung. Ich musste zurück und der Straße in die andere Richtung folgen. Eineinhalb Tage bis hierher und nun wieder eineinhalb Tage zurück. Drei Tage verloren um wieder an der gleichen Stelle zu stehen. Aber ich wollte jetzt nicht mehr gehen. Sicher hatte ich noch 2 Stunden Licht aber mein Frust war einfach zu groß. Ich stellte den Rucksack ab und schaute mich nach einem Lagerplatz um.

      Direkt in unmittelbarer Nähe gab es rund 4m² ebene Fläche und völlig deprimiert baute ich des Zelt auf. Ich zog die Schuhe aus und ging wieder bis zu dem Punkt wo die Straße ins Wasser führte. Dort setzte ich mich und konnte mich kaum überwinden meine geschundenen Füße ins kalte Wasser zu halten. Den Blick konnte ich nicht vom Wasser wenden. Es war einfach nicht zu glauben oder gar zu verstehen. Es wollte mir einfach nichts einfallen wie sich innerhalb dieser kurzen Zeit der Meeresspiegel soweit heben konnte. Denn von meinem derzeitigen Standort war es mindestens 250km bis zur Küste gewesen. Alles oder besser gesagt überwiegen flaches Land. Holland oder Belgien waren Küstenländer und sehr flach. Es konnte doch nicht sein das ganze Länder völlig überschwemmt waren. Was wäre dann aus den Menschen geworden. Millionen Menschen wären dann von dieser Flutwelle getötet worden. Allein diese Vorstellung war völlig abstrakt. Der Verstand weigerte sich einfach das zu glauben. Ich ging zurück ins Zelt und legte mich in den Schlafsack. Fit und ausgeruht musste ich jetzt sein um morgen die Rückreise anzutreten. Doch der erlösende Schlaf wollte sich nicht einstellen.

      Plötzlich hatte ich die Lösung. Das Meer war sicherlich nicht um fünfhundert Meter angestiegen. Das war unmöglich. Aber das Land konnte sich gesenkt haben. Hatte ich nicht während des Bebens immer das Gefühl gehabt zu fallen oder in einem abfahrenden Aufzug zu sein. Natürlich, das war es. Genau so musste es gewesen sein. Genau dieser Höhenbereich war stark eingesunken, daher auch das vielfältige Aufreißen der Erde und mache mochten dann auch so groß gewesen sein das sie bis zur 250km entfernten Küste reichten. Vielleicht gab es Spalten die mehrere hundert Meter breit und genau so tief waren. Durch diese riesigen Kanäle konnte das Meerwasser dann mit voller Geschwindigkeit nachströmen und diesen abgesenkten Bereich mit Wasser füllen. Trotzdem hatte dies sicherlich nicht ohne unglaubliche Verluste an Menschenleben stattfinden können. Ich musste zur anderen Seite und zwar möglichst schnell. Mit diesem Gedanken schlief ich ein. Es war kein guter Schlaf. Geplagt von Träumen die nicht schlimmer sein konnten wachte ich immer wieder auf und als die ersten Vogelstimmen erklangen baute ich mein Lager noch im Dunkeln ab und machte mich reisefertig.

      Ich stand am Wasserrand und zwang mich den Müsliriegel zu essen. Langsam erwachte der Tag und zeigte mehr und mehr die Grausamkeit die dieses Land getroffen hatte. Es hatte keinen Zweck den Sonnenaufgang zu genießen und wieder schnallte ich den Rucksack um und marschierte los. Jedoch nur wenige Meter später stoppte ich abrupt. Ich legte den Rucksack wieder ab. Ja natürlich, ich musste doch einen Hinweis hinterlassen. Genau wie beim Einstieg in diese Straßenwanderung suchte ich nach geeignetem Astwerk von rund 50cm Länge und baute etwa fünfzehn Meter vom Wasserspiegel entfernt das Wort „HELP“ auf der Teerstraße. Die Stelle lag ungefähr siebzig Zentimeter oberhalb des Wasserspiegels und ich hoffte, dass die Wellen nicht so stark würden um diese Höhe zu überwinden und meinen Hilferuf zu zerstören. Ich beschwerte die Äste noch mit einigen Steinen und legte einen etwa großen Richtungspfeil aus Ästen vor dem Wort und zeigte somit dem Retter an welche Richtung ich eingeschlagen hatte. Nach diesem Zwangsaufenthalt der mir aber glücklicherweise gerade noch eingefallen war startete ich erneut meine Rückwanderung.

      8300 Schritte von gestern plus noch mal 5800 von vorgestern entsprachen bei der geschätzten 50cm Reichweite rund 7km Entfernung. Erstaunlicherweise hatte das gestrige Fußbad meinen Füßen sehr gut getan und ich konnte etwas besser auftreten. Ich wollte nicht denken, wollte nicht über die vielen Toten nachdenken die diese Katastrophe verursacht hatte. Genauso konnte ich mich nicht über den scheinbar wieder sonnigen Tag freuen der gerade erwacht war. Ich konnte mich nicht an den Tieren erfreuen die wieder in großer Zahl durch den Wald zog. Verflucht sei die Erde, die immer noch zwischendurch erzitterte als wenn der endgültige Standort noch nicht gefunden worden wäre. 2000 Schritte getan, nein keine Pause, es ging ganz gut und ich würde meine Pause erst bei 4000 Schritten machen. Ganz unbewusst trank ich viel Wasser und füllte meine beiden Trinkflaschen bei jeder sich bietenden Möglichkeit wieder auf.

      Wieder zog eine kleine Herde von vier Rehen in der Nähe vorbei. Die ganze Tierwelt befand sich auch in Aufruhr. Vielleicht durch das Zittern der Erde oder aber durch die ungewohnte Nähe des Meeres. Die Sonne stand nun schon recht hoch am Himmel und wärmte die Luft angenehm auf. Es sollte nun Mittag sein und ich war mit meinem geistigen Zähler bei 4500 angelangt. Ich gönnte mir eine Pause und legte mich in das warme Gras. Ich schrak auf und blickte zur Sonne. Ich war eingenickt und hatte meine Pausenzeit lange überschritten. Laut fluchend nahm ich meinen Marsch wieder auf und kämpfte mich verbissen vorwärts. Sechstausend Schritte vollbracht und ich verurteilte mich zum Pausenverzicht. Ich wollte meinen bekannten Rastplatz unter dem großen Baum in jedem Fall heute noch bei Tageslicht erreichen. Die gelang mir auch und bald stand mein Zelt wieder an der gleichen Stelle an der ich mit so viel Hoffnung übernachtet hatte. Das üppige Mahl mit Suppe und Wurst fiel natürlich aus. Ein Riegel musste reichen und ich bekam regelrecht Panik wenn ich an meine geringen Nahrungsvorräte dachte. Sicher konnte man auch mehrere Tage ganz ohne Nahrung auskommen wenn man genug Flüssigkeit zu sich nahm.

      Erschöpft schlief ich ein und verbrachte eine traumlose Nacht ohne Zwischenfall. Wieder weckten mich die ersten Vogelstimmen und ich suchte nach meiner kleinen Taschenlampe um den Rucksack nach einem weiteren Müsliriegel zu durchsuchen. Ich wollte nicht darüber nachdenken wenn es nichts essbares mehr zu finden gab oder die Batterien in meiner Taschenlampe leer waren. Ganz langsam frühstückte den Riegel und bereitete mir noch einen heißen Tee zu. Dann in der ersten Morgendämmerung packte ich meinen ganzen Besitz ein und schulterte den Rucksack. 5800 Schritte bis zu der Stelle an der ich die Straße zum ersten Mal betreten hatte. Es ging zügig voran weil ich viele der Hindernisse noch vom Hinweg kannte und mich noch erinnern konnte wie und wo ich das Hindernis überwunden hatte. Es bewölkte sich zunehmend und der Wind frischte auf. Hoffentlich fing es nicht schon wieder an zu Regnen. Dann würde es deutlich länger dauern, weil es natürlich sofort überall rutschig wurde und ich auf jeden Fall einen Sturz vermeiden musste. Ein verstauchter oder sogar ein gebrochener Fuß wäre mein Ende. Qualvoll würde ich mein Leben auf dieser Straße vor Hunger und Durst beenden. Nein, das hatte alles keinen Sinn. Alles wenn und aber durfte erst gar nicht in den Kopf wenn es negativ war. Nur an positive Dinge denken. Wenn es wieder regnete, na super dann gab es dann gutes und direkt verfügbares Trinkwasser und gleichzeitig war die Dusche geöffnet. 2000 Schritte waren längst vorbei und wie gestern wollte ich die erste Pause einfach übergehen. Mit dem Stock als Krücke ging das Wandern ganz gut und mein Fuß spielte auf erträgliche Weise mit. Der Wind hatte inzwischen zu einem regelrechten Sturm aufgefrischt und die Wolken wurden zunehmend dunkler. Innerhalb von Minuten brach ein Gewitter los und ich konnte froh sein, mich unter einer schräg stehenden