Anita Florian

Die Ungeliebten


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rote Farbe. Die Sonne schien, die Luft war frisch und lau. Tanno schnitzte im alten Schuppen an Spielzeugfiguren die Bernadette bald erhalten sollte und damit spielen konnte. Die kleine Familie warf einen Blick in den dunklen Raum wo Tanno emsig schnitzte, drechselte und schliff. Zwei Figuren, die halb fertig auf dem Regal lagen, warteten nur noch darauf Gesichter gemalt zu bekommen und lackiert zu werden.

      „Das sind ja wahre Kunststücke“, rief Franzine freudig aus, „ich wusste nicht, dass du auch ein Meister in Figuren herstellen bist.“

      „Geppetto’s Pinocchio war nicht halb so schön“, gab Ferry stolz zu, Tanno sah zu ihnen auf. „Danke meine Lieben, das Kompliment kann nicht größer sein“, er kam kurz auf sie zu und gab Bernadette einen liebevollen Klaps.

      „Wo geht ihr hin, du wirst doch nicht deine Familie ausführen“, lachte er, strich sich über seine schütteren Haare und nickte Franzine zustimmend an.

      „Es wird Zeit, schließlich muss auch Bernadette die Gegend kennen lernen, man kann nicht früh genug damit anfangen, sie soll wissen, wo sie zu Hause ist, ihre Heimat erkunden, das ist ein wichtiger Aspekt.“ Alle nickten, Ferry hatte damit wohl Recht. Bernadette beherrschte schon ihre ersten Schritte, mit Hilfe von Franzine oder Ferry, geklammert an den schützenden Händen, lief sie schon ein beachtliches Stück des Weges. Bald wird sie freihändig und alleine ihre tapsigen Schritte laufen können. Auf diesen Augenblick waren schon alle gespannt, ein einmaliger, wichtiger Moment, der jede Familie in helle Freude versetzte.

      „Viel Spaß euch, ich mache hier mal weiter, hab noch einige Ideen, die ich verwirklichen will“, sagte Tanno und widmete sich wieder seiner Arbeit. Sie grüßten und begaben sich auf den Weg zur Straße hinaus, diese besagte Straße, die Franzine alleine nicht betreten durfte.

      Weit tat sich die Straße auf, sie verlief mit einigen Windungen durch die spärlich besiedelte Ortschaft. Nördlich durchzogen dicht bewaldete Hügeln das Tal, auch südlich erhob sich eine Bergkette, die das gesamte Tal fast schützend sich stolz hoch empor präsentierte. Franzine kannte die Wälder, noch vor der Heirat mit Ferry, zeigte er ihr die verborgenen Wege, die wie verlassen, wie von Menschenfuß nie betreten, so sah es jedenfalls aus, mutterseelenallein entlanggingen. Die kleinen Häufchen am weichen Waldboden, die von Herhabgefallenen, wie verrostet aussehenden Tannennadeln in der Dunkelheit manchmal zu finden waren, übersah er so gut wie nie. Kleine Zwergenberge aus braunen Tannennadeln die eine Spezialität darunter verbargen, die sie nie vermutet hätte. Obwohl die Sonne heiß vom Himmel schien, drang sie kaum durch die dichten Bäume, doch diese Delikatesse gedieh besonders gut nach regenreichen warmen Sommertagen. Sieh mal, sagte er dann, ich nehme meine Finger, streiche an der Oberfläche die zusammengeklebten Tannennadeln etwas zurück, und siehe: was kommt hervor? Ein Pilz, eine Kappe von einem Pilz, warte, ich werde ihn vorsichtig herausziehen. Er bohrte mit den Fingern etwas tiefer…ganz sanft, der Pilz soll nicht verletzt werden. Und tatsächlich, es kam ein schöner, fast unschuldiger Pilz zum Vorschein den Ferry mit viel Fingerwertigkeitsgefühl zu Tage brachte. Es war wie ein Wunder, der genussvolle Speisepilz, ein junger Steinpilz, der noch in den Kinderschuhen steckte, zeigte eine vollkommene, ausgewachsene Gestalt. Es war selten, dass unter den Tannennadeln Pilze vermutet wurden, doch Ferry wusste Bescheid. Auch ausgewachsene Pilze, die wie mit Regenschirme im Moos, an einem der verborgenen Plätze heranwuchsen, pflückte er, schmackhaft waren sie immer, und sie kosteten rein gar nichts, Sucherglück, wenn man fleißig genug dafür war. Der Wurm kam trotzdem mal in den einen oder anderen Pilz rein, einfach nur schade, das Nächste Mal, geht es besser. Und wirklich, mit Würmern befallene Pilze, gab’s nur selten.

      Und nun war sie auf der Straße, zusammen mit ihrem Mann und Töchterchen, fast hätte sie das nie geglaubt. Der Weg führte in die Ortsmitte, da war Leben, da war etwas los. Sie kamen an die Kneipe vorbei, die einzige im Ort. Tanno war Stammgast dort, das wusste sie. Er wusste es auch, aber nie verlor er auch nur ein Wort davon.

      Gegröle, Lachen, von Männern aus den Inneren der Kneipe, die für so manch Arbeitern, die pflichtgemäß ihre Schicht in der Kabelfabrik ihre Arbeit mit Fleiß verrichteten, die selten nach Hause gingen, zu ihren angetrauten Frauen, fanden hier ihre karge Abwechslung. Der einzige Ausgleich, das einzige Vergnügen. Das alltägliche Gasthaus…“Yolandas Bierparadies“, wer konnte von den hart arbeitenden Männern, die ihre Frauen und Kinder durchbringen mussten, schon widerstehen bei Yolanda einzukehren? Und den Nachwuchsvätern, die gerade erfahren hatten, dass sie in nächster Zeit Alimente zahlen mussten, traf man hier genauso an, wie einige Studenten aus der Nachbarschaft die den Mut hatten um hier ihr Bier zu trinekn. Nach der anstrengend Arbeit, das beste Paradies, mit Krone am Bierglas und eine Kellnerin und Wirtin, die alles besser zu verstehen vorgab, als alle Ehefrauen der Welt zusammen.

      Yolanda lachte oft und viel. Ihre für eine Frau zu tiefe Stimme war weit zu hören. Sie rügte oft so manchen Gast, der zu wenig Geld eingesteckt hatte und die Zeche nicht bezahlen konnte. Doch sie arbeitete wie ein Tier bis tief in die Nacht. Morgens um 9 Uhr stand sie wieder hinter der Theke, servierte, kassierte und polierte. Sie war eine Exotin die die meisten Männer hierzulande als, ja, sexy bezeichnen würden. Ferry zeigte Franzine das Gasthaus aus dem gerade lautes Männerlachen zu vernehmen war, doch es kam ihm nicht in den Sinn mit seiner Frau und seiner Tochter sich einen Schluck zu genehmigen, sie gingen daran vorbei und Franzine überkam eine wahre Lust nach einem Glas Bier. Sie fragte ihn nicht, sie blieb stumm.

      Franzine schritt des Weges mit Ferry, die ihre Tochter Bernadette stolz auf den Armen hielt und immer den Gruß erwiderte den ihnen entgegengebracht wurde von Menschen, die die Familie kannte, die ohnehin jeden Fremden grüßen würden der sich hier verirrte, denn dies war hier Sitte! Freundlichkeit wurde hier groß geschätzt! Kein Fehler, denn die meisten Menschen hatten freundliche Augen in ihren alten und jungen Gesichtern.

      Irgendwo da oben, südlich, das wusste Franzine, hatte Tanno sein Mooslager. Niemand kannte den Platz, nicht mal seine langjährige angetraute Ehegemahlin Senta. Nein, er wollte Abstand halten, auch von Senta. Wenn er nach Hause kam, Franzine hantierend mit irgendwelchen Haushaltskram mit trauriger Miene, ja wie eingesperrt, keine Freiheit, kein Lager für sich selbst, doch dies was ihr hier geblieben ist, hatte sie mit viel Gefühl zurechtgerichtet. Schätzte es ihr Ehemann eigentlich? Ihr Gatte, der auch mein Sohn ist? Kann sie sich auch mal in die Stille begeben, sich ein irgendwann ein Lager richten, ein besseres, ein helleres, wo sie niemand stören kann? Tanno machte sich Gedanken, aber sie halfen ihm nicht einen Ausweg zu finden der für seine Schwiegertochter vielleicht am Besten wäre.

      Der Spaziergang war für alle eine angenehme Überraschung. Mitten im Ort zu stehen und zu schauen, die Straßen bogen ab, kleine Wege, die bergauf führten, bergab, irgendwohin.

      Aus einem inneren Impuls heraus, besah sich Franzine die langen Wege, die weitab in sämtliche Richtungen führten, die land abseits abzweigten, die friedlich, ohne einen Menschen darauf, den wie fast ausgestorbenen den Asphaltweg freigaben. Sie hatte doch keinen Grund dazu? Warum nur tat sie das? Sie hörten Musik, aus der Musikbox von Yolandas Gasthaus, es war laut, die Klänge erfüllten den halben Ort.

      Bernadette auf Ferrys Arm quietschte, sie war guter Dinge und hatte keine Ahnung von den Gedanken ihrer Mutter. Noch lange hörten sie die Klänge, ganz dumpf, Fröhlichkeit, Ausgelassenheit….nach getaner Arbeit das wohlverdiente Vergnügen.

      Ihr Mann war da, ihr angetrauter Mann, den sie liebte, den sie niemals verlassen würde, ihre Tochter, die Frucht ihrer Liebe, alles würde sie tun, ja alles. Doch die Straßennummern und die Seitengassen dieser Ortschaft; die würde sie sich merken. Natürlich kannte sie die Gegend, sie war mal ausgerissen, damals als sie die Schule schwänzte, und als Mutprobe mit ihrer Schulfreundin Sabrina ausgerissen ist. Da sind sie auch hier durchgeschlendert, aber aufregend war es nicht, keine aufregenden Kerle ließen sich hier blicken. Trotzdem war es schön, das Tal verlief lang, dies genauer zu erforschen, konnte nicht jeder. Nur Ausreißer, die per Anhalter den Mut hatten mitgenommen zu werden, wer konnte sich schon eine Bahnfahrkarte oder einen Omnibus leisten der noch in die Schule ging? Eigentlich gar keiner hier.

      „Schöner, sehr friedlicher Ort“, bemerkte Franzine lächelnd und strich ihrer Tochter sanft über den Babykopf.

      „Bis die Proleten aus dem Werk kommen, dann ist es hier nicht mehr so friedlich“, sagte Ferry mit