Anita Florian

Die Ungeliebten


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gezimmerten Käfig in die Speisekammer. Gehorsam stand sie auf und deckte den Kaffeetisch. Fröhliches Gezwitscher drang wieder durch die offene Speiskammertür, Tanno hielt seine Vögel gut und pflegte sie sorgfältig.

      Die Nacht nahte und es wurde Zeit ins Bett zu gehen. Die Großeltern hatten sich wieder ins Schlafzimmer zurückgezogen, Ferry und Franzine waren allein in der Küche.

      Franzine, die ganz in Gedanken das Bett abdeckte, schöpfte neue Hoffnung. Bernadette schlief friedlich im Bettchen und gab leise Atemzüge von sich, ein Bild, das sich jede glückliche Familie nur wünschen konnte. Noch immer gab Ferry nicht zu verstehen, dass es ihm Leid tue, das, was er in den Nachmittagsstunden Franzine, Unbegründetherweise, angetan hatte, ihm reute und um Entschuldigung flehen würde. Er schwieg, still und müde begab er sich zu Bett. Franzine legte sich neben ihn, sie fühlte sich deprimiert, fühlte sich schuldig, schuldig, für eine ganz normale Sache. Es war wie sonst, Ferry streichelte sie zärtlich, tat, als ob nichts geschehen wäre. Franzine gab sich hin, sie war überzeugt, dass er dies schnell vergessen und sich alles ins Gute auflösen würde. Er meinte es nicht ernst, er hatte vielleicht einen Anflug von Sorgen die doch Jedermann verstehen und nachfühlen konnte.

      Die Nacht verlief voller Liebe und Zuneigung. Kein Wort mehr von den bösen Zwischenfall, es konnte doch nur ein Irrtum gewesen sein.

      Er hatte die Hosen kaum rauf gezogen, so fand er seine Sprache wieder. Der Morgen war lau und der Kaffeeduft von den frisch gemahlenen Bohnen aus der Packung, die Senta malte, in der alten Kaffeemühle die sie zwischen den Knien hielt und neugierig auf das glückliche Ehepaar blickte, wartete sie auf die Worte, die ihr Sohn an seine Frau richtete.

      Franzine, die wieder das Bett richtete, spürte, dass sie sogleich etwas vernehmen würde, etwas, das ihr nicht behagen sollte.

      „Zweimal pro Woche, zweimal, das müsste genügen…“ er wandte sein Gesicht zu Boden und scharrte einen Holzspan von Tannos Vogelkäfigarbeiten am Boden herum.

      Er richtete sich auf, langsam und unsicher suchte er nach Franzines Blicken. Im ersten Augenblick wusste sie nicht, was er damit meinte. Doch schon bald sollte es böser kommen, schlimmer als ein kalter Hagelschauer.

      „Samstag und Sonntag… 20 Minuten im Hof deine Runden mit ihr zu drehen reichen vollkommen aus. Auf die Straße gehst du nicht, es ist zu gefährlich, ich will meine Tochter nicht auf der Straße sehen, das hast du jetzt hoffentlich verstanden.“ Ferry war es bitterernst.

      „Nein, “ warf Franzine ein, „ich werde täglich für ein paar Minuten mit ihr ins Freie gehen, es wird ihr gut tun, das weißt du doch.“

      „Ich will es nicht, du hast zu respektieren was ich dir gerade gesagt habe“, er zog sich das Hemd über dem Oberkörper und Franzine erkannte, das er nicht mit sich sprechen ließ.

      „Wir lüften täglich, du kannst sie auf den Arm nehmen und dich ans Fenster stellen, dann kriegt sie auch ihre frische Luft“, sagte Senta und stellte sich auf die Seite ihres Sohnes.

      Franzine begriff nichts, es war ihr unerklärlich dass Ferry solch Anweisungen aufstellte. Zweimal am Wochenende durfte sie also mit Bernadette die Wohnung verlassen, es klang unwirklich, fast glaubte sie, dass sie dies alles nur träumte. Weitere Einwände verliefen ins Nichts. Sie bemerkte wieder seinen aufsteigenden Zorn, er ließ nicht davon ab. Seine Mutter hielt zu ihm, bis ins letzte Wörtchen stand sie ihm zur Seite und gab ihm in allen Punkten Recht. Franzine fühlte sich hilflos, versuchte zu verstehen was sich in Ferry bewegte, seinen Standpunkt nachzuvollziehen. Es gelang ihr nicht, sie musste gegen ihren Willen nachgeben, ihr Einverständnis wohl oder Übel abgeben und seinen Willen diesbezüglich befolgen.

      „Nach draußen und ins Dorf gehst du nur mit meiner Begleitung, ich mag es nicht, wenn du alleine weggehst, also überlege dir gut, wie du dich verhalten sollst, auch ohne Bernadette hast du nichts auf der Straße verloren.“ Seine Stimme klang unwirsch und sehr ernst, er ließ nicht mit sich reden und Franzine versuchte nicht, ihn umzustimmen.

      Sie nahm es hin, hoffte, dass sich diese schwierige Situation eines Tages auflösen würde, seine Forderungen in Vergessenheit geraten werden und sie ungehindert die Straße rauf und runter laufen könnte, ganz so, wie es ihr beliebte.

      Tanno kam zur Tür herein und setzte sich zu Tisch. Wie immer war er gut gelaunt und brachte einen Mordshunger zu Tage, die Nacht war schließlich lang und bevor er zur Arbeit musste, aß er sich tüchtig voll. Die Familie nahm Platz und Franzine goss den Kaffee in die großen, angeschlagenen Kaffeebecher, Tanno schnitt das Brot und Ferry wickelte die Butter aus. Es schien so wie immer, Senta lächelte und war auffallend still bei Tisch, Tanno biss unentwegt in sein Butterbrot, Ferry hatte sich wieder beruhigt, auch er aß mit großem Appetit, Franzine saß nachdenklich bei Tisch und versuchte ein paar Brocken hinunterzuschlucken. Sie hob Bernadette aus dem Gitterbett und fütterte sie mit dem Fläschen. Bernadette trank hungrig die Milch, das Szenario vermittelte das Bild einer glücklichen Familie, alle unter einem Dach, vereint und mit allem zufrieden.

      1969

      Es war wieder frostig kalt an diesem Vormittag, Franzine erhob sich vom Bett um in der Küche Feuer zu machen. Bernadette schlief noch fest, Dorothea war verschwunden. Die Bettseite wies noch eine warme Delle auf, sie konnte also noch nicht lange weg sein. In der Küche fand sie einen Zettel: Bin Brötchen besorgen, bin bald zurück. Dorothea

      Sie atmete auf, zog ihren Morgenmantel enger um sich und heizte den Ofen ein. Im Flur hatte Dorothea ihre hohen Stöckelschuhe abgestellt und Franzine konnte nicht herum sie aufzuheben um sie staunend zu betrachten. Hier in der Gegend sind diese Prachtstücke nicht zu bekommen, auch fiel ihr noch keine Frau auf, die so etwas getragen hätte. Elegant und weiblich, die Wadenmuskeln mussten bei Öfteren Tragen ganz schön geformt werden. Langsam stellte sie die Schuhe, die fast wie bald abhebende Raketen aussahen, wieder an ihren Platz zurück.

      Sie deckte den Frühstückstisch und schon bald stürmte Dorothea zur Tür herein und schwenkte eine große Tüte voll Gebäck.

      „Guten Morgen, Guten Morgen“, rief sie gut gelaunt, schnappte sich einen großen Teller aus der Anrichte und türmte die frisch gebackenen Köstlichkeiten in die Mitte. Franzine lachte, „du hast ja die örtliche Bäckerei leer gekauft, es duftet herrlich….mmmmh“, sie nahm ein mit Sesam bestreutes, knuspriges Weckerl und biss herzhaft hinein. Mohnweckerl, Semmeln, Salzstangen und Kürbiskernweckerln verbreiteten einen appetitanregenden Duft. Das Wasser rann Franzine buchstäblich im Munde zusammen, und das überraschte sie. Eine seltene Gabe, außer Brot an den Wochentagen und sonntags ab und zu Semmeln zum Frühstück, gab es bei den meisten Menschen kaum eine andere Variation an Kleingebäck. Orangensaft wurde in einem Glaskrug auf den Tisch gestellt und Dorothea packte auch noch frische Butter aus. Himbeermarmelade und Nusscreme, die Franzine noch nicht kannte, das Glas inspizierte und sie sofort probieren musste. Bei der Kostprobe verdrehte sie die Augen, es schmeckte ihr unwahrscheinlich gut.

      „Wo um Himmels Willen hast du diese Leckerbissen her?“ fragte sie lachend und nahm sich noch einen Löffel süßer Nusscreme.

      „Du wirst es nicht glauben, das habe ich nur wenige Meter von hier entfernt gekauft, du kennst doch das Geschäft gleich oben an der Kreuzung, da habe ich so mancherlei gefunden wo ich dachte, es würde dir schmecken und dir ein bisschen Fleisch auf die Rippen zaubern lassen.“

      „Ja natürlich“, Franzine aß noch einen Löffel Creme, „ ich hab ja als wir hier hergekommen sind die Auslagen bestaunt, ich hab noch gar nicht alles auskundschaften können, dass es hier so köstliches Zeug gibt, das wusste ich noch nicht.“ Sie lachte herzerfrischend aus voller Kehle. Und Dorothea stimmte ein.

      „Schläft die Kleine noch?“ wollte Dorothea wissen, Franzine nickte, „dann dürfen wir nicht so laut sein, wenn sie kommt, wird sie sicher großen Hunger haben.“ Sie schaltete das Radio ein, „mit Musik geht alles besser“, sagte sie vergnügt und setzte sich zu Tisch.

      „Außerdem, Schwesterchen, vor lauter Reden habe ich vollkommen vergessen, das ich dir aus Italien etwas mitgebracht habe, später, es ist noch im Auto verstaut, später gehen wir runter und ich gebe es dir, ich glaube schon, das es dir Freude bereiten wird.“ Sie