Flugzeug aus betrachtet, sieht man eine schlangenförmige Linie, die beide Gewässer trennt. Als das Schiff nun in sein eigenes Element stach, machten sich die verschiedenen spezifischen Gewichte der Gewässer (Süß- und Salzwasser) bemerkbar: Der Rumpf wurde bedeutend „leichter“, bekam dadurch einen geringeren Tiefgang und jagte nun unter vollen Segeln geschmeidig durch die Wogen.
Die salzige Meeresluft wirkte belebend auf die Besatzung und die längeren Wellen (anders als der kurze Wellengang auf dem La Plata) verhalfen dem Schiff zu seinem natürlichen Verhalten.
Entlang der Küste Brasiliens
Die eigentliche Seefahrt begann also, als wir den La-Plata-Fluss verlassen hatten und in die Wogen des Atlantischen Ozeans gewechselt waren.
Als wir schon zwei Tage unterwegs waren und uns auf der Höhe der uruguayischen Landzunge „Punta del Polonio“ befanden, ertönte um 09:00 Uhr der Befehl: „Segel setzen!“
An Deck ging die Hölle los: Alle Mann rannten auf ihre Manöverposten. Die Matrosen enterten die Wanten hoch, andere bemannten die Brass- und Fallwinden oder beschäftigten sich mit den Nagelbänken.
Am Fuß jedes Mastes stand der zuständige Segelmaat, um jeden Handgriff der Toppgasten durch Pfeifsignale zu befehlen. Von der Brücke aus brüllte der Deckoffizier seine Kommandos durch das Megaphon. An Deck wurden Taue geholt.
Die Männer auf den Rahen hatten bald die Segel gesetzt. Die weißen Tücher begannen sich zu entfalten und wurden rasch von der Brise erfasst. Die LIBERTAD empfing die volle Windkraft und schnellte nach vorne.
Es war ein herrliches Gefühl, das Schiff unter vollen Segeln in Fahrt zu spüren. Das Motorengeräusch setzte aus; nur das Schlagen der Wellen gegen den Rumpf und das Knarren der Takelage waren zu hören. Das Schiff legte sich, vom Wind gedrückt, leicht auf eine Seite und stampfte harmonisch durch die Wogen. Keine Schlingerbewegungen mehr, nur das ruhige Dahingleiten auf dem Wasser…
Die Freude an der Segelfahrt dauerte aber nicht lange. Schon nach acht Stunden ließ die Brise nach, und wieder wurde die Mannschaft zum Segelmanöver befohlen, diesmal zum Einholen und Befestigen. Die nächste Nacht schliefen wir wieder mit dem eintönigen Surren der Maschinen ein.
Der nächste Tag begann routinemäßig. Wir wurden von unseren Burschen geweckt, und nach eingenommenem Frühstück begab sich jeder Offizier in seine Dienststelle. Mein erster Gang führte mich bugwärts über Deck, vorschriftsmäßig der Steuerbordseite entlang, zum unter der Brücke liegenden Funkraum. Der wachhabende Funker übergab mir die Telexmeldungen, die über Nacht von den Nachrichtenagenturen aus Buenos Aires eingetroffen waren. Dann kehrte ich, diesmal auf der Backbordseite, in meine Kajüte – die mir tagsüber als Büro diente – zurück, um auf der Schreibmaschine den Tagesbericht zu tippen.
Eine meiner Aufgaben an Bord bestand nämlich darin, der Offiziersmesse und der Kadettenkammer einen täglichen Bericht über die Geschehnisse in der fernen Heimat vorzulegen. Dieser Bericht sollte in zwei Kopien ausgefertigt werden und zur Mittagsstunde in den genannten Räumlichkeiten zur Verfügung ausliegen.
Aus meiner Erfahrung als Zeitschriftredakteur teilte ich den Bericht in mehrere Rubriken ein, um die Lektüre etwas aufzulockern. Mit der Zeit stieg die Anzahl der Seiten, und auch die Auflage musste auf Grund des wachsenden Interesses erhöht werden. So kam es, dass ich mich zusätzlich um die „Druckarbeiten“ kümmern musste. Ich bediente mich eines an Bord befindlichen Mimeographen, um die 30 Exemplare „meiner Zeitung“ vervielfältigen zu lassen. Bald ging auch in den Mannschaftsräumen das Blatt von Hand zu Hand.
Inzwischen stampfte unser Schiff die brasilianische Küste entlang, und nachts konnten wir in der Ferne die vielfachen Lichter der Bohrinseln sehen, die den damaligen Offshore-Boom bezeugten. Ansonsten nur Wasser und Himmel. Nur einmal kamen wir in Sichtweite der Küste, auf einer Entfernung von fünf Seemeilen. Sofort stellten die Kadetten die genaue Position des Schiffes über die Peilgeräte fest. Eine gute Gelegenheit, um die bisherigen Navigationsdaten zu überprüfen. Aber dieser Anblick dauerte nicht lange, und schon war wieder ringsum nur der Horizont zu sehen.
Ein besonderer Anlass zur Abwechslung von der Tagesroutine, ergab sich am 25. Mai. An diesem argentinischen Nationalfeiertag wurde in aller Frühe zum Appell geblasen, und Offiziere und Mannschaften traten in Ausgehuniform am Heck an.
Mit Trompetensignal wurde die Flagge an der Achterstange gehisst, aus rauen Kehlen ertönte die Nationalhymne, und dann donnerten schon die Schüsse der Salutkanonen über das Meer. Mit einem dreifachen Hurra auf das Vaterland endete die rührende Zeremonie.
Dieser „Feiertag“ verlief ganz anders als die „normalen“ Tage. Nach den offiziellen Feierlichkeiten wurde heiße Schokolade mit frischgebackenen Hörnchen (Croissants) serviert. Dann begannen auf dem Vorderdeck die traditionellen Matrosenspiele, mit denen sich schon im Laufe der Seefahrtgeschichte die Besatzungen an Bord die Zeit vertrieben. Nach diesen lustigen Aktivitäten ging man auf besinnlichere Feierstunden über. Gitarren kamen zum Vorschein, und die Mutigsten in der Mannschaft ließen bekannte Volkslieder erklingen. An diesem Abend gönnte man sich einen extra Drink an der Bar, und nach dem Abendessen ging es schon frühzeitig zu Bett, denn am nächsten Morgen erwartete ja alle der tägliche Routinedienst.
Im Tagesrundschreiben vom 26. Mai wurde bekannt gegeben, dass vom nächsten Tag an bis zum Auslaufen aus Bahía, der Unterricht ausfällt. Dafür wird von 14:04 bis 15:35 Uhr „Klarmachen zum allgemeinen Saubermachen des Schiffes und dessen Vorbereitung zum Hafeneinlaufen“ befohlen.
Was diese Vorbereitung bedeutete, musste man erst mal erlebt haben, um es sich vorstellen zu können. Hier kam der alte Seemannsspruch zur Geltung: „Alles, was sich an Bord bewegt, wird gegrüßt, und alles, was stillsteht, wird übermalt“. Überall an Deck wurde geschrubbt, poliert und gepinselt. Am besten, man blieb unter Deck, um nicht einen Farbfleck auf die Uniform zu kriegen. Mittlerweile wurden in allen Quartieren die sogenannten „Briefings“ abgehalten, um Offiziere, Kadetten und Mannschaften auf den Landgang in Brasilien vorzubereiten. Die Hafenwachen wurden eingeteilt, und das Verhalten an Land wurde auf das Genaueste vorgeschrieben. Auf Gefahren wurde ebenso hingewiesen: Die Altstadt von Bahía darf nur in Gruppen von mindestens vier Mann besucht werden, wobei sich alle gegenseitig Rückendeckung geben müssen.
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