Anita Florian

Die Ungeliebten


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so was wie Binden oder Monatsschutz gegeben? Wir mussten alte Fetzen auskochen, wir hatten sie dann zwischen die Beine gelegt, damit man nicht sieht, dass sie Frau ihre unreinen Tage hatte, wir haben es alle überlebt, für so etwas geben wir kein Geld aus, ich hab noch welche im Kasten, sie sind schon lange nicht mehr benutzt worden, als Thorsten geboren wurde, hatte ich meine letzte Regel, das weiß ich noch genau“, Senta rührte im Topf und wies auf die Schlafzimmertür.

      Was blieb Franzine übrig? Sie hatte verstanden, für diese Sache konnte sie sich wieder nicht durchsetzen. Die erste Schranktür gab einen raunzenden Laut von sich, als Franzine sie langsam öffnete. Besser als gar nichts, sagte sie sich, einen Schutz brauche ich unbedingt.

      Da lagen sie auch schon, fein säuberlich aufgeschlichtet in der ersten Reihe. Raue Leinenlappen lagen auf alten Taschentüchern, sicher von Tanno, alte Geschirrtücher die ausgefranst sorgfältig zusammengefaltet wurden. Alte Stoffreste, die sogar eingesäumt und gebügelt zwischen den anderen Lappen lagen. Sentas Monatsschutz, in ihren jungen Tagen, die sie sogar überleben ließen, die nichts anderes kannte. Langsam hob Franzine einen Stoffrest nach dem anderen hoch. Welche ist nun am weichsten, was saugte besser das Blut auf, so, dass man nichts durch Hose oder Rock erkennen kann? Sie überlegte, manche Stoffe waren so dünn, das die gar nicht in Frage kamen. Die Leinenlappen waren zwar dicker, aber umso rauer und kratziger. Die alten Taschentücher von Tanno kämen da schon eher in Frage. Zwei auf einmal in der Unterhose, würde niemand sehen und die saugen bestimmt besser, als all das andere Stoffzeugs, die sicher die Konturen an der Kleidung abzeichnen würden.

      Franzine überlegte, die alten Taschentücher sind am weichsten, das wäre sicher das Beste für diese paar blutenden Tage. Sie entschied sich für zwei karierte Schnäuztücher, die sicher schon viel von Tannos Rotz in sich aufgesogen haben. Sollte sie es mal ausprobieren und schnell die zwei Tücher in ihre Unterhose zurechtlegen? Gedacht, getan….schnell riss sie ihren Rock hoch und faltete die Tücher zurecht und legte sie auf die schon Angeblutete Unterhose. Rasch wieder hinaufgezogen, trat sie auf einem Bein auf das Andere. Spürte die etwas Unangenehmes? Ist ihr das etwas im Wege? Es fühlte sich gar nicht so schlecht an, es war auszuhalten. Ob es das Blut aufsaugte und keine verdächtigen Spuren hinterlassen würden, das wird sich schon zeigen. Es fühlte sich ziemlich gut an, das Vaterland schien gerettet. Sie blieb noch im Schlafzimmer und blickte sich um. Die Vorhänge waren zurückgezogen, die Sonne schien durch das offene Fenster in den Raum. Franzine wagte einen Blick aus dem Fenster, ein wenig gebeugt legte sie den Kopf in ihre Hände, stützte sich auf das Fensterbrett und sah ins Freie hinaus. Sie atmete die frische Luft tief in ihre Lungen, fast erleichtert genoss sie den sanften Windhauch, der ihr Gesicht berührte. Sie spürte keinen Schmerz mehr, vergaß für einige Minuten die trübliche Situation in der sie sich so gut sie konnte, zurechtfinden musste. Küchendüfte aus den umliegenden Wohnungen drangen ihr in die Nase, es wurde mit viel Zwiebel und Knoblauch gearbeitet, verschiedene Speisen die bald auf den Mittagstisch stehen werden wurden gerade zubereitet. Sie spürte, dass sich ihr Magen zusammenzog, der Weg der Speiseröhre bis in ihre Körpermitte schien sich zu schließen, als würde er von unsichtbaren Händen zugemauert. Kein Gedanke mehr an Essen, der Durchgang war abgesperrt. Bernadette schlief friedlich in ihrem Bettchen neben dem Radio, ihre Mahlzeit nahm sie wie immer mit großem Appetit ein. Ein Lichtblick. Sie war verschont von diesen einengenden Gefühlen, die Franzine wieder heimgesucht hatten. Sie schöpfte die frische, laue Luft in sich auf und mit dem Sauerstoff schöpfte sie auch neuen Mut ein.

      Aus der Ferne drang Pferdehufgetrappel, das letzte Fuhrwerk des Ortes näherte sich langsam die Straße entlang. Der alte Kilian, ein krummer Mann mit einem großen Höcker am Rücken fuhr mit seiner Holzfuhre in die nächste Tischlerei. Franzine sah ihm noch lange nach, als er unten mit seinem alten Gaul vorbeifuhr und kraftlos die Pferdepeitsche herabhängen ließ. Ein paar Autos überholten ihn schnell, er nahm keine Notiz davon. Sie betrachtete ihren dünnen Arm, an ihrem Ringfinger glänzte der goldene Ehering, den ihr Ferry bei der Trauung langsam überstreifte und beide sich gelobten, für immer und ewig treu zu sein, sich in guten, wie in schlechten Zeiten zu lieben und zu ehren. Sie beugte sich weiter aus dem Fenster und winkte einem kleinen Mädchen zu, das gerade eine junge Frau im Kinderwagen vor sich her schob. Fröhlich und mit lautem Gequietsche, streckte sie ihre Ärmchen in Richtung Fenster, die Mutter grüßte freundlich zu ihr hoch. Bald waren die Beiden verschwunden. Ein großer Lastkraftwagen donnerte vorbei, der mit ratterndem Getöse die Fensterscheiben erklirren ließ.

      Sie schloss das Fenster, richtete die Vorhänge zurecht und ging wieder in die Küche zurück. Senta stand noch immer am Herd, formte Semmelknödel zu runden Kugeln und legte sie auf ein großes Brett auf der Anrichte. Ferry war schon seit Stunden mit dem Motorrad unterwegs, Tanno war im Werk zur Arbeit. Die brutale Enge in Franzines Körper wollte nicht weichen. Fast nahm sie ihr die Luft zum Atmen. Der Küchengeruch verstärkte ihr Unbehagen, sie fühlte, dass es in ihrem Inneren rebellierte. Sie riss sich zusammen, auch dann noch, als Senta ein großes Stück Rindfleisch zum sieden in den großen Topf warf. Der Geruch der sich ausbreitete schnürte ihr krampfartig den Magen zusammen. Eine unsichtbare Klaue packte ihren Hals und schien zuzudrücken, Speichel sammelte sich in ihren Mund, sie schaffte es gerade noch in die Toilette zu rennen und den ohnehin wenigen Mageninhalt zu erbrechen. Sie fühlte eine kleine Erleichterung die ihren Körper wieder aufrichten ließ.

      „Also doch wieder schwanger“, hörte sie Senta noch nachrufen, doch das Gegenteil war der Fall, die Blutung rann aus ihr heraus, bald würde sie wieder neue Tücher benötigen. Langsam kam sie wieder herein, das Gesicht kalkweiß und schmerzverzerrt. An Essen war gar nicht zu denken, der Gedanke daran bescherte ihr wieder eine Verkrampfung.

      „Nein, ich bin nicht schwanger, ich habe meine Tage“, sagte sie leise, betrachtete ihre schlafende Tochter und legte sich, die Hände an ihrem Bauch haltend, ins Bett. Senta kochte das Essen zu Ende, gefühlskalt, nur mit einigen Blicken an ihre Schwiegertochter gerichtet, schien sie völlig unberührt das Leiden Franzines nicht zu interessieren.

      „Das geht vorbei“, meinte sie kalt, „wir haben das alle durchmachen müssen, morgen bist du wieder gesund, ich werde dir einen Tee richten, Kamillentee löst die Verkrampfung, vielleicht kannst du dann ein paar Bissen essen, wenn du ganz von Kräften kommst, ist uns allen nicht geholfen.“

      „Ich werde es versuchen, nur jetzt geht es nicht, lass mir nur etwas Zeit“, Franzine schloss die Augen und versuchte einzuschlafen. Senta brühte den Tee, schüttelte den Kopf und ließ sie in Ruhe schlafen.

      Ferry kam an diesen Tag nicht nach Hause, auch am darauf folgenden Tag ließ er sich nicht blicken. Langsam erholte sich Franzine wieder, aß sogar ein paar Bissen Fleisch und schaffte sogar eine Scheibe Brot in sich hineinzubringen. Sie trank Tee und Wasser, den grünen Salat mit Tomatenstücken schaffte sie sogar ganz aufzuessen. Der saure Geschmack schien ihr gut zu tun. Tanno begutachtete sie besorgt, hilfsbereit fütterte er Bernadette die von all dem nichts ahnte, ging mit ihr in die Speisekammer zu den Vogelkäfigen wo seine gefangenen Lieblinge kräftig zwitschernd ihren Gesang zum Besten gaben. Sie kreischte fröhlich mit, bewegte ihre Ärmchen unaufhaltsam, fast sah es so aus, als ob sie ihre gefiederten Freunde dirigierte. Franzine lächelte, die Vorstellung der beiden gefiel ihr. Der große Kaktus am Fenstersims öffnete seine purpurnen Blüten, es waren genau 32, die Senta stolz zählte und ihr Freude bereitete. Doch die Enge in der Behausung blieb, Franzines Freiraum wurde immer kleiner, nie war sie auch nur einen Moment unbeobachtet.

      Nach Tagen kam Ferry endlich nach Hause, schmutzig, aber mit bester Laune. Er bezwang den Großglockner mit dem Motorrad, oben angekommen, schnitten ihm die Besucher, als er hungrig in die Hüttengaststube trat, sofort die Krawatte ab die er sich paradoxerweise umgebunden hatte. Auf einem Berg erscheint man nicht mit Krawatte, ein alter Brauch, der sehr gepflogen wurde. Eine große Holzwand zierte von oben bis unten die abgetrennten Schlips, die die ahnungslosen Männer opfern mussten.

      Seine Heimkehr wurde wieder freudig begrüßt, Tanno hatte ein kleines Fass Bier besorgt, das sofort angestochen wurde. Ferry umarmte Franzine heftig, überschüttete sie mit Küssen, Bernadette wurde aus ihrem Bett gehoben und ebenfalls gedrückt und geküsst. Endlich war er wieder da, gesund, munter und gut gelaunt. Glücklich erwiderte Franzine seine Zärtlichkeiten, es ist ja doch alles gut, gute Stimmung verbreitete sich, das Essen schmeckte wieder.

      Samstagabend