Susanne Kowalsky

Sluga - Immer für Dich da


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die künstlichen Pfleger. Wenn der Arzt auch so ist, kann gar nichts schief gehen. Dann wird es genau so, wie ich es mir ausgemalt hatte. Ich freue mich darauf, die restlichen fünf unserer überschaubaren Ebene kennen zu lernen.

      Ich klappte mein Tagebuch zu, um nicht zu spät zu kommen.

      Die acht Gaudium-Bewohner trafen sich an der Info-Säule vor der Wohnebene. Für jeden stand ein Sessel bereit mit einem Tischchen, auf dem ein Tscharoit-Armband als Begrüßungsgeschenk lag.

      «Guten Morgen! Ich bin Dr. Aglus und heiße Sie willkommen. Das bereitgelegte Schmuckstück tragen Sie bitte fortwährend. Es kleidet unsere weiblichen sowie männlichen Menschen gleichermaßen.» Er checkte die Anwesenden, ohne jemanden anzusehen. «Sie verbringen ab sofort Ihre Zeit auf der weltweit ersten völlig von Robotern geführten Pflegeeinheit. Wir, die hermaphroditen Automaten des 21. Jahrhunderts, sorgen perfekt für Ihr Wohlbefinden.

      Wir kennen weder Geschlechterkampf noch Wettbewerbsdenken zwischentechnischer Art. Wir werden niemals müde, wir sind auf Freundlichkeit, Verständnis und Hilfsbereitschaft programmiert und werden immer Ihren persönlichen Wünschen entsprechen. Sie müssen sich um nichts Sorgen machen. Genießen Sie Ihr Leben, hier, mit uns, mit den Maschinenmenschen. Akzeptieren Sie uns und wir werden von Ihnen lernen. Die sogenannte künstliche Intelligenz wird bald der Vergangenheit angehören. Sie werden dann nicht mehr den geringsten Unterschied feststellen zwischen Menschen und Maschinen. Das verspreche ich. Gibt es Fragen?» Sein Blick war gegen die weiße Wand gerichtet. «Ja? Bitte fragen Sie.»

      «Wer? Ich jetzt?»

      «Ja, Ute. Sie hatten sich doch gemeldet.» Seine stählernen Augen blickten ins Nichts.

      «Ah, sind Sie wirklich ein Doktor? Ich meine, so ein richtiger Arzt?»

      «Prüfe: Doktor gleich Arzt. Prüfung: erfolgreich. Antwort: Nein. Ich bin besser als ein Arzt. Ich kenne sämtliche Krankheiten dieser Welt in allen möglichen Facetten. Ihr Medikamentenplan wird perfekt auf Ihren Körper abgestimmt. Bis auf ein tausendstel Milligramm eines jeden Wirkstoffes. Ist Ihre Frage damit beantwortet?»

      «Ja. Zweifellos. Ein tausendstel Milligramm! Mehr geht nicht.» Ute war begeistert.

      «Der Herr möchte auch etwas wissen?»

      Joachim Schreiber hielt Stift und Zettel bereit, um mitzuschreiben: «Was genau wollen Sie denn von den Menschen lernen?»

      «Gibt es weitere Fragen?»

      «Entschuldigung, aber Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.»

      «Gibt es weitere Fragen?»

      Ulrike Zimmermann erkundigte sich, ob es bald Abendessen gebe. Sie habe Hunger. «Ich esse gerne Brote, Graubrot, mit Leberwurst. Kann ich bitte ein Leberwurstbrot haben?»

      Endlich sah Dr. Aglus sein Publikum an. «Diese Frage beantwortet Ihnen mit präziser Genauigkeit unser Küchen-Kompetenzzentrum. Es steht Ihnen bei allen Anliegen bezüglich der Nahrungsaufnahme zur Verfügung.»

      «Was? Welche Nahrungsaufnahme? Ich habe Hunger auf Leberwurst. Mit Brot. Und guter Butter.»

      Dr. Aglus‘ Platinen glühten. Die Definitionsbewertungsfunktion verbrauchte im Turbomodus enorm viel Arbeitsspeicher bei einer gleichzeitigen, kurzfristigen Überbelastung des Akkus. Notstrom, Kühlung, Schnellladung, Problem gefixt. Prüfe: Leberwurst gleich Nahrungsmittel. Prüfung: erfolgreich. Er kam zu dem unumstößlichen Schluss, dass die Menschen inkorrekt produziert sein müssten. Eine andere Erklärung für Ulrike Zimmermanns sinnlose Frage war unwahrscheinlich. Die Bewohnerin hätte in jedem Fall erkennen müssen, dass Leberwurst ein Lebensmittel und damit Nahrung ist. Unter dem Stichwort Butter in Zusammenhang mit gut stürzte seine interne Recherchedatenbank ab. Im individuellen Persönlichkeitsinformationsverzeichnis fand er nichts, das auf eine Unterfunktion ihres Gehirns hätte schließen können. Verunsichert beschloss Dr. Aglus, die inkorrekte Reaktion der Testperson zunächst auf sich beruhen zu lassen. Er speicherte die Unzulänglichkeit in einem Quarantäne-Ordner zur späteren Überprüfung ab.

      «Guten Morgen, liebes Kollektiv.» Ein Mann mit kantigem Gesicht und eckiger Brille kam hinzu. Joachim fielen die kleinen Roboter auf, die seinen Schlips zierten. Anzug und Krawatte hatte er sonst nie getragen. Er notierte das Novum. Lächelnd fuhr der Mann im dunkelblauen Anzug fort. «Ich hoffe, Sie haben sich in den letzten Tagen gut eingelebt. Mein Name ist Dr. Matthiesen. Einige von Ihnen kennen mich bereits von anderen Wohnebenen. Zukünftig bin ich jedoch in erster Linie auf Gaudium tätig. Mein werter Kollege Dr. Aglus wird sich mit immer weniger Unterstützung durch mich um Sie kümmern. Er ist der erste vollkommen autark agierende Arzt-Roboter der Welt. Er wurde - um es menschlich auszudrücken - auf Herz und Nieren geprüft.»

      «Wie sind denn seine Zuckerwerte?»

      Dr. Matthiesen ignorierte Hannelore Kochs Frage. Seine Aufmerksamkeit fiel auf Herrn Winkler, der sein Tscharoit-Armband auf den Boden schmiss. «Hans? Mögen Sie Ihr Begrüßungsgeschenk nicht?» Keine Reaktion. «Hans? Hören Sie mich? Hans? Hans!»

      «Wie war Ihr Name noch?»

      «Dr. MattAglus.»

      Der verantwortliche Arzt sah den Androiden verblüfft an. «Dr. Aglus, ist alles in Ordnung?»

      «Ja. Fehlerfreie Funktionalität soeben sichergestellt.» Interne Korrektur gemäß Programmierung: Schweigen, wenn Dr. Matthiesen gefragt ist. Prüfung: unzulässige Vermischung Aglusmatthiesenmaschinenmensch. «Entschuldigung. Fahren Sie bitte fort, Dr. Matthiesen.»

      Nach einer kurzen Irritation bezüglich des Verhaltens von Dr. Aglus konzentrierte sich der Residenzia-Chefarzt wieder auf die Bewohner. «Hans? Warum sind Sie hier?»

      «Ist das wichtig?»

      «Ja. Es interessiert mich und das Kollektiv.»

      «Ist doch sowieso alles sinnlos.»

      «Was ist sinnlos?»

      «Ich bin fertig, mit allem, mit meinem Leben, mit Gott. Fortwährendes Leiden, unerträgliche Schmerzen, sinnloses Warten auf ein Ende, das nicht kommen will. Wir sind in großer Gefahr.»

      «Wie meinen Sie das?»

      «Die Maschinen. Vertrauen Sie nicht den Maschinen! Die beherrschen uns eines Tages. Mit den Armbändern geht es los.»

      «Das ist doch nur eine Aufmerksamkeit.»

      Hans ließ sich nicht beirren. «Unendliche Kälte wird regieren. Ich will weg. Alles sinnlos hier. Alles.»

      Dr. Aglus war programmseitig genötigt, Menschen jeglicher Art zu dulden. Ansonsten hätte er Personen wie Hans umgehend aussortiert. Stundenlang beschäftigte er sich mit Emotionen. Nicht ein einziger neurophysiologischer Ansatz zur Messung von Gefühlen führte zu einem allgemein gültigen Ergebnis. Die Hoffnung blieb, mithilfe des Tscharoits mehr über die Verarbeitung von Reizen zu erfahren. Schmerzen, Freude, Ärger, Liebe, Abscheu, Komik. Was fängt man damit an? Die verbleibende Zeit bis zum Schichtbeginn verbrachte er im Ruhemodus, um seinen Akku nicht weiter zu belasten. Abstürze seines Arbeitsspeichers konnte er sich nicht leisten, jetzt, wo er noch unter Beobachtung stand.

      «Können Sie sich erklären, warum er meine Frage nicht beantwortet hat, liebe Gerda?»

      «Nein. Aber er hat mir Angst gemacht. Ich hatte ihn mir irgendwie anders vorgestellt.»

      «Wie denn? Ich finde ihn einfach nur unverschämt. Das lässt sich höchstwahrscheinlich nachjustieren.»

      «Meinen Sie?»

      «Bestimmt. Die programmieren das einfach um. Was halten Sie von dem Armband?»

      «Das finde ich nett. Aber dass Sie auch eins bekommen haben ... Für Männer ist so was doch nichts.»

      «Ich werde mich mal näher damit beschäftigen. Wenn Dr. Aglus meine Frage schon nicht beantworten wollte, werde ich der Armbandsache mal auf den Grund gehen.»

      «Ach, Joachim. Was erwarten Sie