Anita Florian

Die Ungeliebten


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sie an sich. Bernadettes Kinderseele hatte die Situation schon längst erfasst, sie weinte und brüllte aus Leibeskräften und ließ sich auch von ihrem Vater nicht beruhigen. Mutig stand Franzine auf und riss sie aus Ferrys Armen, „Lass sie in Ruhe“, rief sie tapfer, strich ihr übers Haar und Bernadette wurde wieder still, ihr Weinen verebbte und lehnte ihr Köpfchen an Franzines Schulter.

      Senta war inzwischen in das Schlafzimmer gegangen. Dieser Streit zerrte an ihren ohnehin schon schwachen Nerven, die Eheleute sollten ihre Probleme alleine ausmachen, es war das Beste, sich zurückzuziehen, sich auf keinen Fall einzumischen. Ferrys laute Stimme regte sie zu sehr auf, die Folgen wären dann nicht mehr aufzuhalten. Bald würde es vorüber sein, ja, schließlich kannte sie ihren Sohn wie kein Zweiter und wenn er sich etwas vorgenommen hat, duldete er keine Widerrede oder Gegenstimme, nicht von Menschen, die darüber kein Verständnis aufbrachten oder ohnehin keine Ahnung von den Dingen hatten, die, so wie er meinte, als Wunder bezeichnete, und Wunder, überdimensionale Phänomene, daran glaubte er mit felsenfester Überzeugung, übertrumpfen die Schulmedizin und so manch Vorhersagungen, die verständlicherweise fast nie zutrafen. Doch diese besagten Wunder treffen immer ein, es gab genug Beweise die dies bestätigten, auch wenn seine eigene Familie nicht daran glaubte, oder nur so taten als ob dies alles stimmen würde. Tanno war zur Arbeit, niemand stand Franzine zur Seite, sie musste alleine mit ihrem Ehemann fertig werden, schließlich ginge das niemanden auch nur das Geringste an. Senta legte ihre beiden Handflächen an die Ohren, nur dumpf konnte sie Ferrys Gebrüll hören. Sie röchelte und aus ihrem Atem kamen wieder leise Pfeiftöne. Mit den Händen an den Ohren saß sie auf dem Bett und wippte nach vorne und zurück. Wie lange würde es diesmal wieder dauern? Warum konnte ihre Schwiegertochter nicht das geringste Verständnis für sein Vorhaben aufbringen? Warum bringt sie ihn immer so in Rage? Hatte es Zeiten gegeben, wo es schon in früheren Zeiten Zornesausbrüche dieser Art gegeben hatte? Was war damals mit dem Nachbarsjungen, als er gerade erst 15 Jahre alt war. Als er die Gartenschippe auf seinen Kopf sausen ließ, nur weil dieser meinte, seine Mutter hätte dieselben Haare wie die Hexe Isegrim aus seinem Märchenbuch aus vergangenen Tagen? Nicht einmal einen Atemzug konnte der Junge machen, die Schippe schlug ihm eine tiefe Delle in den Kopf oberhalb der Schläfe, was noch großes Glück bedeutete. Das Blut rann ihm über das Gesicht, er schrie und fluchte, doch Ferry stand lächelnd zwei Schritte vor ihm und schrie, dass er dies verdient hätte, kein Mensch auf dieser Erde, dürfte seine Mutter beleidigen, egal ob er aufrecht stünde oder auf den Boden krieche, niemand dürfe es wagen Aussagen dieser Art über seine Mutter zu tätigen. Schreiend lief der Junge nach Hause, bald darauf wurde die stille, ländliche Idylle von Rettungssirenen zerrissen, mit Blaulicht wurde der Junge abtransportiert und mit über 20 Stichen am Kopf genäht. Bleibende geistige Schäden waren nicht zu befürchten, doch die breite Narbe, die ihm ein Stück über die Stirn lief, sollte er ein Leben lang behalten. Tanno bezahlte damals 3000 Schillings Schmerzensgeld, somit war die Sache wieder erledigt. Die Verhandlung dauerte keine 30 Minuten, Ferrys Unmündigkeit rette ihn vor dem Gefängnis. Fast zwei Jahre zahlte Tanno die Schulden zurück, die er, dank seiner festen Anstellung im Werk, als Kredit aufgenommen hatte. Kein Wort wurde darüber je wieder gesprochen, die ganze Sache geriet in Vergessenheit. Doch jetzt kamen diese Gedanken auf einmal wieder in Senta hoch, fest presste sie nun eine Hand an ihr Herz und ihr Röcheln wurde intensiver. Langsam ging sie ans Fenster und öffnete es, frische Luft füllte das stickige Schlafzimmer, die Sonne schien warm auf die Landschaft, die Straße unter ihrem Fenster flimmerte, einige Menschen schlenderten vorbei und manchmal fuhren auch einige Autos in die Ortsmitte oder wieder heraus.

      Aus der Küche drang kein Laut mehr, auch von Bernadette war nichts zu vernehmen, kein Schluchzen, kein Wimmern, auch das Radio war ausgeschaltet. Dumpfes Gepolter, das Zuschlagen von Küchenschränken, doch kein Wort war zu vernehmen. Sollte sie es wagen wieder in die Küche zurück zu gehen? Noch immer kein Laut…Ferry hat doch nicht….nein, zu so Etwas würde er niemals fähig sein, trotz Jähzorn und unkontrollierten Ausbrüchen, nie im Leben würde er dies zuwegebringen….

      „Komm nur rein Mutter“, sagte Ferry, er schien sich wieder beruhigt zu haben, saß am Tisch und löffelte seine geliebte Hühnersuppe mit Gemüse und Nudeln. Daneben saß Franzine mit Bernadette auf dem Schoß, die ebenfalls Suppe löffelte und ihr auch immer davon abgab.

      „Hier ist dein Teller“, sagte sie ruhig, „komm setz dich, ich bringe dir die Suppe, die dir übrigens ausgezeichnet gelungen ist.“ Franzine schöpfte eine Kelle voll Suppe aus dem Topf und stellte sie vor Senta auf den Tisch, die inzwischen Platz genommen hatte. Sie betrachtete die Gesichter der beiden und dann fing sie an, die Suppe zu löffeln. Alles ist wieder gut geworden, stellte sie zufrieden fest, alles hat ein gutes Ende genommen, Ferry kann wieder wegfahren ohne ein schlechtes Gewissen herumzutragen und ihre Schwiegertochter würde auf ihn warten, wie sie es immer getan hatte. Doch Ferrys Blicke verrieten, dass sein Zorn noch in ihm arbeitete, seine Augen waren noch etwas geweitet, die Bewegungen beim essen zu hastig, fast unkontrolliert. Franzine hatte versucht, die Wogen zu glätten, doch noch immer hing eine Spannung in der Luft die zum bersten scharf war. Als ob unsichtbare Fäuste bald auf die herabsausen und auf sie einschlagen würden, von der Decke herab, wenn nur einer es wagte, ein falsches Wort zu sagen, oder auch nur ein schiefer Blick in Ferrys Nähe fallen sollte. Senta beobachtete die kleine Familie, die gerade eben zu Mittag aß, schweigend das Essen genoss und kaum von ihren Tellern aufsahen. Franzine legte dann Bernadette wieder in ihr Bett, die nun satt und schläfrig nach ein paar Minuten eingeschlafen war. Senta löffelte ihre Suppe zu Ende und sprach kein Wort. Fast schüchtern blickte sie mehrmals auf, wartete ab was in den nächsten Minuten geschehen sollte. Ferry wischte sich den Mund mit einem Geschirrtuch ab und schubste den Teller in die Tischmitte. Noch immer schien er sich nicht beruhigt zu haben. Dann setzte er sich wieder zu Tisch und verbarg sein Gesicht in beide Hände, er seufzte und stöhnte auf. Franzine stellte sich hinter ihm und massierte ihm die Schultern. Er war schließlich ihr Ehemann, sie hatte die Pflicht ihm zur Seite zu stehen und ihn zu unterstützen, egal welch Vorhaben er auch immer in Erwägung ziehen mochte. Der Schmerz an ihrer Wange verflüchtigte sich, bald war der Vorfall wieder vergessen.

      „Es tut mir…Leid, ich habe die… Beherrschung verloren“, stammelte er in die Handflächen, rieb über das gerötete Gesicht und stützte sich mit beiden Ellbogen fest auf den Tisch. Franzine nickte, knetete sanft seine Schultern und beugte sich zu ihm und umarmte ihn innig. Sie fühlte Mitleid, sie konnte gut nachvollziehen was er in diesem Moment empfand, die Reue nach der Tat, einer Tat, die hätte vermieden werden können. Senta schüttelte den Kopf und machte sich an das Geschirr, dass sie nun einsammelte und abgewaschen werden musste.

      „Bitte komm wieder gesund nach Hause, pass auf dich auf, hole das Wasser, wenn du dabei glücklich bist, dann bin ich es auch.“ Und Franzine meinte es ernst, vielleicht hatte Ferry Recht, vielleicht würde das heilende Wasser helfen, die Leiden seiner Mutter verschwinden lassen und Ferry wieder glücklich lachen.

      „Gut, das verspreche ich dir“, sagte Ferry nun ruhig, stand auf und nahm auch Franzine in seine festen Arme. All das Verständnis, das sie jetzt aufbrachte, investierte sie in Ferrys Umarmung. Ihr ist klar geworden, dass er schon seit Jahren litt, wenn seine Mutter wieder um Luft kämpfen musste, so schien es auch auf ihn überzugreifen und konnte seine Angst nur in der Aggression besiegen. Sie durfte dies nicht mehr herausfordern, nahm sich vor, ihre wahre Meinung in den Hintergrund zu stellen und auf all sein Hoffen so gut es möglich war, einzugehen. Vielleicht geschieht ein Wunder, ihr inneres Ersehnen wuchs, denn dann würde die Furcht um seine Mutter weichen, er würde wieder Freude empfinden, vielleicht auch ruhiger und gelassener werden. Hat nun eine gewisse Beeinflussung in ihr gegriffen, oder war es doch nur das Verständnis, die sie für ihren Mann nun aufgebracht hatte? Sie entschied sich für das Einfühlungsvermögen, die ihrer Meinung nach, die realistischere Variante war und sie selbst nicht in die Vorstellungen des nahen Wahnsinns abgleiten ließ. Die Einsicht bestärkte sie. Ferry schien erleichtert, sein Gesicht hatte wieder weichere Züge angenommen und seine Mundwinkel zogen sich wieder ein wenig nach oben. Senta hantierte mit dem Mittagsgeschirr herum und Franzine bemerkte, dass sie öfters zu ihrem Sohn hinüber zwinkerte. Bernadette schlief friedlich, sie hatte am wenigsten mit dieser Sache zu tun, alle liebten sie. Tanno verspätete sich wieder und alle wussten, dass er wahrscheinlich bei Yolanda eingekehrt war. Auch er war nicht angetan von Ferrys Wünschen und Vorhaben, doch nie verlor er auch nur