Anita Florian

Die Ungeliebten


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nicht gleich nach dem Aufwachen den Appetit verderben.“

      „Bringen wir es hinter uns, wappnen wir uns mit tröstenden Worten, sie soll das Gefühl haben, dass wir beide sie lieben, der Abschied darf nicht in einem schmerzvollen Auseinandergehen enden.“ Tapfer richtete Franzine sich auf, sie wusste, Bernadette kommt in die besten Hände, war überzeugt, dass die Monate im Fluge vergehen und sie ihre Tochter wohlbehalten wieder in die Arme schließen kann.

      „ Vielleicht erleben wir eine Überraschung und sie wird sich vor Freude kaum halten können, so, und nun fangen wir mal zu frühstücken an, lass sie nur schlafen.“ Dorothea hatte Recht, und das wusste Franzine ganz genau.

      Bald darauf öffnete sich leise die Schlafzimmertür und Bernadette kam langsam und schlaftrunken auf die beiden Frauen zu.

      „Da bist du ja, unser Engel kann noch gar nicht aus den Augen sehen“, lachte Dorothea, Mutter und Schwester küssten sie und hoben sie auf den Sessel. Sie rieb an ihren Augen und gähnte ausgiebig, ein Bild, das helllautes Gelächter hervorrief. Ihre Augen wurden größer, als sie die vielen Köstlichkeiten vor sich ausgebreitet sah und dabei ihre kleine Teeschale umstieß. Dorothea schnitt ein Mohnweckerl auf und bestrich es mit der köstlichen Nusscreme.

      „ Hallo, hallo, nicht so schnell Kleines“, rief Dorothea, Bernadette aß mit einem schnellen Tempo, dass beide Frauen erschrocken auf das Mädchen starrten.

      „Es schmeckt so…es schmeckt so gut…“ würgte sie hervor und kaute laut.

      „Langsam, niemand nimmt dir was weg“, sagte Franzine und war glücklich, das ihre Tochter großen Appetit verspürte. Der nächtliche Zwischenfall schien vergessen.

      „Oh, meine Vergesslichkeit wird mich noch einiges kosten“, sagte Dorothea und zog aus ihrer Handtasche einen Reklamezettel und zwei Briefe hervor, „ich hab dir deine Post mitgebracht, ein Luftpostumschlag ist dabei, wie interessant“, lächelte sie, zog die Augenbrauen schelmisch hoch und zwinkerte.

      „ Das ist von Ignazia, sie hat aus Kanada geschrieben, das ging ja sehr schnell“, neugierig nahm Franzine die Umschläge entgegen, während Dorothea mit Bernadette das Frühstück weiter einnahm. Ein Erlagschein für die nächste Miete war in den zweiten Brief, den Franzine hurtig weglegte.

      „Das muss noch warten, ich habe noch nichts verdient, der Vermieter bekommt sein Geld schon“, sagte sie gedehnt, „erstmal bin ich gespannt wie es meiner missenden Freundin geht.“

      „Du musst mir noch mehr von ihr erzählen, ich bin schon sehr gespannt darauf. Es war bestürzend was du mir gestern noch erzählt hast, so hat es also angefangen. Du durftest keinen Schritt aus dem Haus gehen, du hast niemals Geld erhalten, wie eine Gefangene hast du gelebt…..es tut mir so Leid.“ Dorothea war plötzlich mit Mitleid erfüllt.

      „Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht, das sich alles verschlimmern sollte, die Schlinge immer enger wurde, und dies von allen Seiten, außer von Tanno, er war der Einzige, der stets zu mir gehalten hat.“ Traurig ließ Franzine die Briefe sinken und starrte leer vor sich hin.

      „Und er konnte dir nicht helfen?“ frage Dorothea.

      „Nein“, Franzine schüttelte den Kopf, „ manchmal wollte er mir 20 Schilling heimlich in die Hand drücken, ich habe abgelehnt, wie hätte ich es ausgeben können? Hätte Ferry bemerkt dass ich etwas Geld besitze, wäre er auf alle möglichen Gedanken gekommen. Alles was ich benötigen sollte, würde ich von ihm, beziehungsweise von Senta bekommen, hätte ich etwas dagegen erwidert, hätte ich seinen Zorn noch mehr gereizt.“

      „Was ist mit Annelie und Pepp, haben sie irgendwie mitbekommen wie schlecht du behandelt wirst?“

      „Ja, das haben sie allerdings, aber das schildere ich dir später, auch dies ging verheerend aus. Bernadette, bist du nun fertig?“ Franzine wischte ihrer Tochter den Mund ab.

      Der große Augenblick war nun gekommen, sie sollte es nun erfahren, jetzt, in dieser Minute. Sie wussten nicht, wie sie beginnen sollten. Bernadette schaute sie fragend an, sie spürte, dass etwas Unangenehmes auf sie zukommen würde. Dorothea nahm sie auf den Schoß und suchte nach passenden Worten.

      „Hör mir bitte zu Bernadette, was würdest du sagen, wenn du mit mir kommen könntest, in ein wunderschönes Land….“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen zeigte sich Bernadette neugierig, sie blickte auf und verzog keine Miene.

      „Zu den hohen Schuhen?“ fragte sie und schaute sich nach ihrer Mutter um.

      „Ja, aber nicht für immer, nur für ein paar Monate, du weißt ja das ich im Krankenhaus arbeiten muss um Geld zu verdienen, da muss ich auch über Nacht bleiben, ich kann dich nicht alleine zu Hause lassen, wenn du dann in die Schule kommst, bist du wieder bei mir.“ Sanft strich Franzine über ihre Haare und war sich bewusst, wie lange ein paar Monate für ein Kind dauern können.

      „Ich hab euch gehört in der Nacht“, sagte sie, „ich soll mitfahren mit Tante Dorothea, ich sehe dich dann nicht mehr, dann habe ich geweint, aber dann habe ich an die hohen Schuhe gedacht, vielleicht bin ich dann schon so groß, dass ich mir auch solche kaufen kann.“ Ihre Worte ließen beide Frauen schmunzeln.

      „Bis dahin wahrscheinlich noch nicht, aber ich verspreche dir, wenn du größer bist, gibt es noch schönere und noch höhere Schuhe für dich“, meinte Dorothea während sie Bernadette sanft auf den Knien schaukelte.

      „Fein“, rief sie, „ ich warte so lange. Und was ist mit Pucki und Tanja, die dürfen doch nicht mitkommen, oder?“

      „Pucki, Tanja und deine anderen Freunde sind noch da wenn du zurückkommst, Tante Dorothea hat nur Platz für dich, sie werden dann alle staunen, wie groß du geworden bist wenn du wieder hier bist.“ Franzine war erleichtert, es entwickelte sich besser als gedacht.

      „Jetzt ziehst du dein bestes Kleid an und gehst dich bei deinen Freunden und Nachbarn verabschieden, spiel noch mit Pucki wenn es Frau Ardos erlaubt, lass dir ruhig Zeit Kleines, vergiss auch Frau Edler, ihren Mann und ihren Sohn nicht, sie sollen alle sehen, das du ein gut erzogenes kleines Mädchen bist“, sagte Dorothea und schickte Bernadette zum Zähneputzen. Sie nahm den Schemel, stellte sich vor die Spüle und begann mit der Zahnreinigung.

      Als sie fertig war rief sie: „Wann fahren wir, kommt dann Mama auch?“

      „Wir werden sehen ob es sich ausgeht mein Kleines, ich kann es dir wirklich nicht versprechen.“ Auf diese Frage war Franzine vorbereitet gewesen, „wenn ich nicht kommen kann, darfst du bitte nicht traurig sein.“

      „Ich werde ganz brav sein, ich werde den ganzen Tag Schuhe anschauen.“

      „Die haben es ihr wohl angetan“, lachte Dorothea, „na, ich werde einen ausgedehnten Schaufensterbummel mit ihr unternehmen, ich glaube, das wird ihr bestimmt gefallen, ich werde ihr die schönsten Schuhgeschäfte zeigen.“

      „ Da kriegst du sie nicht mehr weg, deine Geduld wird auf eine harte Probe gestellt“, sagte Franzine lachend und begab sich mit Bernadette ins Schlafzimmer und suchte ihr schönstes Winterkleid heraus.

      „Keine Sorge“, rief ihr Dorothea nach, „mich bringst du aus einem Schuhgeschäft auch nicht so schnell hinaus.“

      Bernadette, in einem wunderschönen himmelblauen Wollkleid mit bestickten Blumen mit weißer Strumpfhose erschien graziös vor ihrer Tante und drehte sich im Kreis. Dorothea hob sie hoch und wirbelte mit ihr herum.

      „Jetzt ziehst du noch deinen Mantel und die Stiefel an, dann besuchst du deine Freunde und Pucki, warte, hier hab ich noch ein mit Nusscreme dick bestrichenes Mohnweckerl, das ist für Tanja, sie wird sich bestimmt freuen.“

      „Das gebe ich ihr gleich bevor es hart wird, das wird bald in ihrem Bauch landen“, sagte Bernadette fröhlich und schlüpfte in ihren Mantel.

      „Lass dir ruhig Zeit Kindchen, deine Mutter und ich haben noch viel zu bereden.“

      Bernadette nickte, öffnete die Tür und ging hinaus.

      Während Franzine den Brief von Ignazia