Anita Florian

Die Ungeliebten


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weiß was du denkst“, sagte sie plötzlich, „ ich unterstütze dich nur, ich halte dich nicht aus.“ Und somit hatte sie wieder ihre Gedanken erraten, Franzine wurde rot. Auch das bemerkte Dorothea und schickte sie nun zum Baden in den Keller.

      „Mach du den Anfang, hier, nimm die Nr.5 Seife von Chanel, es wird deiner Haut schmeicheln und du wirst duften wie ein Blumengarten am Morgen.“

      „Danke, meine Schwester, ich weiß nicht, wie ich dir danken soll…“ Tränen füllten Franzines Augen.

      „Nun geh schon, unsere Bernadette wird sich bestimmt auch freuen, wenn sie sich in die Wanne setzen kann“, sagte Dorothea und versuchte Franzine von diesen Gedanken wegzubringen, was ihr schließlich in diesem muffigen Raum auch gelang. Franzine nahm freudig die in Papier eingewickelte Seife mit dem blumigen, teuren Duft entgegen und ging in Richtung Keller um das erste Bad in der neuen Wohnung ausgedehnt zu genießen.

      1965 – 1966

      Schon früh konnte sich Franzine selbstständig entwickeln und sich manch Dinge, die ihrem Alter noch nicht entsprechend waren, aneignen. Sie lernte auf sich aufzupassen, nicht nur im Straßenverkehr, der ein wahres Horrorszenario für altere Menschen darstellte, sondern sie konnte die meisten Anforderungen, die an sie gestellt wurden, mit Leichtigkeit erfüllen. Sie fasste viele Dinge schneller auf als ihre Schulfreundinnen oft je vermochten, dann ratlos in die Gegend blickten und hilfesuchend nach Beistand Ausschau hielten. Franzine, falls sie in ihrer Nähe weilte, versuchte eine geeignete Lösung zu finden. Dankbarkeit war zwar nicht immer zu erwarten, doch sie kümmerte sich nicht darum. Wichtig war nur ihre Erkenntnis und Erfahrenheit, die sie gern einsetzte und nicht selten von den Ratsuchenden lobend beglückwünscht wurde.

      Hier schienen sich die Dinge anders zu gestalten, ihre Meinungen wurden entweder überhört, oder mit einer ausladenden Handbewegung abgetan. Junge Frauen, die sogar schon Kinder hatten, kamen bei Senta meistens schlecht weg. Sei es die zu hoch toupierte Frisur, oder den zu kurzen Rock, über alles schien sich Senta aufzuregen, das Wort Toleranz oder Modernität, kamen in ihrem Wortschatz nie vor. Obwohl viele dieser jungen Frauen eine gute Ehe führten, oder sich im Beruf etablierten, fielen ihr vorrangig die zu gewagten Erscheinungen auf, die der Zeit entsprechend auftraten und durchaus nicht zu verübeln war. Sie wetterte oft stundenlang über diese langhaarigen Ziegen, die so gar nichts vom harten Leben verstehen und es ihnen nur zu wünschen wäre, auch mal die härteren Zeiten mitzuerleben. Sie sollen endlich begreifen, dass dies der Untergang aller Anständigkeit und aller Regeln sei, die ja schon seit Menschenbestehen Gültigkeit hat und die neue, moderne Zeit, das Übel aller rechtschaffenen Menschen einleiten würde. Mutige junge Männer, die sich die Haare bis über den Nacken wachsen ließen, waren verpönt und wurden aufs tiefste verachtet, zumindest bei den Menschen, die schon ein fortgeschrittenes Alter erreicht hatten. Franzine war also wieder in eine der Haar-Fallen gelandet. Die Zöpfe sind zwar gewichen, der große Knoten am Hinterkopf den sie oftmals trug, beherrschte sie nach einigem Üben perfekt. Doch auf die Frage, ob sie die Haare etwas kürzen könne, verbot es ihr Ferry ohne Angaben von Gründen. Die langen Haare müssen so bleiben, wie sie sind. Kleider oder Röcke, die über dem Knie endeten, kamen sowieso nicht in Frage. Nicht, das es Franzine viel ausgemacht hätte, sie fand ihre Beine zu dünn, Waden und Schenkeln waren praktisch nicht vorhanden, aber ausprobiert hätte sie doch mal gerne dieses oder andere Modestück, die sie meist nur in Versandkatalogen bestaunen durfte. Senta bekam sie jedes Jahr im Frühjahr und Herbst zugeschickt, Franzine konnte es dann kaum erwarten die Modeseiten durchzustudieren. Ihre alten Sachen trugen sich ab, was Neues kam kaum dazu. Freya schenkte ihr manchmal eine Jacke oder Bluse, auch umgenähte Stoffhosen und Kleider. Entsprachen sie Ferrys Geschmack, durfte sie die Sachen behalten, ansonsten musste Freya die Stücke wieder zurücknehmen. Niemand fragte Franzine nach ihren Wünschen wenn es um Kleider ging, hier regierte Ferry über sie, was ihm gefiele, gefiele schließlich auch seiner Frau. Natürlich hätte Franzine sämtliche Sachen lieber behalten die ihr ausgesprochen gut passten und ihren Typ unterstrichen. Schweren Herzens trennte sie sich wieder nach einigen kurzen Augenblicken von den verlockenden Anziehsachen, Ferry ließ keine Gnade walten. Anfangs wunderte sich Freya über Ferry, der ihre Tochter nie aus den Augen zu lassen schien. Aber dann kam der Ärger, nach und nach. Sie vertraute auf Franzine und hoffte, dass sie sich bald zur Wehr setze und die Lage sich bessern oder ändern würde. Geld war kein Thema zwischen den beiden Eheleuten, alles was sie brauche, würde sie ja schließlich auch bekommen.

      Bernadette war der einzige Lichtblick in der Familie. Sie war auch die einzige, die die neuesten Kleidchen trug und alle paar Wochen von Tanno beschenkt wurde. Er kannte sich aus mit Babysachen, er konnte an keiner Kindermodenauslage vorbei gehen ohne etwas mitzunehmen. Rosa Rüschenkleidchen für sie brachte er genauso wie kleine Püppchen und Teddybären mit nach Hause um es ihr freudestrahlend ins Gitterbett zu legen. Ein großes Aufatmen von Franzine, die dankbar ihre kleine Tochter versorgt wusste. Die Sehnsucht nagte in ihr, auch sie wollte einmal ein nagelneues Kleid anziehen, Freya bekam sie ja nur billiger und getragen von ihrem Bekannten der ständig in Europa herumreiste und in Sachen Mode ein ausgesprochen gutes Händchen hatte. Die Ausnahme war der Brautkleidstoff, den er ihr frisch aus der Stofffabrik für Franzine aus Paris schickte und trotzdem einen angemessenen Preis verlangte. Das einzige modische Prunkstück, das nun in einmaliger Ausfertigung im Schlafzimmer der Schwiegereltern im Kasten hing und bereitwillig, ohne die Chance sich zu wehren, den alten Modergeruch in sich aufsaugen konnte. Freya machte sich Sorgen, Sorgen um ihre Tochter und um ihre Enkeltochter, die sie so selten zu Gesicht bekam, als sie sich das je gedacht hatte. Franzine dachte nicht darüber nach, es hatte keinen Zweck, die Liebe war noch frisch und was machte schon ein Brautkleid aus, dass sie ohnehin nie wieder tragen wird.

      Franzine hielt die unfreiwillige Vereinbarung ein, des Friedens Willen, denn was würde es ihr bringen, wenn sie sich mit ihrem Mann um diese Kleinigkeit des Ausführens um ihre Tochter diesbezüglich, auseinandersetzte, sie musste nachgeben, er zeigte keine Spur von Verständnis. Er brachte es nicht auf, ihr dieses kleine Vergnügen, Bernadette und sie selbst, mal ins Freie zu bewegen und auch die andere Straßenseite zu sehen, einmal sich weiter vom Haus zu entfernen, sich die Ortschaft und die Umgebung mit ihr anzusehen. Es war unmöglich, er hielt es für unsinnig, sie solle das all Schlechte nicht wahrnehmen, dass sich vielleicht mehrere Meter vom Zuhause auftun würden. Eine Vorstellung, die sie weder annähernd verstehen konnte, noch, dass sich in dieser friedlichen Gegend was Schreckliches ereignen würde. Alles war still, nicht einmal ein Verkehrsunfall war zu vermelden. Nichts, nur die Vögel in den Bäumen vorm Haus zwitscherten am Morgen, Fahrradklingeln die manch Fahrer nur ausprobieren wollten waren zu hören, oder Ferrys Motor, den er vehement ankurbelte, um seinem Gefährt noch mehr Kraft einzuflössen versuchte. Auspuffwolken erfüllten dann den kleinen Hof, Benzingeruch drang allen in die Nasen. Ein paar Kinder spielten im Sandkasten am Nachmittag, wenn die Eltern ihre Ruhe haben wollten.

      Als Franzine wieder ihre Regel bekam, suchte sie verzweifelt nach den Binden, die sie immer kaufte und die ihr auch den nötigen Schutz gaben. Es war keine mehr zu finden, Senta stand wieder am Herd und rührte eine dicke Erbsensuppe an. Sie raffte sich auf, obwohl sie dieses Thema nie anschnitt und dies eher zu verstecken versuchte, musste sie nun Senta um Ersatz fragen. Das Blut saugte ihre Unterhose auf, die Oberschenkel waren voll Blut und bald würden diese Stellen offene Wunden aufweisen. Sie hatte Unterbauchschmerzen und hielt sich des Öfteren krumm und versuchte das alles zu ignorieren. Sie wollte es nicht zur Schau stellen, dieses normale wiederkehrende monatliche Frauenproblem, das müsste doch Senta mehr als gut nachvollziehen können.

      „Hast du einen Monatsschutz da?“ begann sie zu fragen, kam langsam auf sie zu und sah sie fragend an.

      „Was meinst du mit Monatsschutz?“ fragte Senta mit finsterer Miene und bröckelte einen Suppenwürfel in den Topf.

      „ Ich habe meine Menstruation bekommen“, sagte Franzine und wusste nicht, dass sie gerade ein Fremdwort benutzt hatte.

      „Was soll das sein“, fragte sie unwissend, „was ist das, bist du wieder schwanger?“

      Franzine erkannte sofort, dass Senta damit nichts anfangen konnte.

      „Nein, im Gegenteil, ich habe…..die Regel, weißt du, ich finde keine Binden mehr.“

      Senta