Anita Florian

Die Ungeliebten


Скачать книгу

keinen Gram ihr gegenüber aufkommen ließen. Ignazia fühlte Trauer, Unbehagen und Schmerz, andererseits durfte sie sich nicht wundern, sie überlegte nicht, dass es den meisten missfallen und sogar ärgerlich machen könnte, dass sie sich abwenden werden und Stephanie Glauben schenken würden. Das sie in eine Zweisamkeit eingedrungen war, die staatlich besiegelt, vor Gott und dem Gesetz Gültigkeit besaß. Kann man dieses innere Gefühl, das sich in ihr regte, jedes Mal wenn sie ihn traf, einfach abstellen? Natürlich nicht, und so erhob sie eines Tages den Kopf, atmete tief durch die Nase ein und sagte laut zu sich selbst: Jetzt erst Recht, die Leute müssen sich daran gewöhnen und dann werden sie verstummen. Sie werden die Wahrheit herausfinden, und dann werden sie mich auch verstehen.

      Ein neues Leben hat nun in die bescheidene Behausung der Tennenbachs Einzug gehalten. Beharrlich und äußerst laut schreiend, gab Bernadette zu verstehen, dass sie Hunger hatte und gestillt werden wollte, denn keine Minute vorher war sie zu beruhigen. Schreiend setzte sie ihren Willen durch und niemand durfte sich abwenden, wenn sie nicht zufrieden gespeist und ihre Einheiten an Zuneigung bekommen hatte. Liebevoll saß dann Franzine auf dem Bett und ließ das Baby an ihrer Brust die Milch saugen die Bernadette gurgelnd schluckte und fast nie satt zu kriegen war. Sie spielte nach den Bäuerchen mit ihr, denn wenn die Babyrassel über ihren Kopf zu hören war, quietschte sie vor Freude auf und griff mit ihren winzigen Fingern danach. Zu dritt schliefen sie nun in der großen Küche, Bernadette in dem liebevoll ausgestatteten Gitterbettchen das gleich neben dem Radiotisch aufgestellt wurde. Oftmals nahmen sie Bernadette zu sich ins Bett, legten sie in die Mitte, herzten und liebkosten sie, die Freude der beiden Eheleute war ihnen buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Das Glück schien perfekt, es spielte keine Rolle ob Geld vorhanden war oder nicht, irgendwie schien es immer vorwärts zu gehen. Senta versorgte die Familie mit ihrer Selbstgekochten Hausmannskost die oft üppiger ausfiel als alle angenommen hatten. Tanno arbeitete regelmäßig im Stahlwerk und brachte so manch köstliche Überraschung auf seinem Nachhausweg mit. Gefischte Forellen aus dem nahe liegenden Fluss, frisch geschlachtete Hühner, die sich dann sogleich in panierte Knusperhühner verwandeln ließen. An Hunger litten sie nicht, das Geld verflüchtigte sich zwar rascher als der Monat auch nur zur Hälfte herum war, doch das schien niemanden zu beängstigen. Ferry verlor kein Wort mehr über seine Arbeitssuche, lieber verschwand er auf seinem Motorrad. Mit rasender Geschwindigkeit fuhr er durch den Hof auf die Strasse, sagte kaum ein Wort wohin sein Ziel gehe und erschien oft zwei Tage später wieder zu Hause. Franzine, die sich keine Gedanken über Ferrys Aufenthalt machte, freute sich um so mehr ihren Gatten wieder bei sich zu haben. Männer brauchen ihre gewissen Freiheiten, irgendwann hatte sie dies schon früher gehört, so stellte sie auch keine Fragen und ließ ihn ziehen, wann immer es ihm gelüstete.

      Bernadette gedieh zu einem prächtigen Wonneproppen heran, ihre Bäckchen, die eine gesunde rosige Farbe aufwiesen und an einem putzigen Goldhamster erinnerten, brachte viel Freude in das karge Dasein der Familie. Fröhlichkeit verbreitete sich nicht nur in der Wohnung, auch sämtliche Bewohner des Hauses waren entzückt, wenn Franzine mit den Kinderwagen im Hof ihre Runden spazierte, sie manchmal aus dem Wagen hob und mit ihr den Gang fortsetzte. Nicht selten traten sie auf Franzine zu und bewunderten ihr Kind, das ihnen mit fröhlichen Gesichtchen entgegenlachte. Schon lange hatten sie kein so fröhliches Kind im Hof gesehen, geschweige denn, in ihrer unmittelbaren Nähe wahrgenommen. Umso glücklicher stolzierte Franzine mit lächelndem Gesicht den Weg des Pfades auf und ab.

      Ferry kam mit lautem Motorengeheul herangebraust, während Franzine ihre kleine Tochter wieder an die frische Luft führte. Das kleine Mädchen jauchzte auf, das Motorengeräusch schien ihr zu gefallen. Er stellte das Motorrad sachte an den Sprossen des Schuppengatters ab, zog zaghaft seine Handschuhe von seinen Händen und kam langsam auf Franzine zu. Sein Ausdruck verhieß nichts Gutes, wie aus Stein gemeißelten starren Gesichtsausdruck kam er näher. Zu spät erkannte Franzine, dass er aufgebracht und wütend mit zitternden Lippen und lauter Stimme zu reden begann.

      „Was machst du hier unten, du gehst mir zu oft aus dem Haus, untersteh dich auf die Strasse hinaus zu gehen mit meiner Tochter, ihr habt nichts verloren da draußen, dein Platz ist oben und ich erlaube nicht, dass du mit ihr auch nur einen Schritt auf die Straße wagst, hast du mich verstanden?“ Geschockt blickte sie ihn an, unfähig auch nur einen Satz zu formulieren um ihm zu erklären, dass dies ein harmloser Spaziergang im Hof sei wo keine Gefahren auf sie warteten. Nein, sie verstand nicht, was wäre schon dabei ihre kleine Tochter auch mal in den Ort zu schieben und einen ganz normalen Einkauf zu tätigen? Sie hatte nie danach gefragt. Erst jetzt kam ihr ins Bewusstsein, das sie noch niemals zum Einkaufen geschickt wurde und keine Minute für sich alleine hatte. Das ihr noch niemals Wirtschaftsgeld ausgehändigt wurde, alle anfallenden Kosten von Tanno oder Senta getätigt wurden. Das Übrige fraß Ferrys Motorrad, das nicht selten eine Reparatur brauchte und auch dies von Tanno bezahlt wurde. Ferry bezog nur Taschengeld das er von seinen Eltern mehrmals im Monat zugesteckt bekam. Blitzartig durchfuhr es Franzine, erst in dieser Sekunde fiel ihr auf, dass dies ein Zustand bedeutete, den sie bisher keine Beachtung geschenkt hatte. Ein Zustand, der sich so schnell nicht ändern sollte.

      „Ich hatte nicht vor auf die Straße zu gehen, warum bist du so böse, ich habe nichts verbrochen, was ist eigentlich mit dir los?“ sagte sie plötzlich von Angst gepackt. Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, spürte sie sogleich einen brennenden Schmerz auf ihrer Wange, Ferry, mit ungebändigtem Zorn, schlug ihr ins Gesicht, riss ihr Bernadette aus dem Arm und rannte überstürzt nach oben.

      „ Stell den Wagen ins Treppenhaus, dann komm sofort herauf“, rief er ihr zu und war auch schon verschwunden. Völlig verdutzt rieb sie sich die Wange und unterdrückte ein Schluchzen. Langsam schritt sie nach oben, was erwartete sie nun?

      Tanno saß bei Tisch und schnitzte Stäbe für einen neuen Vogelkäfig. Er schien bedrückt und verlegen, hielt den Kopf gebeugt und sah kaum auf, als sich Franzine langsam an den Tisch setzte. Bernadette lag in ihrem Bettchen und war eingeschlafen. Die Wange brannte und wurde heiß. Senta kam zur Tür herein, Ferry folgte ihr mit nacktem Oberkörper. Sie sprach kein Wort während sie die alte mechanische Kaffeemühle aus dem Schrank holte, zögernd die Bohnen hineinschüttete und langsam die Kurbel andrehte. Ferry setzte sich auf das liebevoll zubereitete Bett und fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht.

      Noch immer starrte Franzine zu Tanno’s Fingern, die hurtig handwerkten und die Späne auf den Tisch fallen ließen.

      „Das wird ein neues Zuhause für eine Blaumeise“, erzählte er ihr, richtete den Blick kurz auf sie und nagelte die fertigen Stäbe mit kleinen Nägeln sorgfältig zu einem Käfig zusammen. Er maß den Freiraum für das Türchen aus, dass schon fertig neben ihm lag.

      „Oh, das wird wunderschön“, sagte sie zögernd, „du bist der beste Vogelkäfigarchitekt.“ Und tatsächlich, die Sprieße und das Badehäuschen für den neuen gefiederten Freund, waren perfekt an ihrem Platz gebaut worden. Langsam stand Ferry auf, stellte sich hinter seinem Vater und blickte ihm über die Schulter. Franzine wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte, so blieb sie sitzen und sah unbeweglich auf Tanno’s Arbeit.

      „Wenn du eine fängst“, unterbrach er die Stille, „ die sind doch schwer zu fangen, was legst du in den Köderkäfig hinein? Glaubst die kommt einfach angeflogen und will von dir gefangen werden?“ Seine Aggression war noch nicht ganz abgekühlt, doch langsam regte sich in ihm das Gewissen. Senta kurbelte weiter an der Kaffeemühle und wagte noch kein Wort zu sagen.

      „Gut, dass die Kleine schläft“, meinte er dann, „sie war müde und du hast das nicht einmal bemerkt“, wandte er sich nun an Franzine die ihm jetzt direkt in die Augen blickte und keine Angst mehr verspürte.

      „Deshalb war ich mit ihr im Hof, ich wusste das sie dann einschlafen wird, du solltest wissen, das ihr das gut tut, das es gesund ist und ich nur das Beste für sie will, das ist doch ganz normal, ich verstehe dich nicht.“

      „Du gehst ein bisschen zu oft raus, das muss nicht sein“, warf Senta ein und zog einen Kaffeefilter aus der Packung.

      „Wie bitte?“ sie glaubte nicht recht gehört zu haben, „welchem Kind schadet schon frische Luft, es ist warm draußen, sie bekommt Appetit, sie fühlt sich wohl wenn ich sie spazieren führe.“

      „Wir