Wolfgang Cremer

Eine Insel in 650m Höhe


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der Donnerschlag erfolgten, zeigte mir das das Gewitter genau über mir war. Genau so plötzlich wie das Gewitter gekommen war, hörte der Regen auf und der Donnerhall wurde schnell schwächer.

      Die viertausend Schritte waren erreicht und ich redete mir ein, dass die Zwangspause bei dem Gewitter halt eben eine vorgezogene Rast war. Die verbleibenden eintausendachthundert Schritte zählte ich nicht vorwärts sondern rückwärts. Irgendwie kam einem so die verbleibende Strecke nicht so weit vor. Noch hundert Schritte übermittelte mein geistiges Zählwerk, aber die Stelle war nicht zu sehen. Das konnte doch nicht sein. Hatte ich mich etwa verzählt. Nein, hinter dem nächsten umgestürzten Baum musste es sein. War es aber nicht. Die Straßenmarkierung war nicht zu sehen. Konnten Tiere die Äste weggeschoben haben? Dann sah ich die Markierung und war erleichtert. Ich löste den Rucksack und setzte mich. Diese Rast hatte ich mir verdient. Ich schaute auf den Sonnenstand. Sicher der Höchststand war deutlich überschritten aber es sollte noch für fünf Stunden ausreichend hell sein. Genug um noch einiges an Weg zurückzulegen. Ich legte die Äste um und gestaltete das Hilfswort neu und richtete den Richtungspfeil in die andere Richtung. Mein geistiges Zählwerk schaltete auf „RESET“ und es ging Schritt für Schritt voran. Bei Schrittzählerstand von eintausendachthundert bemerkte ich links eine Unregelmäßigkeit. Hier gingen Pfade ab. Nachdem ich das Gras vorsichtig beiseiteschob erkannte ich diese Pfade als eine Fahrspur von einem PKW oder Traktor. Hier war oft jemand mit seinem Wagen von der Straße abgebogen. Machte es Sinn dieser Spur zu folgen oder versprach die Straße eine höhere Erfolgsquote. Nein, der Feldweg konnte nicht die Lösung sein. Er mochte von einem Wildhüter zu einem Hochsitz führend angelegt worden sein oder er führte zu einer Winterfutterstelle die die Förster anlegten um durch regelmäßiges Füttern die Tiere in ihrem Gebiet zu halten. Also weiter auf der Teerstraße. Aber bereits nach zehn Meter drehte ich wieder um und ging zurück zu diesem Abzweig. Er war jetzt schon kaum sichtbar weil es genau an der Stelle eine kleine Aufwerfung gab und es war zu befürchten, dass ich diese Stelle nicht mehr wiederfinden würde wenn es vielleicht einmal sein sollte. Also machte ich auch hier eine kleine Markierung auf der Straße und setzte dann meinen Weg auf der Teerstraße fort. Die Straße war seit mehreren Stunden leicht ansteigend und so konnte ich sicher sein, nicht wieder unmittelbar vor einem Meer zu stehen. Den Rastpunkt hatte ich mir bei viertausend Schritten gesetzt und gerade bog ich um eine relativ enge Kurve als ich es sah.

      Der LKW

      In einer Entfernung von vielleicht einhundert Meter stand ein LKW irgendwie mit erhobenem Heck auf der Straße. Dreitausend Schritte genau und ich befand mich am Fahrzeug und konnte das Problem sehen. Es handelte sich um einen Mercedes 7,5 Tonner mit geschlossener Ladefläche. Als Kofferwagen glaubte ich wurde dieser Typ bezeichnet. Der Fahrer hatte den Wagen nicht mehr rechtzeitig vor der Spalte abbremsen können und war mit den Vorderreifen über den Rand gerutscht. Dieses Aufschlagen des Chassis auf den Teerboden stoppte den LKW nahezu direkt. Doch wo war der Fahrer geblieben. Ich öffnete die Fahrertüre in Erwartung eine Leiche vorzufinden, doch der Sitz war leer. Die Frontscheibe war fast total zerstört und ich wunderte mich schon wieso der ganze Innenraum nicht voller Glasstücke war bevor mir die Erkenntnis kam. Der Fahrer war nicht angeschnallt gewesen und durch diesen plötzlichen Stopp von seinem Sitz hochgehoben und durch die Windschutzscheibe geschleudert worden.

      Ich stieg wieder aus und versuchte in die Spalte hineinzusehen. Die Spalte war vielleicht zehn Meter breit und ebenso tief. Am Boden war jede Menge Geröll nachgerutscht und dann konnte ich einen Teil des Unterarms und der Hand entdecken die so gerade noch aus seinem Grab herausragten. Hier hatte die Natur den Verunfallten bereits beerdigt. Ich stieg wieder in die LKW-Kabine und schaute mich um. Der Schlüssel steckte natürlich noch und wie zu erwarten hatte die eingeschaltete Zündung die Batterie total entleert. Selbst das Radio ging nicht mehr an. Ich fand ein angebrochenes Päckchen Zigaretten in dem ein Feuerzeug steckte und noch zwei ungeöffnete Zigarettenpäckchen. Verschimmelte und stinkende Speisereste lagen auf dem Boden und verdeckten teilweise ein Handy neuester Bauart. Natürlich war auch dieses unbrauchbar weil der Akku total entleert war. Jetzt konnte man die Zeit bedauern wo ein Handy nur zum Telefonieren gebaut war und manchmal eine ganze Woche ohne Ladegerät auskommen konnte. Die neuen Smartphone jedoch waren bereits nach einem Tag am Ende. Ich steckte die Zigaretten ein, stieg aus und ging an der Ladefläche vorbei bis zum Heck. Natürlich waren die Ladetüren verschlossen. Aber was sollte mir das auch bringen. Als Beute 100 PCs oder Flachbildschirme machten mich in meiner Situation nicht glücklicher.

      Nein, hier war für mich nichts zu holen und ich wollte keine Zeit verlieren. Und so machte ich mich wieder auf den Weg und suchte einen Übergang der Spalte. Ich versuchte so weit wie möglich zu kommen bis die Dämmerung den Marsch sowieso stoppen würde. Der Zustand der Straße war gleich wie bereits auf der anderen Seite. Spalten, Aufwerfungen und umgestürzte Bäume. Manchmal hatte ich wieder den Eindruck das die Spalten enger wurden und mehrheitlich übersprungen werden konnten aber dann kam wieder eine die mich zwang viele Meter an der Seite entlang zu gehen ehe man sie übergehen konnte. Die Dämmerung hatte zwar noch nicht begonnen, aber es reichte. Meine Kräfte waren am Ende und meine Füße schmerzten. Völlig erschöpft baute ich mein Zelt auf und zwang mich zu einer warmen Suppe. Es wurde eine unruhige Nacht. Der Wind frischte wieder auf und ich träumte ständig von dem LKW-Fahrer. Hätte er sich nur angeschnallt, wäre ihm nichts passiert und lebte mit Sicherheit noch. Unruhig drehte ich mich von einer Seite auf die andere ohne Schlaf zu finden. Was mochte der LKW geladen haben. Die Werbeaufschrift an den Seitenwänden kam mir vom Bild her bekannt vor, aber beim besten Willen konnte ich mich nicht an einen Zusammenhang zu einer Firma erinnern. Ich musste lächeln als ich wieder an einen LKW voll PCs oder Flachbildschirme dachte.

      Irgendwann begann der erste Vogel mit seinem Weckruf und ich nahm dies zum Anlass ebenfalls aufzustehen und die Nacht abzuhaken. Mit beginnendem Tageslicht baute ich das Nachtlager ab und startete in den neuen Tag. Gegen Mittag schmerzte mein Fuß wieder heftiger und ich beschloss eine kurze Rast zu machen. Gegessen hatte ich noch nichts aber dafür viel getrunken und immer wieder bei jeder Möglichkeit die Flaschen aufgefüllt. Schon wieder frischte der Wind auf und ich befürchtete bereits ein neues Gewitter als ich sah, dass die Wolkendecke immer mehr aufriss und der Sonne die Möglichkeit bot die Erde zu erwärmen. Verdammt, ich hatte vergessen zu zählen. Wann hatte ich zuletzt die Schritte gezählt? Vermutlich hatte ich es nach dem LKW ganz einfach vergessen. Das ärgerte mich nun ungemein und ich versuchte den zurückgelegten Weg abzuschätzen. Aber was sollte es auch. Es brachte sowieso nichts und ich hoffte nun wirklich nicht nochmals zurück zu müssen. Irgendwo musste es doch nun einen Ort an der Straße geben. Die Sonne verbreitete eine sehr angenehme Wärme und ich schätzte das es noch zwei Stunden bis zur Dämmerung sein würde als ich erstarrte. Ich hatte ein Geräusch gehört. Etwas was nicht von der Natur kommt sondern etwas anderes. Angespannt hörte ich in den Wald hinein und bemühte mich die Geräusche der Vögel und des Windes auszublenden. Nichts mehr. Hatte ich mich geirrt oder spielte mir meine Phantasie schon einen Streich. Ich wollte gerade weitergehen, da war es wieder. Ein Schlagen oder ein Wischen von großer Windströmung. Da wusste ich es, das Geräusch stammte von einem Windrad. Ja genau und wo Windräder stehen ist eine Ortschaft nicht weit. Voller Vorfreude nahm ich den Weg wieder in Angriff und bemerkte, dass sich das Gelände recht stark senkte. Natürlich, das war doch klar, Windräder standen doch immer auf dem höchsten Punkt in der Landschaft. Und dann gab der Wald die Sicht frei. Ich sank zu Boden und starrte auf das Bild das sich mir bot.

      Die zweite Enttäuschung

      Wasser bis zu einem kleinen Fleck am Horizont. Kein Windrad hatte dieses Geräusch verursacht sondern die Wellen schlugen gegen das Land und brachen sich mit den nachfolgenden Wassermassen. Mein Gott, ich war verloren. Ich hatte doch immer auf den Sonnenstand geachtet und war mir relativ sicher, dass die Straße trotz der vielen Biegungen schlussendlich eine Gerade bildete. Ich befand mich also auf einer Halbinsel und hatte diese auf der kürzesten Seite einmal durchquert. Eine tiefe Traurigkeit erfüllte mich und die Verzweiflung drohte Überhand zu nehmen. Was konnte ich noch tun. Ich ging zum Uferrand und versuchte so weit als möglich die Seiten einzusehen. Da die Bäume aber nicht nur bis ans Wasser standen, sondern natürlich im Geländegefälle langsam immer kleiner und an dieser Stelle bestimmt